Deutsch für Blogger (2) - Gas-Gerd trifft Wilhelm

Als Kind hasste ich es, wenn mich meine Mutter am Samstagmorgen mit einem Einkaufszettel zur Metzgerei schickte. Der Laden war voll, und Thekenbedienung wie Kunden fanden: „Ein Kind hat Zeit.“ So fand ich mich immer wieder hintangestellt, bis sich ein Erwachsener erbarmte und mir den berechtigten Vortritt ließ. In dieser Erwachsenwelt hatte ich keinen eigenen Namen. Wenn jemand wissen wollte, wer da immer wieder zur Seite geschoben wurde, dann hieß es: „Dat is Overlacks Jertrud dä sinnge“, frei übersetzt: Der gehört Gertrud Oberlack. Darin zeigte sich eine zweifache Geringschätzung, ich hatte keinen Vornamen, und Oberlack war der Mädchenname meiner Mutter. Meinen Vatersnamen sprach man nicht aus, weil mein Vater nicht aus dem Ort stammte und auch schon verstorben war.

Wer keinen Namen hat, ist ein gesellschaftliches Nichts. Den Namen eines Menschen zu kennen und bei der Ansprache zu verweigern, ist eine Form der Missachtung. Das gilt auch für die falsche Aussprache oder Schreibweise eines Namens. Sie wirken wie direkte Angriffe auf die Person.

Ein Jäger kauft bei einem Züchter namens Schindler einen hoch gelobten Schweißhund. Der Hund aber entpuppt sich als Niete beim Aufspüren der Fährten. Da schreibt der Jäger an den Züchter: „Sehr geehrter Herr Schindler, das W, das in Ihrem Namen fehlt, hat Ihr Schweißhund zuviel.“

Der Jäger macht beinah einen Namenwitz. Im Printmedium sind Namenwitze grundsätzlich verpönt. Das Hänseln mit dem Namen gehört in den Kindergarten, und spätestens nach der Pubertät, sollte man es lassen. Ein wenig anders verhält es sich, wenn jemand den Namenwitz provoziert wie etwa die Journalistin Doris Köpf. Nach der Heirat mit Gerhard Schröder stellte sie ihren alten Namen selbstbewusst voran und nannte sich Doris Köpf-Schröder, wie sich hier und hier noch lesen lässt.

Einer Frau vom Fach hätte auffallen müssen, dass Köpf-Schröder zumindest mündlich ein martialischer Imperativ ist, ein Befehlssatz, und ungewollte Komik obendrein. Vielleicht litt sie noch an den Nachwirkungen ihrer Arbeit bei der BILD. Glücklicherweise hat Gas-Gerd seinen Kopf behalten dürfen. Seine Frau heißt inzwischen Doris Schröder-Köpf. Auch „Gas-Gerd“ ist ein Namenwitz, ein Grenzfall, wie man ihn gelegentlich in Bildschlagzeilen finden kann.

Seriöse Redaktionen erlauben sich solche Spielereien nicht. Jeder Volontär lernt als erstes, dass er auf die korrekte Schreibweise von Namen zu achten hat. Das gilt auch für die Berufsbezeichnung, etwaige akademische Titel, für die Namen von Unternehmen, Ämtern usw. Diese Gepflogenheit ist der Faktentreue geschuldet, und der sollte sich auch jeder Blogger verpflichtet fühlen. Dass man hierzu gegebenenfalls nachfragen muss oder gegen recherchieren, dass man sich nie auf eine einzige Quelle verlassen darf, zeigt der Fall Karl-Theodor zu Guttenberg. Ein anonymer Spaßvogel hatte ihm bei Wikipedia einen 11. Vornamen angedichtet. Und alle schrieben den falschen Wilhelm ab, vorneweg BILD: "Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Wilhelm Franz Joseph Sylvester zu Guttenberg - Müssen wir uns diesen Namen merken?" Nein. Wir wollen den nicht.

Der erdichtete 11. Vorname ist als "Wilhelm-Affäre" in die Mediengeschichte eingegangen. Warum kam dem falschen Wilhelm soviel Aufmerksamkeit zu? Lag es allein daran, dass die Presse sich hier selbst vorgeführt hatte, so dass man ihr mangelndes "Recherche-Ethos" vorwerfen konnte, wie es Bildblogger Stefan Niggemeier scheinheilig tat? War es die Empörung über einen pennälerhaften Namenwitz? Wohl kaum. "Nomen est Omen" - der Name ist Vorsehung. Mit dem Namen eines Menschen verbinden sich Reste magischer Vorstellungen. Der Name steht nicht nur für die Person, in der Namensmagie ist er quasi gleichzusetzen mit der Person. Diese Idee zeigt sich beispielsweise im Märchen vom Rumpelstilzchen. Kennt man seinen wahren Namen, erlangt man Gewalt über den Kobold. Er zerreißt sich selbst.

Sage mir deinen Namen ... und ich sage dir, wie du heißt. Und ich gelobe, dich nach bestem Wissen und Gewissen richtig zu schreiben.

Abgelegt unter: Teppichhaus-Textberatung
Vertiefend: Nützliches & Unterhaltsames über Namen
3666 mal gelesen
twoblogs - 1. Feb, 19:58

Gleich verbindet sich die bescheidene Frage, wie Sie denn zu Ihrem Namen kamen? (Teppichhaeuser meide ich; bei T. vermeide ich das Nachschlagen. ;-)
Cordialement ! Audrii

Wie ich zu meinigem kam, finden Sie hier.

Trithemius - 1. Feb, 20:28

Glücklicherweise ...

heiße ich ja nicht wirklich Teppichhaus. Wie es dazu kam, dass meine beiden Blogs Teppichhaus heißen, das ist freilich eine traurige Geschichte, längst nicht so schön wie Ihre. Am Anfang war diese Anzeige:
Teppichhaus02

Teppichhaus01
Nachdem also der alte Teppichhändler mit blutendem Herzen aufgeben musste und die millionenhohen Waren weit unter Wert verscherbelt waren, war der Laden quasi verwaist. Indem nun Teppiche Textilien sind und das Wort Text eigentlich das Gewebte bedeutet, dachte ich mir ...
Bevor er leer steht.

Freundliche Grüße!
nömix - 3. Feb, 11:55

Kalauer mit Namen sollten nur ausnahmsweise gestattet sein, etwa wenn sie sich partout nicht vermeiden lassen – Beispiel der Box-WM-Kampf 2004 Witali Klitschko vs. Danny Williams, als der Titelverteidiger dem Herausforderer paar saftige Kopftreffer zuteil kommen ließ:
    »Klitschko schlägt auf Williams-Birne«

Trithemius - 3. Feb, 15:10

Der Kalauer ist ...

... freilich unschlagbar gut.
pathologe - 3. Feb, 15:13

Ist "Klatsch-K.O." nicht an sich schon so was? Trotz Vitali-sierenden Beigaben?
Trithemius - 3. Feb, 18:29

Zumal klitsch-klatsch so schön ablautet.
DasEv (Gast) - 4. Feb, 13:05

Geständnis

Ich schäme mich! Seit der Lektüre dieses Eintrags ist mir bewusst, dass mein Geist in einem pubertären Reifezustand stecken geblieben ist.
Wie sonst würde es sich erklären, dass ich bei der Lektüre der Wochenendzeitung immer wieder kichernd meinem Mann Todesanzeigen vor die Nase halte (doch ja, ich mag ihn wirklich! ;) ), z.B. die von Helga Krebs ("hihi, woran die wohl gestorben ist?") oder die von Alfons Nagel ("hihi, ich an seiner Stelle würde mich jetzt in Sarg-Nagel umbenennen")....

Trithemius - 4. Feb, 13:33

Nicht nötig, meine Liebe

Auch das Kind in uns will mal seinen Spaß haben.
immekeppel - 4. Feb, 19:34

kenn ich nur zu gut

aus meinem mädchennamen ließ sich wunderbar das wort pisspott ableiten.
aber noch schlimmer dran war der ehemalige hausmeister unserer schule, der hieß pinkelmann. und das auf einem lyzeeum. du glaubst es kaum, wie gern die schülerinnen da jedes mal höflich und vor allem hörbar gegrüßt haben.

das war vor ca 60 jahren, als meine mutter noch auf diese schule ging. letztes jahr traf ich an der tankstelle bei uns oben auf dem berg auf eine kassiererin, die selben namen auf den kittel gestickt trug. auf meine erstaunte frage hin, ob sie etwa mit jenem legendären hausmeister verwandt sei, antwortete sie: aber ja, das ist der onkel meines mannes.

so klein ist die namenswelt, erstaunlich, nicht wahr...

Trithemius - 5. Feb, 14:21

Gut, dass Frau ...

Pinkelmann nicht Klofrau ist. ;) Mit solch einem Namen möchte ich nicht geschlagen sein. Hier ist eine amtliche Änderung gewiss möglich, was freilich ein Bruch mit der Familientradition wäre. Vielleicht: Pink(e)mann? Das wäre doch hübsch.

Dein eigenes Beispiel stelle ich mir belastend vor. Leute, deren Namen sich leicht verballhornen lassen, haben gewiss schon jeden blöden Witz gehört, den man damit machen kann.

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