Plausch mit Frau Nettesheim - Internetkunst ist kein Entenrennen - Manifest der Netzpataphysik
Trithemius
Wie gefällt Ihnen der Text Ihres neuen Freundes Paul Duroy, Frau Nettesheim?
Frau Nettesheim
Er ist ausgezeichnet.
Trithemius
Wer, Paul?
Frau Nettesheim
Trithemius, jetzt spielen Sie nicht den Eifersüchtigen.
Trithemius
Na gut, ich finde „Schöner Scheitern“ ebenfalls ausgezeichnet. Duroys Text gibt nicht nur Denkanstöße, sich neu im Leben zu orientieren, sondern ist auch ein künstlerisches Manifest. Es propagiert Kunst, die sich den Zwängen des Marktes entzieht, überhaupt nichts mit diesem Entenrennen zu tun haben will. Sie findet im Leben statt und nicht in Museen oder auf dem Kunstmarkt. "Nimmst du Eintritt?", hat Günter Perplies mich gefragt. Ich sage: "Nein!", sagt er: "Wir auch nicht." Es ist wunderbar, dass er sogleich verstanden hat, worum es geht, obwohl eine Galerie normalerweise vom Kunsthandel lebt.
Frau Nettesheim
Wenn diese Kunst nicht auf den Kunstmarkt drängt, wohin dann?
Trithemius
Sie sucht den Kontakt und die Interaktion mit allen, die sich angesprochen fühlen. Jeder Künstler schafft sein Werk nur zu 50 Prozent. Ein Buch, das niemand aufschlägt, ist tot, ein Bild, das keiner betrachtet, existiert nicht. Die 50 Prozent zum Leben von Bild und Buch geben die Leser, Betrachter und Kommentatoren hinzu, indem sie das Angebot durch ihren Kopf schicken und mit der Bedeutung versehen, die es für sie hat. Aber sie sind bei den klassischen Medien stumm, Rezipienten, keine Produzenten. Im Internet ist es völlig anders. Hier nehmen sie teil an einer Kunst, deren wesentliches Merkmal die Interaktion innerhalb eines Netzwerkes ist. So sind alle interaktiven Projekte des Teppichhauses zu verstehen, die fünf Lesenächte, die Freitagsdiskussion, die Papiere des PentAgrion, das Hin- und Herkommentieren, und die Steigerung ist meine pataphysikalische Forschungs- und Lesereise. Wer mich für eine Nacht beherbergt, für den lese ich, und damit ist er Teilnehmer und Mitgestalter einer sozialen, interaktiven Kunstaktion. Und so verbietet sich, dass es dabei um Geld geht. Geld hat überhaupt nichts verloren in einer solchen Aktion. Das Motto des Teppichhauses ist seit den Anfängen: Klaut alles. Das schließt eine kommerzielle Nutzung aus.
Frau Nettesheim
Wollen Sie aufhören zu essen?
Trithemius
Hab schon mal dran gedacht, aber aus anderen Gründen. Sie lenken mich ab, Frau Nettesheim. Es gibt ja bereits ein neues Mäzenatentum im Netz, Leute sponsern Wikipedia oder die Entwickler von Opensource-Programmen. Verstehen Sie doch, wer Wissenschaft, Literatur und Kunst im Internet anbietet, der wechselt nicht einfach nur vom Papier ins Digitale. Er muss auch seine Denkrichtung ändern, sonst nutzt er das Internet wie eine Litfaßsäule, die ja von dem Buchdrucker Ernst Litfaß erfunden wurde, als Einkanalmedium. Wer das Internet als Einkanalmedium begreift, wer es mit dem Denken der Buchkultur angeht, hat zwar einen Porsche, fährt aber nur im 1. Gang. Es geht um den Aufbau und die Weiterentwicklung von Netzwerken, in denen soziale Energie fließen kann.
Frau Nettesheim
Eine soziale Plastik, wie sie Joseph Beuys propagiert hat?
Trithemius
So ähnlich. Mir gefällt das Wort Plastik nicht, weil es zu statisch klingt. Soziale Netzwerke sind dynamisch, verändern beständig ihre Form, erweitern, verästeln sich, und wo sie sich verdichten, da ist ein schöpferisches Hin und Her, erfasst das Leben jedes Teilnehmers und gibt ihm neue ungeahnte Qualität. Es ist leicht, es hat Witz und steht weit über den bedrückenden Zwängen, die sich in unseren Gesellschaften aufbauen.
Frau Nettesheim
Das klingt hübsch. Haben Sie etwa einen neuen Weg für sich gefunden, Trithemius?
Trithemius
Und einen neuen Kunstbegriff. Es fehlte mir bis vor kurzem die Radikalität, die in Duroys Text zum Ausdruck kommt. Manchmal habe ich noch mit einem Auge zum Printmedium rüber geschielt, überlegt, ob ich wieder mal was für die Titanic schreiben soll und so. Aber das war jedes Mal ein Rückfall in altes Denken, ins Denken der Buchkultur. Das Internet ist keine stumme Erinnerungsoberfläche, es ist wie eine riesige wandernde Parabolantenne, die Impulse auffängt und wieder abstrahlt. Diese Antenne lässt sich nutzen als soziale Vernetzungsmaschine, mit der sich Zeit, Raum und andere Einschränkungen überwinden lassen. Wer daran mitwirkt, verdichtet das Internet und bereichert sein Leben.
Frau Nettesheim
Weshalb Sie sich Internetdichter nennen.
Trithemius
Einer muss den Anfang machen mit der NETZPATAPHYSIK. Schließlich haben wir ein Teppichhaus, Frau Nettesheim, kennen uns also aus mit Knüpftechniken.
''Der Künstler steht zwischen den Tagen wie ein Scharnier." (Paul Duroy)
Eugene Faust: Blogger zwischen Hannover und Aachen aufgepasst!
Heinrich: Wer mit dem Teppich fliegt, braucht kein Kettenschloss
videbitis: Aushang rechts neben der U-Bahnstation am Neumarkt
Einhard: Wichtiger Hinweis - "Was zum Henker ist pataphysisch?"
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Vielen Dank,
Trithemius
Mehr über den Leseort Kerstensche Pavillon