Wie ich beinahe versehentlich gestorben wäre (5) – Pillen

Der Infarkt ist in jedem Fall ein Einschnitt. Du kannst danach nicht weiter machen wie zuvor, denn du bist durch ihn mit deiner Endlichkeit konfrontiert, begleitet von einem tiefen Misstrauen gegenüber dem eigenen Körper. Das würde sich vermutlich schnell verlieren, aber die Medikamente, die ich morgens und abends nehmen muss, verhindern ein Vergessen und eine Wiederkehr des Selbstvertrauens. Die Medikamente sagen mir, dass ich meinem Körper nur vertrauen kann, wenn ich ihn mit verschiedenen Präparaten diszipliniere.

Ich hasse
das. Ich hasse die Medikamentenpackungen, ich hasse die zweifelhaften Versprechungen der Beipackzettel, hasse die Litaneien von unerwünschten Nebenwirkungen. Hasse die exorbitanten Preise. Indem ich täglich schlucke, was mir die Ärzte verschrieben haben, handele ich ständig gegen meine Natur. Und ich weiß nicht, was davon der Preis des Überlebens, was wirklich unumgänglich ist.

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steppenhund - 18. Sep, 08:37

Bedauern, Glückwunsch und Aufbau

Ich bedaure natürlich, dass es sie erwischt hat und freue mich, dass Sie es geschafft haben. Das allein ist ja schon ein gewisser Glücksfall, wenn die Versorgung rechtzeitig erfolgt.

Zum Aufbau:

Ich kann es gut nach empfinden, wenn man von Medikamenten abhängig ist. Ich bin das defacto auch, obwohl ich es nicht so empfinde. Warum keine Empfindung? Ein lieber Schulfreund von mir hatte vor 8 Jahren einen Nierenkrebs. Nach erfolgreicher Behandlung traten nach 5 Jahren (gerade an der Schwelle zur "jetzt kann man es geistig ablegen" Mestastasen auf.
Jetzt darf er Interferon-ähnliche Präparate zu sich nehmen, die in wirklich etwas Schlimmes bedeuten. Die müssen nämlich jedes halbe Jahr gewechselt werden, damit die Wirkung nicht abflacht. Die Zeiten des Wechsels bedeuten dann jeweils 2-3 Wochen gröbere Beschwerden.
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Ich selbst muss blutdrucksenkende Mittel nehmen. Regelmäßig. Wenn ich sie auslasse, wird das Herz zu stark belastet und ich bekäme Wasser in den Beinen. Das ist eine Folgeerscheinung, die wirklich einen hohen Blutdruck sichtbar macht. Daher fällt es mir jetzt viel leichter, das Medikament "regelmäßig" zu nehmen.
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Ich würde kein Medikament brauchen, wenn ich 25 kg abnehmen würde. Bewegung, Bewegung, Bewegung. Ich weiß das eh. Aber so richtig überzeugt es mich nicht. Ein anderer Freund von mir, gleichaltrig, fährt Segelregatten, gewinnt Meistertitel und hat zwei künstliche Knie.
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Der Hybridcharakter des alternden Menschen schreckt mich nicht mehr. In meiner Schulter ist nach einem Sturz titanverstärkt, meine Zähne haben Fremdkörper in sich, und jetzt wird halt der Metabolismus noch ein bisschen gedopt.
Ich sehe es als eine Gleichgewichtsgeschichte an. Als Krüppel fühle ich mich deswegen nicht. Das Gefühl könnte sich höchstens aufgrund der Verschlechterung meines Kurzzeitgedächtnisses einstellen. Darunter leide ich mehr als unter den Medikamenten. So ein kleines Interface ins Hirn mit Anschluss eines Speichers, von dem ich die Daten dann abrufen kann, käme mir schon gelegen.
Aber dann tröste ich mich mit dem Gedanken, dass ich wahrscheinlich nur von früheren Zeiten verwöhnt bin, als ich mir alles gemerkt habe.
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Resumee: Beta-Blocker sind nicht der Untergang der Welt. Die Regelmäßigkeit auch nicht. Und Saufen darf man nebenher ja trotzdem noch:)

Trithemius - 18. Sep, 09:10

Dankeschön für Ihre aufbauenden Worte. Inzwischen habe ich mich schon ein bisschen mit der neuen Situation arrangiert. Während meiner Kur habe ich eine ganze Reihe von Leuten erlebt, die wesentlich schlechter dran waren als ich und deren Medikamentenlisten deutlich länger waren als meine. Das tröstet für einen Augenblick, aber da misst man sich nicht mit Gesunden, sondern mit Patienten. Ich bin vor allem für Ihren Hinweis auf den Glücksfall dankbar, dass ich überlebt habe. Es ist nicht selbstverständlich, nicht in früheren Zeiten und nicht an anderen Orten.

Ich kann beinah ein normales Leben führen. Bewegt habe ich mich ohnehin viel, mein Gewicht ist OK, ich ernähre mich fettarm, allein das Rauchen musste ich aufgeben. Aber es scheint etwas verloren zu sein, was die Quelle meines Glücks gewesen ist über viele Jahre, die Kreativität, der künstlerische Schaffensdrang. Da hoffe ich sehr auf ein Wiedererstarken, auf ein erneutes Aufsprudeln der Quelle, sonst würde sich das Tablettenschlucken einfach nicht lohnen.

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