Kopfkino - Bitte warten
von Trithemius - 30. Mär, 20:32
Obwohl noch heller Tag muss ich Licht machen, damit nicht wieder die Dunkelheit über mich hereinbricht, derweil ich nur Augen für Tastatur und Bildschirm habe, wie es gestern geschah. Plötzlich hielt ich mit dem Schreiben inne. Nur der Bildschirm spendete Licht, und ich hockte davor wie an einem Herdfeuer. Mir war, als wäre ich aus der Welt gerutscht. Doch der Bildschirm ist ein Bildschirm, ein Herdfeuer ist ein Herdfeuer, und tatsächlich rutschte ich erst in der Nacht aus der Welt. Ich lag wach, horchte in die Stille und wie ich rückwärts hochschaute, war über meinem Kopfkissen ein schmaler gelber Lichtfleck an der Wand, der wie ein Irrlicht zitterte. Wo kam er her? Natürlich, ich hatte die Vorhänge des östlichen Fensters nicht richtig zugezogen, das Irrlicht kam von der Laterne draußen. Ein heftiger Nachtwind zerrte an ihr.
Da stellte ich mir vor, einen Text zu schreiben, meine Gedanken sollten zur Wand hochgehen, den Lichtschein einfangen und darauf zum hohen Fenster gleiten, sich den Weg durch die Vorhänge suchen und in die Leuchtröhre der im Wind schaukelnden Laterne eintauchen. Hier wäre keine nächtliche Stadt und kein Wind, - hier ist im hellen Licht nicht einmal ein Gedanke außer meinem. Und der droht wie ein Insekt zu verschmoren. Und doch, es ist so schön, den Gedanken eine Weile zu lassen, wo nicht Welt ist, sondern Licht. Allerdings, das gebe ich zu, ein Gedanke außerhalb der Welt ist reine Spielerei und zu nichts wirklich gut.
Dass ich aus der Welt rutschte, hat nichts mit dem im Licht verlorenen Gedanken zu tun. In den Nachrichten wurde berichtet, dass man die Zeit umgestellt habe, just als mein Gedanke in der Laterne verschwand. Also, man sagte nichts über meinen verlorenen Gedanken, sondern über eine Stunde, die verloren ging, ohne dass ich es bemerkte. Da war kein Rumpeln aus gigantischen Räderwerken, kein irres Rasen von Zahnrädern, kein Rasseln von Antriebsketten. Nichts war zu hören. Die Nacht war still. Es ging nur ein heftiger Wind.
Heute Morgen sah ich, dass den Uhren nicht mehr zu trauen ist. Sie zeigen verschiedene Stunden an. Mal war sieben, mal acht, o Gott, wo gehöre ich hin? Meine innere Uhr neigt der Vergangenheit zu, will sieben haben, wo acht ist. Wie soll ich sie dazu bewegen, den Zeitsprung zu machen, wo ich doch selber nicht springen will. Alles in mir verweigert den Zeitverschiebern die Gefolgschaft. Was bilden sich die Herrschaften ein? Wer hat sie befugt, meinen Zeittakt zu verändern? Das ist keine kleine Sache, um Himmels willen nicht. Denn ich habe kein Räderwerk in mir, das sich so einfach beschleunigen oder bremsen lässt. Für solche Eskapaden bin ich nicht angefertigt.
Über meinem Kopf mag ein huschender Lichtschein sein, der meine Gedanken einfängt und nach draußen holt. Doch eitle Herrschaften, die sich erfrechen, an der Zeit zu schrauben, die dulde ich über mir nicht. Ach, diese meine Klage ist schon unerhört, bevor sie Gestalt gewonnen hat. Ich bin aus der Zeit gerutscht und kann nichts machen. Fortan werde ich überall zu spät kommen, selbst wenn ich mich der neuen Uhrzeit unterwerfe. Wir treffen uns um acht? Gut, das kann ich einrichten. Äußerlich werde ich da sein, doch mein Inneres ist eine Stunde zurück. Wir müssen warten.
In der Dämmerung hat es zu regnen begonnen. Von der Straße her zischen die Autoreifen. Ich schaue aus dem Fenster. Eine Frau mit Kapuzenjacke geht vorbei, hält unterm Regen den Kopf gesenkt und hat die Hände in den Taschen. Seltsam, sie fröstelt um zwanzig vor acht und ich sehe sie um zwanzig vor sieben. Am Himmel jagen graue Wolken, die Laterne schaukelt im Wind. Gleich wird sie aufflammen. Dann hole ich mir meinen Gedanken zurück. Was er zu berichten weiß, schreibe ich später. Man wird warten müssen, bis ich in der Zeit angekommen bin.