Das Gesicht des Büttels - Mein surrealer Alltag (20)

Es ist schrecklich, auf den Gerichtsbüttel zu warten. Er ist schon unterwegs, und obwohl draußen die Sonne lacht, wirft diese Ahnung einen Schatten auf mich und verdunkelt mein Gemüt. Ist dieser schreckliche Mensch noch am anderen Ende der Stadt oder richtet er seine mitleidslosen Augen schon auf meinen unglücklichen Nachbarn, derweil er ihm die Daumenschraube fester zieht, um zu sehen, was aus ihm herauszuquetschen ist? Diese Gerichtsbüttelhand, die jederzeit bereit ist, Schreckliches zu tun, vielleicht schwebt sie bereits über meiner Klingel und wird sie, wenn nicht in dieser Sekunde, dann in der nächsten lang und anhalten pressen.

Ich weiß nicht, wo ich mich lassen soll, denn egal wo ich bin, entrinnen werde ich nicht. Eine Weile bin ich hin und her gegangen, habe sogar gewagt, aus dem Fenster zu schauen. Da sah ich eine gut gekleidete Frau, die ihre blonden Haare sorgfältig zu einem Zopf geflochten hatte, eine durchaus angenehme Erscheinung, hätte sie nicht einen kleinen gescheckten Hund an der Leine gehabt und ihm aufmerksam zugeschaut, wie er seine Notdurft im Eingang des Kinderspielplatzes verrichtete, danach mit seinen stummeligen Hinterbeinen scharrte, so dass Erde und kleine Blätter aufstoben. Da hoffte ich, just in diesem Moment würde der Gerichtsbüttel um die Ecke biegen und „Eingehalten!“ donnern, den leer geschissenen Hund noch im Scharren ergreifen und mitsamt seiner zuckenden Beinchen in die schwarze, lederne Gerichtsbütteltasche quetschen. Und sie stockstarr und stumm vor Entsetzen, sie würde er mit harter Hand beim Haarstrang packen und die Straße hinunter zum Amtsgericht schleifen, mich hingegen vergessen.

Es kann dem Gerichtsbüttel doch eigentlich egal sein, wen er der unerbittlichen Gerichtsbarkeit unterwirft. Und ist nicht mein Vergehen klein genug, dass man es vergessen könnte? Was habe ich denn getan? Nichts. Ich habe nichts getan, aber das … Da! Die Klingel schnarrt! Ich muss den Hörer abheben. „Schnell“, sagt er, „ich komme von der Stadt Hannover.“ Es hilft doch nichts, er will herein. Die Stadt Hannover schickt ihn, und wer wagt schon, sich gegen eine ganze Stadt zu stellen. Man hat Mittel, das weiß jedes Kind.

Er kommt die Treppe herauf, runde, weiche Gesichtszüge, ein gutes Gesicht. Die mit dem guten Gesicht sind gewiss die Schlimmsten. Du bist ihnen noch dankbar, wenn sie dich martern, denn sie schauen dich an mit ihrem guten Gesicht und du denkst, es muss richtig sein, was die Stadt mir antun lässt. Denn könnte der Büttel sein gutes Gesicht bewahren, hätte er mit Unschuldigen zu tun?

Ich bitte ihn herein und an den Tisch, setzte mich selbst an das Kopfende, und er nimmt den Stuhl an der Breitseite an. Was will er? Geld, das er für die GEZ eintreiben soll, für ein Empfangsgerät, das ich nicht besitze. Aber ich habe vor Jahren eine Unterschrift für andere geleistet, und die haben wohl die Zahlungen eingestellt.

„Sie sind dran!“, sagt er, „auch wenn Sie unschuldig sind.“ Ich frage: „Habe ich ein Widerspruchsrecht?“ „Nein“, sagt er, „der Christian Wulff hat es abgeschafft, als er hier Ministerpräsident war. So geht es zu in diesem Staat, der Bürger wird allein gelassen mit seinen Sorgen und Nöten. Sie reden vom schlanken Staat, doch meinen den schwachen Staat, in dem die Gesetze gemacht werden für den Geldadel. Aber was wundern Sie sich? Ist es nicht immer so gewesen? Sie wählen, aber das tauscht nur die Köpfe aus. Die hier das Sagen haben, brauchen Repräsentanten, und sie suchen sich nicht die Besten aus, sondern solche, die es nach Macht gelüstet und bereit sind, das Volk zu knechten. Hören Sie nicht auf ihre Reden, glauben Sie nicht, was ihre Vasallen und Speichellecker sagen. Schaffen Sie sich nie wieder ein Fernsehgerät an. Es ist die Maschine, mit der Ihr Gehirn gewaschen wird.“

„Aber Herr Büttel, was reden Sie da? Wenn Sie so weiter machen, wird man einen Grund finden, Sie zu erschießen.“
„Ja, so wird es wohl kommen, wenn ich mein Gesicht behalten will“, sagt er düster, nimmt mein Geld und geht davon.

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