Abendbummel online - Feldforschung

Ein blauer Himmel mit Kumuluswolken, die Sonne lacht, der Mais steht hoch und der kräftige Ostwind jagt Wellen über das Dicht an Dicht der schlanken Blätter. Wie artig die Kulturpflanzen sind. Auf den Standort kommt es offenbar nicht an. Es gibt schlammige Stellen im Acker und daneben staubiger Krümelboden, und trotzdem reckt sich jede Maispflanze so hoch wie ihre Nachbarn. Da bleibt keine auf halber Strecke zurück, und keine guckt vorwitzig oben heraus. Die zu wenig Kraft aus der Erde ziehen kann, wächst einfach schlanker, und die Pflanze auf gutem Boden geht in die Breite. So setzen sie alle auch die Kolben auf der richtigen Höhe an, so dass die Erntemaschine des Bauern das Maisfeld auf Wadenhöhe abrasieren kann. Anschließend trägt der Acker eine Meckifrisur. Die ist übrigens benannt nach der Comicfigur Mecki in der Hör Zu. Das Wort Meckifrisur ist nicht mehr im Gebrauch. Heute trägt das Maisfeld einen Igelschnitt oder Stiftelkopf.

Erntehelferinnen im Sozialgefüge
Der Mensch ist auch eine Kulturpflanze. Und auch er sollte nicht über seine soziale Gruppe hinauswachsen. Wenn er die anderen überragt, dann entwächst er seiner sozialen Gruppe. Er müsste jetzt in eine höhere soziale Gruppe aufsteigen. Doch es ist fraglich, ob man ihn hineinlässt. Soziale Gruppen sind nicht sehr austauschfreudig. Die von oben mauern, die von unten ziehen. Einerseits will eine soziale Gruppe nicht ihre besten Leute abgegeben, anderseits will man nichts mit Emporkömmlingen zu tun haben. Wer sich nicht im Einklang mit seiner sozialen Gruppe befindet, weil er zu groß ist oder zu klein, ist unerquicklich in die Welt geworfen. Die Extremfälle dieser sozialen Unausgewogenheit haben meist nur die Wahl zwischen Trottel oder Spinner, je nach sozialem Kontext.

Wir waren beim Mais. So ein Maisfeld hat etwas Geheimnisvolles. Es ist zur Zeit übermannshoch, doch man kann zwischen den starken Halmen ein wenig hindurchsehen. Da tut sich eine eigene Welt auf, die erst durch Pfade erschlossen werden muss. Das haben findige Landwirte auch gedacht und legen um diese Jahreszeit Heckenlabyrinthe für Touristen an und kassieren Eintritt.

Es ist abenteuerlicher, sich selber einen Weg durch ein Maisfeld zu bahnen, vor allem wenn man nicht weiß, wie weit sich das Maisfeld in alle Richtungen erstreckt. Man wird tief im Mais gewiss Hasen und anderes Getier aufstöbern. Möglicher Weise und gegebenenfalls trifft man vielleicht auch auf Außerirdische. Eventuell schiebt man sogar mit den Armen die Halme auseinander und tritt auf eine Lichtung. Ringsum wogt der Mais. Darüber strahlt ein blauer Himmel mit dicken Kumuluswolken. Und mitten auf den niedergetreten Halmen steht eine Frau, reckt den Arm in den Himmel und übt eine Discotanz-Figur, den so genannten Shake mit Lasso-Arm. Fänd' ich prima.

Guten Abend
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