Trithemius - 28. Mai, 13:57

Weißer Hut

Weißer Hut
Illichs Aussagen und die Abgleichung mit der beobachtbaren Realität ...

Trithemius - 28. Mai, 20:35

Zum Einstieg - die Situation in Deutschland

Im öffentlichen Dienst waren zwischen 2007 und 2008 rund 4,5 Millionen Arbeitnehmer beschäftigt. 1,5 Million davon, also jeder 3. arbeitete für die Bildung. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Im Jahr 2008 wurden 215,3 Milliarden Euro für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben. Das entsprach einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 8,6 Prozent.

11,7 Millionen Schülerinnen und Schüler haben im Schuljahr 2009/10 allgemeinbildende und berufliche Schulen besucht. Auf 13 Schüler kommt je eine Lehrkraft. (Sekundarstufe 1/2007)

Im Wintersemester 2009/2010 lag die Anzahl der Studierenden an den Hochschulen bei 2,129 Millionen.

Wo liegt das Problem oder haben wir gar keines?
Mimiotschka - 28. Mai, 20:37

Illich geht davon aus, dass Schulunterricht weder Lernen noch Gerechtigkeit fördert. Das hat sich in den beinahe 40 Jahren seit Erscheinen des Buches sicher nicht verändert.

Das informelle Lernen muss stärker gefördert werden. Da es hierfür aber keine Nachweise oder Zertifikate gibt, kann man dies für den Arbeitsmarkt wenig nutzen. Leider ist diese ökonomische Denkweise für viele sehr bedeutend. Was nicht zertifiziert ist, hat wenig Wert bzw. wird der Wert nich erkannt. Wichtig wäre hier ein gesellschaftliches Umdenken um Fähigkeiten und Kenntnisse unabhängig von institutionalisiertem Lernen anzuerkennen.
KaterMurr (Gast) - 28. Mai, 20:43

Eine wachsende Zahl von Schülern kommt zu spät zum Unterricht, "schwänzt" oder bricht die Schule ohne Abschluß ab. Ist der Grund der Unlust in der Institution Schule zu suchen oder nicht auch in verheerenden Zuständen in der Gesellschaft?
Videbitis (Gast) - 28. Mai, 20:45

Illich behauptet, Fertigkeiten und Bildungsinhalte ließen sich außerhalb der Institution Schule leichter lernen und vermitteln als in ihr, da die Vermittlung in Schulen oft ohne jeden Lebenszusammenhang vonstatten geht. Ich weiß nicht, ob das in jedem Fall stimmt, aber ich habe selbst schon die Erfahrung gemacht (und auch bei anderen beobachtet), daß ein z.B. einjähriger Aufenthalt im Ausland das Erlernen der jeweiligen Sprache in einem Maße ermöglicht, wie es ein sechsjähriger Unterricht in der Schule kaum schaffen wird.
Ich könnte noch mehr anführen, etwa der Umgang mit Gedichten, der fast immer kontraproduktiv war, oder die völlig abstrakte und hirnlose Vermittlung von Mathematik, die den meisten Schülern das Gefühl vermittelt, sie seien doof.
Mimiotschka - 28. Mai, 20:55

Leider muss ich sagen, dass auch die Ausbildung der Lehrkräfte oft realitätsfern vonstatten geht. Aber dieses Problem stellt sich auch schon in Grundschulen ein.
Eine Freundin erzählte mir, dass in der Grundschule ihres Sohnes nur Kinder aus gutbürgerlichen Familien zu finden sind. Als ein 'Problemkind' in die Klasse des Jungen kam, drängten viele Eltern darauf ihn los zu werden.
Wenn man bereits hier beginnt sich der gesellschaftlichen Realität zu verweigern fördert man die Ungleichheit. So werden viele Kinder bereits zu Beginn an den Rand gedrängt und es wird schwierig da gegenzusteuern.
Trithemius - 28. Mai, 21:00

@ Kater Murr - schulische Leistungsverweigerung scheint mir da besonders in der Hauptschule vorzuherrschen, denn Schüler merken schnell, dass sie auf einer Restschule gelandet sind, deren Abschluss ihnen nicht besonders viel hilft. Viele richten sich darauf ein, Hartz-IV-Empfänger zu werden, warum also lernen, was keiner von ihnen wissen will?
Eugene Faust - 28. Mai, 21:02

Der Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozioökonomischem Status ist sehr eng. Jedes fünfte Kind ist m.W. funktionaler Analphabet und jedes zehnte Kind verlässt ohne Abschluss die Schule. Gerade Kinder aus benachteiligten Familien bleiben trotz Zwangsbeschulung oft im Abseits.

Ein Ausbau des Bildungssystems, sagt Illich, wird diese Tendenz eher verschärfen als abbauen.
Videbitis (Gast) - 28. Mai, 21:03

@Mimiotschka: Diese Zertifizierungswut nimmt auch außerhalb der der Schule völlig absurde Formen an, ich erlebe mit schöner Regelmäßigkeit, daß meine Vorgesetzten mit derm Weiterbildungsprogramm hinter den Angestellten her rennen, damit diese irgendwelche Fortbildingsmaßnahmen ergreifen - egal was, hauptsache die Statistik sieht hinterher gut aus, völlig unabhängig von den Inhalten.

@KaterMurr: Das ist wahrscheinlich eine Wechselwirkung, oder? Hauptschulkinder, schon zur Schulzeit als blöd stigmatisiert, mit nur geringer Chance auf einen Ausbildungsplatz nach Wunsch, daß die schon früh keinen Bock mehr haben und lieber auf der Straße abhängen, kann ich gut verstehen.
Mimiotschka - 28. Mai, 21:03

Ein schöner Satz von Albert Ilien dazu: Je nötiger eine Gesellschaft Pädagogik hat, umso weniger ist ihre Öffentlichkeit in der Lage ein Pädagogik-angemessenes Bildungssystem einzurichten.

@Videbitis
Ich arbeite in einem Intitut der Universität für einen berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang. Seit Oktober ist das Institut der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät unterstellt. Das erste was dann von 'oben' bemängelt wurde ist der zu geringe Anteil von Dozenten mit Doktortitel. Wie gut die Dozenten sind sagt der Titel nicht aus. Jedenfalls nach meiner bescheidenen Erfahrung.
Trithemius - 28. Mai, 21:14

@Mimiotschka

Pädagogen innerhalb der Institution Schule lehnt Illich ohnehin ab. Sogar die Reformpädagogik dient nach seiner Ansicht dazu, die Schüler auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit zu konditionieren, die letztlich den Untergang der Gesellschaften nach sich zieht. Er konnte in den 70ern noch nichts von der Finanzkrise wissen, aber den Raubtierkapitalismus und die Ausbeutung unseres Planeten hat er schon gesehen, und daher würde seine Idee von anderen Formen des Lernens auch gesellschaftliche Konsequenzen, eigentlich ein radikales gesellschaftliches Umdenken erfordern.
Mimiotschka - 28. Mai, 21:18

Ilien sagt auch, dass eine humanisierte Gesellschaft keine organisierte Bildung mehr braucht. Leider sind wir im augenblicklichen Zustand sehr weit von diesem Ideal entfernt.
Trithemius - 28. Mai, 21:27

@ Eugene Faust. Tatsächlich bleibt die Zahl der funktionalen Analphabeten seit Jahrzehnten etwa gleich, trotz aller Bemühungen. Das bestätigt Illichs These.
Videbitis (Gast) - 28. Mai, 21:33

@Trithemius(21:14): Leider besteht in einer leistungsorientierten Konsumgesellschaft gar kein Anlaß, das klasseneinteilende Bildungssystem zu ändern, jedenfalls nicht für die Befürworter und Nutznießer des Kapitalismus. Ganz im Gegenteil wird größter Wert auf eine Intensivierung des Selektionsapparates gelegt (siehe Bologna). Ein radikales gesellschaftliches Umdenken würde zu einer radikal anderen Gesellschaft führen (oder diese voraussetzen, je nachdem) - daran besteht aber auf Seiten der gesellschaftlichen Entscheidungsträger (Wirtschaft und Politik) nicht das geringste Interesse. Mir ist nicht ganz klar, wie Illich sich den Änderungsverlauf vorstellt. Ist das nicht reines Wunschdenken?
Trithemius - 28. Mai, 21:42

@ videbitis
Ja, klingt wie Wunschdenken, aber wir können uns Gedanken machen, wie es von unten, z.B. übers Internet, angegangen werden kann. Später.
KaterMurr (Gast) - 28. Mai, 21:47

@ Videbitis:
Sicher eine Wechselwirkung. Aber was geschähe, wenn in der heutigen Situation die Schulpflicht aufgehoben würde? Bildung durch Playstation etc; bzw. wie viele Schüler mehr würden dann auf den Schulstreß verzichten?

@ Eigene Faust:
Diese Schüler hätten aber auch wenig Chancen, in Bildungsnetzwerken (als Alternative zum Ausbau der Zwangsbeschulung) zu lernen, wenn Jobs nicht in Aussicht stehen und die Eltern mit .

@ Trithemius:
Ja, die Jobs, die es nicht mehr gibt - einerseits. Und die Unmöglichkeit, auch zu unangenehmen Anlässen zuverlässig zu sein, andererseits. Viele Eltern leben es vor...
Eugene Faust - 28. Mai, 21:49

@KaterMurr
In einem Netzwerk fänden solche Kinder – mutmaße ich mal optimistisch - eher Inhalte und Partner, die ihnen entsprechen und die Eltern möglicherweise auch.
Careca - 29. Mai, 08:18

Es kommt immer drauf an, wie man ein Problem an sich definiert. Zahlen sagen erst einmal wenig aus und dienen immer dazu, eigene Ansichten zu unterstreichen. Und wenn alle Lehrer kleine Einsteins sind, aber alle didaktisch schlecht drauf, dann wird nicht jeder Lehrer 13 weitere kleine Einsteins hervorbringen können. Interessante Meldung gab es heute in der Presse: Eine Grundschullehrerin hatte die 6er Arbeit ihrer Tochter mit dem Tintenkiller korrigiert und dann bei der Gymnasiallehrerin reklamiert. Der Fall endete für die arbeitslose, studierte, alleinerziehende Grundschullehrerin mit 100 Stunden Sozialarbeit. Die Gymnasiallehrerin hatte vor der Rückgabe der Arbeit jene kopiert und somit landete die Grundschullehrerin wegen fälschung vor Gericht. Der Anwalt der Grundschullehrerin meinte dazu: "Ein vernunftbegabter Mensch würde zu so einem Mittel nicht greifen." Dieser Fall zeigt, dass reine Schulwissenvermittlung und deren Auswirkungen nicht die einzigen Parameter einer Gesellschaft sind. Das, was drumherum abgeht, hat unmittelbare Auswirkungen darauf. Die "Straße" diktiert das, was wichtig an der Wissensvermittlung ist. Dort kommt der soziale Druck und das damit verbundene Prestigedenken her. Wer Bildung und deren Vermittlung unter einer Käseglocke vermutet, der vermutet falsch. Richtig ist, dass Bildungsträger eine Aufgabe haben müssen: Das Lernen lehren, damit die Lernenden das Lernen erlernen und später nicht verlernen. Zeugnisse dokumentieren in zweiter Linie auch immer die Lernfähigkeit der Schüler. Und Akademiker zeigen nicht, dass sie Fachidioten sind, sondern dass sie erfolgreich gelernt hatten zu lernen und dieses umsetzen konnten. Klar, dass nicht jeder Akademiker den Ansprüchen an den gesellschaftlichen Erwartungen des Akademikertums entspricht. Wär ja auch noch schöner, wenn Akademiker keine Menschen mehr wären, oder durch deren Zertifikat das Menschsein verlassen haben würden. Illner hat recht, wenn er meint, dass Schulunterricht die Gerecjtigkeit nicht fördert. Denn Schulunterricht sollte meiner Meinung das Lernen fördern. Die Fähigkeit, sich aus bestehenden Situation Ableitungen zzu erstellen, mit denen spätere Situation angegangen werden können, um auch aus diesen erneut eine Lernstunde mitzunehmen. Non scholae sed vitae, sagen die Humanisten immer so plakativ.
Mimiotschka - 30. Mai, 13:03

Das Beispiel der Grundschullehrerin zeigt eigentlich nur, dass der Leistungsdruck und die Zensurenhörigkeit in unserer Gesellschaft schon ein ungesundes Maß erreicht haben. Dass Akademiker nur gut gelernt haben zu lernen, trifft sicher auf einen gewissen Kreis zu. Generalisieren kann man das allerdings nicht und es ist auch, wenn man sich noch einem klassischen Bildungsideal verpflichtet fühlt, nicht wünschenswert.
So wie Schulunterricht im Moment organisiert ist, kann er das Lernen nur durch Zwang 'fördern'. Und das ist genau das Problem.

Ich halte es übrigens für völlig irrelevant, dass die Frau arbeitslos und alleinerziehend ist. Solche Texte lese ich eigentlich nur in der BILD!

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