Rosa Zeiten für Kinder
von Trithemius - 5. Mär, 21:29
Man sollte nicht denken, dass es rosige Kinder nur auf Plakaten gibt. Heute habe ich so ein Glückskind auf der Straße gesehen. Es war ein magerer kleiner Junge, der im sicheren Abstand hinter einem Mann herging und trotzdem versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Der Kleine trug eine schwarze Lederjacke wie der Mann, und mit gutem Willen könnte man die Gesichtsfarbe des Jungen rosa nennen. Das hatte jedoch mit dem raschen Gehen und der Kälte zu tun. Die kurzen Haare des Jungen waren mit Gel zu einem Kamm aufgestellt. Seine Miene angestrengt, ängstlich verzerrt, und Augen, die offenbar schon Übles gesehen hatten. Er war ein frühreifes Kind und wirkte so rachitisch, als sollte er nie so alt werden wie er aussah.
Es hat eine innere Logik, dass Kinder in schwierigen Lebensverhältnissen rascher altern, denn Armut verkürzt die Lebenserwartung. Darum müssen Arme auch früher als gewöhnlich Kinder zeugen oder bekommen. Denn auch Arme fühlen sich von der Natur zur Fortpflanzung gedrängt, und gerade dann, wenn die Verhältnisse hart sind. Allerdings hinkt hier die natürliche Prägung der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher. In früheren Zeiten waren viele Kinder die Altersversorgung der Eltern. Heute sind Kinder ein Armutsrisiko. Und arme Eltern entlassen ihre Kinder ebenfalls in die Armut, denn mit einfacher Arbeit lässt sich der Lebensunterhalt nicht mehr verdienen, und das gilt nicht nur für Unqualifizierte, sondern auch für viele Angehörige des ehrlichen Handwerks.
Woran liegt das nur? Unsere Gesellschaft verliert die Mittelschicht. Sie teilt sich in arm und reich. Eine Gesellschaft mit schwacher Mittelschicht organisiert sich, soziologische betrachtet, vertikal. Das heißt, die gesellschaftlichen Schichten sind nur wenig durchlässig, weil ein Bindeglied fehlt. In einer solchen Gesellschaft kann man kaum aufsteigen. Dadurch verringert sich die Effizienz einer Gesellschaft, denn wo es keine Durchmischung gibt, können sich Talente aus unteren Schichten nicht entwickeln und somit nichts zur gesellschaftlichen Produktivität beitragen. Diese beunruhigende Entwicklung vollzieht sich nicht im Verborgenen. Die neoliberalen Politiker der herrschenden Parteien lassen sie sehenden Auges zu. Nach Auskunft der Sozialverbände begann die Verteilung von unten nach oben mit der Ära Helmut Kohl. Die Hartz-Beschlüsse der Regierung Schröder unter Mitwirkung der CDU/CSU haben die Ausplünderung der unteren und mittleren Schichten noch verschärft. Und unter Merkel geht es radikal weiter, denn inzwischen kann man da leider nichts mehr machen. Es liegt alles nur an der bösen Globalisierung.
Unsere Gesellschaft sei „Wildwest ohne Sheriff“, sagt der Kabarettist Georg Schramm. Gewiss könnte der Kleine von heute Nachmittag genau sagen, wie sich das anfühlt.
Guten Abend