Hannover

Landunter für Landratten

Seit viereinhalb Jahren bin ich in Hannover und hatte bisher nur Alkoholpegel steigen sehen. Jetzt aber sind die Pegel von Leine und Ihme in Hannover und seinem Umland deutlich gestiegen und können bei erneut drohenden Regenfällen noch weiter ansteigen. Daher war ich an dem einzigen schönen Tag der Woche als Katastrophentourist unterwegs und habe das Hochwasser in Hannover und den Leineauen dokumentiert. Dabei durchquerte ich leichtsinnig eine überflutetet Stelle des Wegs, stand aber machtlos vor einer gänzlich abgetauchten Brücke an einem kleinen Nebenarm der Leine, weshalb ich erneut durch die Furt musste, wobei meine Füße beim Radeln ins Wasser eintauchten.

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Goldenes Kehrmännchen für Hannover

Als Hannoveraner Neubürger bekam ich bei der Anmeldung ein Begrüßungspaket geschenkt. Das enthielt eine Hochglanzbroschüre vom „Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover“ (aha), eine Rolle gelber Säcke vom Dualen System und einen Abfallabholkalender. Da wusste ich sofort, in Hannover wird Müll geschätzt. Man kriegt ihn gleich zur Begrüßung.

Ich will mehr Müll ...
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Teurer Kaffeelöffel - Eine Fahrt mit der Linie 9 (9)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot
6) Grau in den Speckgürtel
7) Verlust der Sieben
8) Bothfelder Zahlenmagie

Es gibt Tricks, sich zu überlisten. Manche brauchen sie nicht, aber ich. Manchmal mag ich nicht abwaschen, prokrastiniere, bis ich kein sauberes Geschirr mehr habe. Dann ist es unumgänglich zu spülen, aber der Berg von Geschirr und Besteck schreckt mich ab. Vor mir das Spülbecken, und darin so viele Teile, die gespült werden wollen. Da möchte ich am liebsten gleich wieder aufhören. Dann stelle ich mir vor, dass ich für jedes Teil, das ich abwasche, den doppelten Betrag von x bekomme, also 1+2+4+8+16 usw. Wenn die letzten Löffel abzuwaschen sind, bringt mir jeder Löffel, den ich noch aus dem Spülwasser fische, bereits mehr Millionen, als ich überhaupt haben will, ich werde beim Spülen steinreich. Dann bin ich froh, wenn die Belohnung in realistischen Dimensionen bleibt. Bei 27 Teilen habe ich bereits über 67 Millionen. Wie will das Leben eine solche Verheißung wahr machen? Vom Tellerwäscher zum Millionär, das ist, was mich betrifft, unerreichbar.

Stell dir vor, du bist ein humanoider Außerirdischer und hast dich auf eine interstellare Reise begeben, willst dir das Sonnensystem der Erde ansehen. Das liegt weit draußen im Spiralnebel. Du hast aber nur eine Karte für Zone 1 gelöst, also für das Zentrum unserer Milchstraße. Dich erwischt ein galaktischer Kontrolleur, du kannst nicht nachzahlen, da setzt er dich einfach vor die Tür, nämlich auf der Erde ab. Um die Rückfahrkarte zu deinem Heimatplaneten bezahlen zu können, musst du den Gegenwert von etwa 67 Millionen Euro verdienen.

Was könnte man dir raten? In welcher Branche könntest du rasch 67 Millionen Euro verdienen? Ehrliche Arbeit kommt da nicht in Frage. Du müsstest schon Finanzspekulant werden oder ein Finanzberatungsunternehmen gründen wie Carsten Maschmeyer seinen Allgemeinen Wirtschaftsdienst (awd). Er besitzt gut 10 mal soviel und könnte eine interstellare Fahrkarte für die Spiralnebelzone 2 locker bezahlen, macht es aber nicht. Inzwischen ist er derart integriert in ein machtvolles Netzwerk, befreundet mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und Bundespräsident Christian Wulff, einen „Shootingstar“ nennt die Süddeutsche ihn. Warum sollte er das aufgeben?

Ich habe nachgesehen, wohin die Linie 7 jetzt fährt. Wem wurde die Glück verheißende Sieben zugeleitet? Kurz hinter der Bothfelder Weiche, wo Linie 7 und Linie 9 sich trennen, stehen linker Hand die Bürohochburgen von HDI Gerling und dem awd. HDI/Gerling gehört zur Talanx Versicherungsgruppe, und der wiederum gehören Anteile an der Swiss life, der jetzigen Eigentümergesellschaft des awd, an der Maschmeyer beteiligt ist.

Leere BahnDie Bahn ist an der Endhaltestelle der Linie 7 völlig leer. Inzwischen ist es dunkel, aber in den Büros von HDI/Gerling und in der awd-Zentrale brennt noch Licht. Der Tausch der Linien 9 und 7 scheint plausible Gründe zu haben. Doch könnte man nicht plausible Gründe für jede Änderung des Linienplans finden? Vielleicht sind sie nur vorgeschoben und dahinter steckt etwas ganz anderes, die abergläubische Marotte eines Glücksritters und Finanztycoons. Angenommen Maschmeyer wollte die Linie 7 haben, damit sie an seinen Gelddruckmaschinen vorbeifährt, hätte die ÜSTRA diesem Ansinnen widerstehen können? Wohl kaum. Was weiß ein einfacher Fahrgast der Stadtbahn schon über die wahren Gründe städtebaulicher oder verkehrspolitischer Entscheidungen. Seine Welt wird von mächtigen Netzwerken gestaltet, und selbstsüchtige Entscheidungen der Mitglieder dieser Netzwerke werden ihm als Sachzwänge verkauft, dem Allgemeinwohl verpflichtet. Was diese Welt zusammenhält, ist die Lüge, und das ist so wahr wie mein 27. Löffel keine 67 Millionen Euro wert ist.

E N D E

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Bothfelder Zahlenmagie - Fahrt mit der Linie 9 (8)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot
6) Grau in den Speckgürtel
7) Verlust der Sieben

Wir steigen in Bothfeld an der Nicolai-Kirche aus. Eine Theatergruppe plakatiert am Kirchturm „Arsen und Spitzenhäubchen“. „Die Kirche wird auch für Aufführungen genutzt“, sagt mein Bothfelder Gewährsmann. „Und manchmal treten da solche Promis auf, die man nicht mal mehr beim Privat-Fernsehen haben will. Demnächst kommen die Don-Kosaken.“ Er will im Gemeindeamt Karten kaufen, ein Don-Kosaken-Geburtstagsgeschenk für seine Mutter. Wir verabschieden uns, und ich bedanke mich. „Da nicht für!“, ruft er freundlich und hastet davon. Ich bummle einmal rund um die Kirche und begegne ihm wieder, wie er aus dem Gemeindeamt kommt. „Da drinnen sitzen drei ältere Damen“, sagt er, „die können Ihnen gewiss mehr erzählen.“

In Wahrheit ist nur eine der Damen älter. Sie hat ein weißes Pflaster auf der Schläfe und trägt es wirklich wie eine Dame. Ich will wissen, warum die Bothfelder sich über den Linientausch geärgert haben. Sie kann es mir nicht so recht erklären, obwohl sie durchaus der Sprache mächtig ist. Die ÜSTRA habe den Linientausch auf dem Platz vor der Nicolai-Kirche groß feiern wollen. „Ich bin Kirchenvorsteherin, daher weiß ich es. Aber wir hatten dort schon eine andere Veranstaltung.“ Dabei lächelt sie süffisant. Dieser subtile, kaum noch christlich zu nennende Protest gegen die feierselige ÜSTRA wegen eines Nummertauschs? Faktisch hat sich für die Bothfelder nichts verändert, nur die Nummer an der Straßenbahn. Zum Fasanenkrug fährt nicht mehr die Sieben, sondern die Neun. Stadtbahn.de erklärt:

„Im Dezember 2009 werden die nördlichen Streckenäste der Linien 7 und 9 getauscht, um künftig auf den Strecken Wettbergen - Altwarmbüchen und Wettbergen - Misburg ausschließlich die neuen Wagen der Reihe 3000 fahren lassen zu können. Die Linie 7 fährt seitdem den ganzen Tag vorerst bis Lahe (jetzt Paracelsusweg) und wird in 2010 bis Misburg verlängert.“

Das Ärgernis ist offenbar ein Fall von Zahlenmagie, und sogar Frau Kirchenvorstand der Nicolai-Kirche macht mit. Die Sieben gilt als die heilige Zahl schlechthin und landläufig als Glückszahl, die Neun kommt in der biblischen Zahlenmystik nicht vor.

Die technokratischen Heiden von der ÜSTRA hätten sich denken können, dass die Bothfelder ihre heilige Sieben nicht missen wollten. Sie hat offenbar das Lebensgefühl der Bothfelder positiv geprägt, bis hin zum Überschwang. Es gibt sogar eine Bothfeld-Hymne: "Bothfeld hat alles", nur keine Sieben mehr. Man reimt "keine Berge" auf "keine Zwerge" - und bleibt "Bothfeld treu für alle Zeit."



Das hätte der Student Benno Ohnesorg beherzigen sollen, statt in das kalte Berlin zu gehen. Da konnte ihm die Sieben kein Glück bringen. Er wurde am 9. Juni 1967 auf dem Bothfelder Stadtfriedhof begraben. Immerhin verbindet die Linie 9 jetzt die nach ihm benannte Brücke und seine letzte Ruhestätte.

Die Kirchenvorsteherin verweist mich noch auf einen Artikel in der HAZ zum Thema Linientausch. Lesenswert sind auch die Kommentare. "Wettberger" behauptet, regelmäßig würden Fahrgäste mit Migrationshintergrund sich wegen des Linientauschs verfahren, wenn sie in "keine Berge" wollen, sondern zum Fasanenkrug.

Fortsetzung Teurer Kaffeelöffel
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Verlust der Sieben - Eine Fahrt mit der Linie 9 (7)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot
6) Grau in den Speckgürtel

Wenn Bothfeld zum Speckgürtel Hannovers gehört, dann ist es durchwachsener Speck. Im alten Ortskern gibt es historische Bauernhöfe in Fachwerkbauweise mit frommen Sprüchen auf den Balken. Bothfeld hat Neubauviertel mit freistehenden Eigenheimen, aber auch Plattenbauten aus den 70er Jahren. Die Metapher Speckgürtel ist bei Wikipedia hübsch erklärt:

„Erhebliche soziale, ökonomische und ökologische Probleme entstehen dadurch, dass die umliegenden Gemeinden insbesondere durch die Stadt-Umland-Wanderung relativ einkommensstarker Haushalte wachsen und vom breiten Infrastrukturangebot der Kernstadt profitieren, ohne über Steuern zu dessen Finanzierung beizutragen. Auch arbeitet ein Großteil der Erwerbstätigen als Pendler in der Kernstadt, zahlt die Lohn- und Einkommensteuern aber in den Wohnsitzgemeinden. Der Begriff „Speckgürtel“ bezieht sich ironisch auf dieses Missverhältnis.“

Wenn der Speck wächst, geht das zu Lasten der darunter liegenden Muskelschichten. Das erklärt, warum die Städte innerhalb der Speckgürtel einen Bereich haben, der mehr oder weniger verkommen wirkt. In Hannover kann man das überall beobachten. Bevor man den Speckgürtel erreicht, muss man durch einen Gürtel der sozialen Deprivation, wo die Menschen einiges zu stemmen haben. Die Ortsteile Bothfeld und Isernhagen gelten als bevorzugte Wohngebiete.

Die Endhaltestelle der Linie 9 liegt direkt hinter einer Autobahn, an der Grenze zu Isernhagen. Die Bahn dreht hier mit quietschenden Rädern auf einem engen Gleisrund zwischen Autobahn und Waldrand. „Fahrgäste bitte aussteigen!“, befiehlt vorher die freundliche Frauenstimme, die alle Ansagen der ÜSTRA (Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover AG) macht. Sie gehört der Schauspielerin und Synchronsprecherin Katrin Decker. Viele Leute bleiben gleich auf dem Bahnsteig stehen und warten auf den Bus, der sie auf die umliegenden Gemeinden verteilt. Ich bummle hinüber zur anderen Seite des Gleiskörpers. Da ist ein Kiosk, wo ich mich schlau fragen will. Die Frau hinterm Tresen lächelt verlegen und gibt an, nichts zu wissen. Sogar wo der Tabak liegt, den ich kaufen will, muss ich ihr zeigen. „Zweites Regal von unten, die dritte Packung von rechts!“ Sie sucht links.

Fasanenkrug
Im Jahr 1987 ist der alte Fasanenkrug abgerissen worden. Das zum Biergarten des Fasanenkrugs gehörende 100-jährige Hexenhaus blieb stehen. Man hat ein kleines Einkaufszentrum errichtet, das einen Optiker, einen Getränkemarkt und eine Reinigung beherbergt sowie einen neuen Fasanenkrug. Das Hexenhaus wirkt deplaziert, und der Biergarten ist um diese Jahreszeit verödet. Auf einem Waldweg, den man vom Parkplatz des Restaurants Fasanenkrug erreicht, kommt mir aus der Ferne mit forschem Schritt ein kräftiger Mann entgegen.

Ich bin noch auf der Höhe des Biergartens, als er mich erreicht. Er trägt eine Mütze, und ich habe nicht gesehen, dass er Musik hörte. Als ich ihn anspreche, nimmt er die Stöpsel aus den Ohren. „Guten Tag! Kennen Sie sich hier aus?“„Ja“, sagt er, „ich bin hier aufgewachsen und als kleiner Junge überall mit dem Fahrrad herumgefahren.“ „Was gibt es denn hier Besonderes?“ „Früher war hier mal eine Aufzuchtstation“, sagt er und deutet wegwerfend zum Biergarten bin. "Ich habe mein Meerschweinchen hingebracht. Aber jetzt ist ja alles neu bebaut.“ Warum hieß das alte Ausflugslokal Fasanenkrug? „Es gibt hier tatsächlich noch Fasane. Wenn Sie durch den Wald gehen zu den Feldern hin, da gibt es noch Goldfasane.“

Der Mann hat es eilig: „Ich muss nämlich in einer halben Stunde meiner Frau die Monatskarte geben. Deshalb muss ich die Bahn hier kriegen. Kommen Sie mit, dann erzähle ich Ihnen noch was.“ Wir steigen in die Linie 9 Richtung Empelde. Er schimpft auf die 9. „Früher fuhr die Linie 7 zum Fasanenkrug, 55 Jahre lang, aber 2009 hat die ÜSTRA die Nummern getauscht. Die 7 fährt zur Schierholzstraße und hierher die 9. Darüber hat man sich in Bothfeld sehr geärgert.“ „Warum?“ Er kann es mir nicht sagen.

Fortsetzung Bothfelder Zahlenmagie
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Grau in den Speckgürtel - Fahrt mit der Linie 9 (6)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot

Derweil die Linie 9 die imaginäre Zonengrenze überquert, hinter der ich Graufahrer bin, blättere ich im Geiste das Strafgesetzbuch durch. Ah, hier steht es: Beförderungserschleichung. § 265a StGB regelt:

„Wer die … Beförderung durch ein Verkehrsmittel … in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

Leserin-in-der-BahnMisstrauisch beäuge ich jeden Zusteigenden, ob er nicht ein als Mitmensch getarnter Kontrolleur ist. Und misstrauisch beäugt mich jeder neue Fahrgast, ob ich nicht ein als Mitmensch getarnter Oberkontrolleur bin, der sich strategisch ganz hinten im Wagen positioniert hat und alle Vorgänge innerhalb der Linie 9 sorgsam in sein rotes Buch schreibt, um sie mit dem Strafgesetzbuch abzugleichen. Manche scheinen von einer perversen Zeigelust getrieben und setzen sich zu mir, damit ich sehe, wie brav sie sind.

Entlang der Podbielskisstraße gibt es Autoteile, Second Hand, Änderungsschneiderei, Saftladen, China-Restaurant, Friseur, China-Restaurant, Saftladen, Nagelstudio, Beerdigungsinstitut, Beerdigungsinstitut, Änderungsschneiderei, Second-Hand, Autoteile, Tankstelle. Seltsam, dass sich die kleinen Läden an solch einer befahrenen Straße halten können. Man sieht nie jemanden erwartungsfroh hineingehen oder glücklich herauskommen, nicht mal aus dem Autoteile-Laden. Selbst die Türen der Beerdigungsinstitute scheinen tot. Ein kurze Weile wirkt die Podbielskistraße (Podbi) ein bisschen heruntergekommen, dann erholt sie sich vom Siechtum, hat Büroneubauten mit Bar und Bistro sowie Autohäuser für Leute, die keine Autoteile wollen, sondern gleich ein ganzes Auto.

Es geht stracks auf den Mittellandkanal zu, hinein in den Bahnhof Noltemeyerbrücke, eine prächtige Konstruktion aus Metall und Glas genau auf der Brücke über den Mittellandkanal. Dahinter liegt Bothfeld. Rechts davon, an der separaten Straßenbrücke habe ich einmal gesessen und bin zu einer seltsamen Fahrt aufgebrochen. Hat Hannover tatsächlich einen Speckgürtel? Und gehört der Stadtteil Bothfeld dazu, wo die Endhaltestelle Fasanenkrug liegt? Hinter der Brücke biegt die Linie 9 über eine Weiche scharf nach links. Ein anderes Gleis führt geradeaus, das der Linie 7. Es klingt unbedeutend, aber es verbirgt sich dahinter ein Ärgernis für die Bothfelder.

Foto / Gifanimation: Trithemius

Fortsetzung Verlust der Sieben
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Lange Straße, Dauerbrot - Fahrt mit der Linie 9 (5)

Folge 1 - Folge 2 - Folge 3 - Folge 4

Einmal bin ich in der Frankfurter S-Bahn grau gefahren, zusammen mit einer Kollegin, die sich auch nicht auskannte. Wir wurden sogleich von zwei grimmigen schwarzen Sheriffs aufgegriffen, und die haben uns vermutlich nur nicht abgeknallt, weil meine Kollegin eine attraktive Blondine war. Unterhalb der beliebten Flanier- und Einkaufsstraße Lister Meile bin ich gewiss noch ein zahlender Fahrgast und genieße alle Rechte, die mir die Personenbeförderungsbedingungen der ÜSTRA zustehen. Ich dürfte sogar mit meinem Handy aus der Bahn heraus fernen, kalten Kartoffelbrei grüßen. Doch hinter der Station Lister Platz muss irgendwo die unsichtbare Grenze sein, die mich ins Unrecht setzt. Ab dann ist jedes weitere Wort an den Kartoffelbrei nicht mehr erlaubt, jedenfalls nicht aus der Bahn heraus.

Schräg gegenüber der Station in der Was-Weiß-Ich-Was-Straße, ist mein Frisörsalon. Ein junger Freund hat mir einst geraten: „Du musst zu einem Mann gehen. Frauen machen einen zu brav.“ Er hat natürlich Frisöre und Frisörinnen bzw. Frisösen gemeint. Mein Friseur in der Was-Weiß-Ich-Nicht-Straße heißt Tim. Drei Buchstaben kann ich mir merken, auch wenn ich schon ein paar Monate nicht mehr da war.

Die Linie 9 kommt jetzt ans Tageslicht, fährt über eine Rampe hinaus auf die Podbielskistraße. Die Podbielskistraße ist noch viel länger als ihr Name. Man sieht hier hübsche Zeilen mit Gründerzeitbauten. Auch das prächtige Jugendstilgebäude der Keksfabrik Bahlsen, die das Wort Keks erfunden hat, aus dem Plural des englischen Cake hergeleitet. Dieser echte Anglizismus wurde im Jahr 1911 in den Duden aufgenommen. Wem die Informationen zu trocken sind, der bedenke, es geht um Kekse, haltbar bis weit über die dort angesprochene Apokalypse hinaus. Du kannst nichts mitnehmen, außer einem Leibnizkeks. Er heißt so, weil schon Leibniz sich Gedanken gemacht hat, für Soldaten eine Sorte Dauerbrot zu entwickeln.

Entschuldigung, ich bin von der Strecke abgekommen.

Fortsetzung
Grau in den Speckgürtel
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Grüß mir den Kartoffelbrei - Fahrt mit der Linie 9 (4)

Folge 1 - Folge 2 - Folge 3

Der U-Bahnhof Kröpcke, das ist Brutalismus in lecker. Die Linie 9 reißt mich weg und jagt zum Hauptbahnhof. Wenn du eine Fahrkarte kaufen willst, gehst du am besten zu Fuß durch die an den U-Bahnhof Kröpcke angeschlossene Passarelle. Das ist näher als durch den ganzen Bahnhof zurückzulaufen. Man bleibt dabei auf der 1. Tiefebene. Links und rechts reiht sich ein kleiner Laden an den anderen. Die Passarelle unterquert auch den Hauptbahnhof, und erst am anderen Ende geht’s dann runter auf die 2. Ebene zur U-Bahnstation.

Ich gucke gegen die vorbeiflitzende Tunnelwand und halte Ausschau nach Bauvorleistungen – ein wunderbares Wort, das auch Wundersames bedeutet. Beim Bau der U-Bahn in den 60ern des letzten Jahrhunderts hat man bereits einige zusätzliche Bauwerke für spätere Erweiterungen des U-Bahnnetzes errichtet, Tunnelabschnitte und Geisterbahnhöfe. Ein solcher Geisterbahnhof liegt auch unter der Station Hauptbahnhof.

Bauvorleistung

Manchmal erweitert sich eine Tunnelröhre und gibt den Blick frei auf einen toten Bauvorleistungs-Abschnitt, aber dann rasen die Wände wieder heran bis dicht vor deine Nase. Die meisten Fahrgäste schauen nicht hin, sondern stieren sich lieber ein Loch ins Knie oder sprechen in ihr Mobiltelefon wie der Mann schräg gegenüber: „Richtig, hehehehe! Genau! Hehehehe! Ja, hehehehe! Dann grüß mir mal schön deinen kalt werdenden Kartoffelbrei, Tschau!“ Ich glaube, ich würde mich schämen, so einen Satz laut zu sagen, dass alle rundum ihn hören könnten. Ist der Mobilfunk am Ende erfunden worden, damit ein Knallkopf einen kalten Kartoffelbrei grüßen kann? Was soll bloß aus unseren Kindern werden, bei den Vorleistungen.

Ein junger Mann im grauen Mantel versucht die Süddeutsche zu lesen, ohne der neben ihm sitzenden Türkin dabei ins Gesicht zu langen. Er hat die Zeitung auf ein Viertel zusammengefaltet, zuerst quer und dann längs. Das hilft ihm kaum, aber er muss sowieso raus am Hauptbahnhof. Die Süddeutsche wie auch die FAZ kann man in der Bahn fast so bequem wie ein Buch lesen, wenn man sie zuerst längs und dann quer faltet. Das geht übrigens bei jeder Zeitung mit gerader Spaltenanzahl. Die FAZ hat sogar einmal ein Heftchen herausgebracht, in dem diese probate Faltung erklärt wurde, das ich aber leider nicht mehr finde.

Die Linie 9 hat inzwischen die knallbunte Station Sedanstraße/Lister Meile erreicht. Sie wurde von sieben Graffitikünstlern gestaltet. Vor solchen Arbeiten scheinen andere Sprayer Respekt zu haben. Sie werden fast nie übersprüht oder mit Tags verschmiert. Vielleicht sollten die Städte mehr Auftragsarbeiten vergeben, um der Graffitiplage Herr zu werden. Die Station ist bunt, und ich fürchte bald grau zu werden. Ich habe keine Ahnung, wo die Tarifzone 1 endet, für die ich bezahlt habe. Ab dann bin ich Graufahrer.

Fortsetzung: Lange Straße, Dauerbrot
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Dosenpfand & kleine Finger - Fahrt mit Linie 9 (3)

Folge 1 - Folge 2

Kann ja nur noch besser werden unter Hannovers Erde. Die nächste Station heißt „Markthalle/Landtag“. Sie ist hübsch verklinkert. Hier steigt auch schon mal einer im feinen Zwirn zu oder eine Dame mit Ringen an allen Fingern und botox-erstarrter Miene. Kann aber auch die Wirkung des Alkohols sein, der die Dame in der Markthalle zugesprochen hat.

Die Markthalle heißt im Volksmund „Bauch von Hannover“. Dort an den exquisiten Sauf- und Fressständen trifft man sich gern, um zu sehen und gesehen zu werden. Gerhard Schröder war früher manchmal zu Gast, und Trittin hat da angeblich beim 13. Prosecco das Dosenpfand erfunden. Im Bauch von Hannover muss man die Nase hoch tragen, sonst fällt man durch. Aber meine Bahn ist schon längst drunterweg, also kann ich einfach nur sitzen und mein Blöckchen vollkritzeln mit nassforschen Behauptungen.

Es folgt die Station Kröpcke. Diese U-Bahnstation unter dem Stadtzentrum ist nach einem Kellner benannt, hat zwei Etagen und ist der Knotenpunkt der Stadtbahnen von Hannover. Sie ist hübsch gestaltet, hat winzige Mosaiksteichchen überall und vier unmenschlich lange Rolltreppen, auf denen ich immer Höhenangst kriege.

Kröpcke

Die weitläufige Anlage ist schon ewig Baustelle. Und ich habe gehört, vor allem das Bekleben mit den Mosaiksteinchen halte so lange auf. Man kann ja leider keine burmesischen Kleinkinder damit beschäftigen.

Viele steigen hier aus oder um, auch der Buchleser. Seinen Platz nimmt ein zartes, schwarzes Mädchen ein. Sie schaut mit runden Augen so ängstlich in die Welt, dass ich mich gar nicht traue, sie in mein rotes Notizbuch zu schreiben.

Fortsetzung Grüß mir den Kartoffelbrei
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Rein in die Wassersenke - Fahrt mit der Line 9 (2)

Folge 1

Da kommt die grüne Straßenbahn behäbig die Davenstedter Straße herunter. Die beiden Wagen sind locker besetzt. Ich finde einen Einzelplatz im Triebwagen. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann mit einem großen Buch auf dem Schoß. Er ist fast darüber zusammengesunken, und damit er nicht die Zeile verliert, hält er mit dem rechten Zeigefinger einen Lang-DIN-Briefumschlag darunter. An diesem Finger hat er einen silbernen Ring. Auf der anderen Seite des Ganges sitzt auf seiner Höhe ein Schwarzer. Er hat sich quer gesetzt, dem Gang zu. Gelegentlich sagt er etwas, aber der Buchleser reagiert nicht. Er ist auch gar nicht gemeint. Der Schwarze hat Stöpsel in den Ohren und telefoniert.

Hinter der Haltestelle „Schwarzer Bär“ rollen wir über die halbfertige Benno-Ohnesorg-Brücke. Rasch zieht die Ihme dahin, als wäre es ihr peinlich, dass sie sich mit ihrem schlammigen Wasser so breit gemacht hat. Man hat hier im Herbst begonnen, einen Teil des Ufers abzugraben, um den Flaschenhals entlang des Ihmezentrums zu erweitern, ist aber mit dieser Hochwasserschutz-Maßnahme nicht weit gekommen, weil zuerst ein paarhundert Bäume abgeholzt werden mussten, was viele Lindener erbost hat. Anfangs konnte nur unter massivem Polizeischutz gearbeitet werden.

Oberirdisch fährt die Linie 9 gerade mal 20 Stundenkilometer, aber wenn sich die Bahn über die provisorische Gleisführung der Benno-Ohnesorg-Brücke geschlängelt hat, rast sie die Rampe hinunter zum U-Bahnhof Waterloo. Die meisten Leute sprechen die Station englisch aus, denken vermutlich, sie ist nach Abbas Eurovisons-Hit benannt. Aber Waterloo ist ein Dorf in der belgischen Provinz Brabant, und die flämische Ortsbezeichnung bedeutet Wassersenke. Oberhalb der U-Bahnstation Waterloo befindet sich ein ehemaliger Exerzierplatz, heute eine große Rasenfläche, in deren Mitte sich eine 46,31 Meter hohe Siegessäule erhebt. Da filmte ich mal eine Polizei-Effekt(s)-Show. (Siegessäule bei 0:14 Sekunden).



Die sehe ich aber nicht, bin schon unter der Erde im weiß Gott hässlichsten U-Bahnhof Hannovers, zwei Bahnsteige und schmutzig grauer Beton, ohne jeden Schmuck. Hier steigt kaum jemand ein oder aus, warum auch? Im Sommer habe ich entdeckt, dass man mit dem Fahrrad durchfahren kann zur anderen Seite der vierspurigen Lavesallee. Dabei wird man gewiss gefilmt, denn die Zufahrt ist direkt neben dem niedersächsischen Innenministerium.

Fortsetzung
Dosenpfand und kleine Finger
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