Zwischen Liegen und Aufstehen

sei-doch-vernünftig!Welch ein seltsam Ding ist das Aufwachen. Gerade noch ist der Wanderer hurtig im Kopf unterwegs, derweil der Körper sich faul auf dem Diwan lümmelt, mal hierhin, mal dahin dreht, gerade wurden mit einem Pferdemädchen Fleißkärtchen fürs Striegeln getauscht, obwohl sich keines dieser seltsamen Geschöpfe im realen Bekanntenkreis befindet und man nie im Leben ein Pony gestriegelt hat und erst recht nicht einen hochrahmigen schnaubenden Hengst – da wirst du wach und weißt sogleich, du bist irgendwer, und am Ende sogar einer, zu dem ein Pferdemädchen Sie sagen würde.

Etwas in mir will liegen bleiben, schiebt nur einen Fuß lasziv übers Laken als gälte es die hübsche Wade einer Frau zu streicheln, etwas anderes mahnt, dass auf dem Tisch ein Manuskriptstapel liegt mit Worten fremder Menschen, die es zu lesen, zu prüfen und eventuell zu glätten gilt. Der Körper, zwei Stunden passiv gewesen, drängt plötzlich ins Bad und gleichzeitig möchte er noch ein bisschen faul auf der Haut liegen, was letztlich beweist, dass er eigentlich handlungsunfähig wäre, wenn nicht irgendwo anders die Entscheidungen gefällt würden. Der Sinn des Sehens strebt übers Fensterkreuz hinaus und trachtet Gesichter in Wolken zu entdecken oder freut sich an Ordnungsstrukturen gerader Linien, die keine sind, sondern aus der Beschränktheit der perspektivischen Wahrnehmung entstehen.

Ach, und die Konsistenz der stillen Herbstluft moduliert, was von der Straße sich in die Ohrmuscheln hineindreht und weitet das Herz. Da ist die Grenze zwischen innen und außen dünn wie ein Hauch, und schon rühren die Töne an vergessenes Weh. Schluss damit! Raff dich endlich und komm mit zwei Beinen auf den Teppich. Du musst arbeiten, einkaufen, dein Tagwerk fortführen. Doch niemals den linken Fuß zuerst aufsetzen! Wer sagt das eine, wer das andere? Welcher vertrocknete Schulmeister pocht mit hartem Knöchel aufs Pult und wieso haust gleich nebenan in einer spinnwebigen Besenkammer ein abergläubisches Weib? Wer hat wann dieses Arschgespann hereingelassen?

Die Vertreter der modernen Hirnforschung sagen, es gebe weder einen freien Willen noch eine ordentliche Leitzentrale, in der das divergierende Hin und Her verwaltet, registriert und gesteuert wird. Die konkurrierenden Aufmerksamkeitsfunken sausen durch das Netz der Hirnzellen, und nach irgendeinem ererbten Plan wird eine Handlung ausgekungelt, bis ich mich also ergebe und meinen rechten Fuß auf den Teppich setze, um mir zuerst einmal einen Kaffee zu machen, um dann nicht zu arbeiten, sondern etwas absolut Müßiges zu tun, nämlich diesen Text zu schreiben. Diesmal hat also die Eitelkeit gesiegt, und sie scheint überhaupt ein zentraler Antrieb menschlichen Verhaltens zu sein, unter dessen Knute auch und vor allem Hirnforscher ducken.

Denn eines haben sie offenbar beim Sondieren des menschlichen Gehirns verloren – die Fähigkeit zu staunen darüber, dass in dem Durcheinander so etwas wie ein konsistentes Ich sich etablieren kann, das mich zum Beispiel nicht glauben lässt, dass ich bei einem Aufwachen ein Pferdemädchen bin und beim nächsten ein professorales Strichmännchen ohne freien Willen, das durch Hörsäle und Talkshows turnt. Nein, trotz irrwitziger neuronaler Prozesse in meinem Kopf, die sich der Wahrnehmung und der genauen Beschreibung entziehen, weiß ich, ich bin derzeit ein Teppichhändler. Und als Teppichhändler frage ich mich, warum ich ausgerechnet einem getriebenen Menschlein etwas glauben sollte, das sich selbst den freien Willen bestreitet.

Guten Abend
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