Träumen und Wachen
von Trithemius - 8. Apr, 19:20
Träumen und Wachen – welcher der Daseinszustände des Menschen hat Vorrang? Dient die Nacht dem Tag oder dient der Tag dem Traum? Im Traum kennt der Mensch weder Handlungsfreiheit noch Moral. Er ist ein Getriebener seiner Natur. Sie schafft Bilder und Situationen, und dem Träumenden bleibt nur zu reagieren, die absonderlichsten Vorgänge zu erleben und die seltsamsten Dinge zu tun. Im Schlaf zeigt sich das innere Tier.
Bei Tage pflegen die meisten Menschen, das innere Tier zu verhüllen, vor sich und den anderen. Das wache Bewusstsein bemüht sich um die Kontrolle jener tierischen Eigenschaften, die in der jeweiligen Lebenswelt nicht erwünscht sind oder keinen Erfolg versprechen. Denn es gilt, das Tier zu ernähren, ihm Kälteschutz zu besorgen, seine Fortpflanzung und seine Erholung zu organisieren, die Freude am Spiel zu bedienen und all jene Dinge, die zum Wohlbefinden des Tieres notwenig sind.
Gestern Nacht fiel mir auf, dass ich die rauschhafte Musik der Tastatur nicht mehr höre. Ich kann mich nicht einmal mehr an die eigenartige Melodie erinnern. Vermutlich bin ich geheilt. Es gab eine Zeit, da erklang Tastaturmusik, sobald ich mit dem Schreiben begann. Eigentlich schrieb ich nicht, schob nicht, sondern wurde geschoben. Die Musik der Tastatur riss mich einfach fort. Natürlich höre ich noch heute beim Schreiben einen Rhythmus. Doch er ist keine Melodie, sondern taktet die Sätze nur und ordnet sich meist den Gedanken unter. Woher kam die Melodie? Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass ich damals andere Worte schrieb. Der Wortschatz hat sich nicht wesentlich verändert, nur die Reihung der Wörter zu Worten, die Inhalte haben sich verändert.
Kein Rausch ist auf Dauer gesund, und so ist es auch nur eine Weile angenehm, sich im wachen Zustand einen tierischen Wahn zu gestatten und Träume in die Wachwelt zu holen. Sobald man nämlich dem inneren Tier den ungehemmten Zugriff gestattet auf die Waffen des Intellekts, der Willkür und der Fähigkeiten, gewinnt es eine ungute Macht.
Jede Kunst fordert die Nähe zum inneren Tier. Und die wahre Kunst besteht darin, die Zügel locker zu lassen und trotzdem im Sattel zu bleiben. Wenn es gelingt, dem Tier einen beständigen Trab beizubringen, geraten die Dinge leicht, und das Reiten geht einfach. Uns so ist auch der Satz zu verstehen, der fürs Schreiben wie für alle Künste gilt: „Was sich zuletzt erst erlernen lässt, ist Einfachheit.“
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Bei Tage pflegen die meisten Menschen, das innere Tier zu verhüllen, vor sich und den anderen. Das wache Bewusstsein bemüht sich um die Kontrolle jener tierischen Eigenschaften, die in der jeweiligen Lebenswelt nicht erwünscht sind oder keinen Erfolg versprechen. Denn es gilt, das Tier zu ernähren, ihm Kälteschutz zu besorgen, seine Fortpflanzung und seine Erholung zu organisieren, die Freude am Spiel zu bedienen und all jene Dinge, die zum Wohlbefinden des Tieres notwenig sind.
Gestern Nacht fiel mir auf, dass ich die rauschhafte Musik der Tastatur nicht mehr höre. Ich kann mich nicht einmal mehr an die eigenartige Melodie erinnern. Vermutlich bin ich geheilt. Es gab eine Zeit, da erklang Tastaturmusik, sobald ich mit dem Schreiben begann. Eigentlich schrieb ich nicht, schob nicht, sondern wurde geschoben. Die Musik der Tastatur riss mich einfach fort. Natürlich höre ich noch heute beim Schreiben einen Rhythmus. Doch er ist keine Melodie, sondern taktet die Sätze nur und ordnet sich meist den Gedanken unter. Woher kam die Melodie? Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass ich damals andere Worte schrieb. Der Wortschatz hat sich nicht wesentlich verändert, nur die Reihung der Wörter zu Worten, die Inhalte haben sich verändert.
Kein Rausch ist auf Dauer gesund, und so ist es auch nur eine Weile angenehm, sich im wachen Zustand einen tierischen Wahn zu gestatten und Träume in die Wachwelt zu holen. Sobald man nämlich dem inneren Tier den ungehemmten Zugriff gestattet auf die Waffen des Intellekts, der Willkür und der Fähigkeiten, gewinnt es eine ungute Macht.
Jede Kunst fordert die Nähe zum inneren Tier. Und die wahre Kunst besteht darin, die Zügel locker zu lassen und trotzdem im Sattel zu bleiben. Wenn es gelingt, dem Tier einen beständigen Trab beizubringen, geraten die Dinge leicht, und das Reiten geht einfach. Uns so ist auch der Satz zu verstehen, der fürs Schreiben wie für alle Künste gilt: „Was sich zuletzt erst erlernen lässt, ist Einfachheit.“