Auf seltsame Weise verdünnisiert hat sich Bastian Sicks: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Eine Weile hatte ich das Buch beim abendlichen Lüften in den Fensterspalt geklemmt, damit der Fensterflügel nicht zufällt. Das war noch in Aachen, im alten Teppichhaus, Ecke Bleiberger Straße, Junkerstraße. Ob es da unbemerkt aus dem Fenster gefallen ist und dann ein fleißiger Straßenkehrer es freundlicherweise in die Tonne gekloppt hat? Man weiß es nicht. Es ist jedenfalls weg, und ich bin beinah froh drum, zumal ich sowieso nicht mehr in Aachen lebe, sondern in Hannover. Und in meiner jetzigen Wohnung bleiben die Fenster freiwillig auf.
Sprachpfleger wie Sick sind mir immer schon suspekt gewesen. Sie sind wie Kleingärtner, die den Regenwald jäten wollen, um einen ordentlichen Rasen anzulegen. Die seriöse Sprachwissenschaft beschäftigt sich nicht mit Sprachpflege. Sie wird überwiegend von interessierten Laien betrieben, von Leuten, die eine gänzlich dubiose Vorstellung von Sprache haben,
moralisieren oder sie personifizieren, wie etwa die Opernsängerin Edda Moser, als sie in der FAZ klagte:
„Unsere Sprache ist im Begriff wie ein krankes Tier zu verenden.“
Natürlich ist unsere Sprache kein krankes Tier, und verenden kann sie nur, wenn sie sich nicht mehr wandelt. Latein und Altgriechisch sind beispielsweise tote Sprachen. Aber der Begriff ist irreführend, denn nicht die Sprache ist tot, sondern die Sprecher der Sprache sind ausgestorben. Folglich kann die Sprache sich nicht mehr verändern, wird nicht mehr an neue Lebensbedingungen angepasst. Treffend sagt der Sprachphilosoph
Fritz Mauthner:
„Sprachunrichtigkeiten sind Zeichen des Lebens; die Sprachrichtigkeit aber ist das Zeichen der Krankheit, der Vorbote des Todes. Niemand kann sagen, was tadelloses richtiges Deutsch ist, wohl aber gibt es zweifellos richtiges ciceronianisches Latein.“
In diesem Sinne betreiben Sprachpfleger aktive Sterbehilfe. Sie haben die in der Schule gepaukten Regeln verinnerlicht, und stolz auf diesen schmalen Besitz sind sie von dem Drang beseelt,
ihren Mitmenschen vorzuschreiben, wie sie zu sprechen oder zu schreiben hätten. Hauen ihnen den Duden oder Sicks Oberlehrerbuch um die Ohren. Wären alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft so obrigkeitshörig, wären alle derart von einem Sprachreinigungsdrang besessen, wie sollte sich die Sprache überhaupt verändern können?
Jacob Grimm, der Ahnvaters der modernen Germanistik, hat in der Vorrede zur „Deutschen Grammatik“ den befreienden Satz geschrieben: "Jeder Deutsche, der sein Deutsch schlecht und recht weiß, d. h. ungelehret, darf sich (…) eine selbsteigene, lebendige Grammatik nennen und kühnlich alle Sprachmeisterregeln fahren lassen.“
Sprachen, deren Grammatik und Orthographie festgelegt sind, verändern sich naturgemäß langsamer als rein mündliche Sprachen. Schriftsprache bremst die Dynamik einer Sprache aus. Obwohl unsere Schrift eigentlich nur den Laut abbildet, demgemäß eine untergeordnete, dienende Funktion hat, erhebt sie sich unter dem Einfluss der Printmedien zum Meister über das gesprochene Wort. Allein an der Schrift lässt sich ein vorgebliches Richtig oder Falsch festmachen. Der Sprecher einer mündlichen Sprache kann gar keinen Fehler machen, der Sprecher/Schreiber einer Schriftsprache unzählige.
Dass geschriebene Sprache Regeln zu folgen hat, dient der Ökonomie, denn falsch geschriebene Wörter, fehlerhafte Grammatik, Stil- oder Logikfehler sind Augennägel. Sie lassen den Leser stocken und behindern die Kommunikation. Doch Augennägel erhöhen auch die Aufmerksamkeit, und so kann ein Fehler durchaus produktiv sein, möglicherweise sogar
neuen Sinn stiften.
Augennagel Dunckelheit
Unter dem Einfluss des Internets hat sich die Sprachentwicklung wieder beschleunigt. Unsere Sprache ist derzeit lebendiger und vielfältiger als noch vor 10 Jahren, denn wie nie zuvor hat sich der sprachliche Laie in die Entwicklung seiner Sprache eingeschaltet. Schon der Duden hat sich seinem Auftrag gemäß immer an der „Gemeinschaft der kompetenten Sprecher und Schreiber" orientiert, und kompetente Sprecher und Schreiber sind eben nicht nur die so genannten Profis, Redakteure, Publizisten und Autoren, sondern auch der Mann von der Straße ist ein kompetentes Sprachmitglied. Denn jeder Muttersprachler hat mit etwa dem 5. Lebensjahr eine innere Grammatik angelegt, die es ihm ermöglicht, theoretisch endlos viele richtige Sätze zu bilden. Diese Richtigkeit hängt allein vom kommunikativen Erfolg ab, nicht von den Vorschriften aus Regelbüchern und erst gar nicht von den Vorstellungen der Kulturschranzen und Sprachpuristen.
Die Reihe: "Deutsch für Blogger" soll also ganz und gar nicht festlegen, wie Blogger etwa zu schreiben hätten. Das würde die zuweilen erfrischende sprachliche Kreativität ausbremsen, die sich aus dem Mündlichen ins Schriftliche hinübergerettet hat und der starren Schriftsprache Beine macht. "Deutsch für Blogger" soll Handwerkswissen vermitteln, ohne den Anspruch, dass eine Sache so gemacht werden müsste.
Blogger werden von professionellen Schreibern gern von oben herab angesehen. Mal werden sie als
schreibende Affen verhöhnt, mal als
Idiotae, Unwissende und Halbgebildete. Nun, Halbgebildete sind heutzutage alle. Wir leben in einer Welt der Spezialisten, und anders als die Universalisten der Renaissance überschaut heute niemand mehr alle Wissenschaftsbereiche, ja, es ist nicht einmal möglich, sich im eigenen Fachgebiet umfassend auszukennen. Das immense Aufkommen an neuem Wissen führt zwangsläufig zu einer immer stärkeren Spezialisierung, weshalb die Diskussion ohnehin nur noch von Fachidioten geführt wird. So ist "Deutsch für Blogger" auch Fachidiotenwissen, aber kombiniert mit dem wachen Blick vieler Blogger kann es helfen, das wunderbare Medium Blog ein wenig zu professionalisieren. Demnächst also in der offenen Bloguniversität in loser Folge ein wenig
Textberatung.
Jules van der Ley