Guter Ort, abseits der Welt - Deutschland südost (4)
von Trithemius - 11. Feb, 17:34
1) Mal hören, wie die reden
2) Häuser zum Fürchten
3) "Wir wussten ja nichts!"
Du lieber Himmel, ist es hier kalt. Wann immer man aus dem Windschatten eines Gebäudes tritt, packt einen der eisige Sturmwind, der mutwillig durch die weiträumige Klosteranlage pfeift. Oben durch die kahlen Baumwipfel des finsteren Kalvarienbergs scheint ein Güterzug zu brausen. Da wird der Herrgott erbärmlich frieren an seinem Steinkreuz. In das Tosen des Windes mischt sich das Rauschen des Neißewehrs. Das Erdgeschoss des Gästehauses St. Franziskus liegt im Dunkeln, was die Schäden noch trostloser wirken lässt. Der Bewegungsmelder reagiert und schaltet das Licht der oberen Etagen an. Hier, nahe der Neiße, hat das Wasser mannshoch gestanden. Bis über meinen Kopf ist der Putz abgeschlagen und das Mauerwerk freigelegt. Ich suche mir einen Weg durch den Schutt. Es riecht nach Moder. Mein Zimmer liegt auf der zweiten Etage, erreichbar über eine knarrende alte Holztreppe. Sie soll mich in den drei Tagen meines Aufenthalts noch öfter narren, denn es hört sich an, als folge mir jemand, so dass ich mich mehr als einmal umdrehe.
Ich habe ein hübsches Doppelzimmer unterm Dach, weißgetüncht, schwarzes Gebälk und zwei Dachgauben. Man darf in einem katholischen Kloster keine französischen Doppelbetten erwarten. Die schmalen Betten sind übereck angeordnet, getrennt durch einen hellgrauen Kleiderschrank. Die Fenster zeigen nach Osten, zum geschlossen Klosterbereich hin. Eines ist genau über dem ebenfalls grauen Schreibtisch. Ich verstaue meine Sachen und erkunde mein kleines Reich. An den Raum muss ich mich noch gewöhnen, das zeigt er mir, nachdem ich vom Schreibtisch aufstehe und mir an der Gaubenwand den Kopf anstoße. Das Bett hingegen ist zu weich, schlecht für meinen Rücken. Trotzdem schlafe ich hier gern.
Es ist ein guter Ort, so ganz aus der Welt, ringsum die unbändige Natur, und man wähnt sich dem Sternenhimmel nah. Vermutlich hatten das schon die Heiden erkannt, bevor das Kloster im Jahr 1234 gegründet wurde. Dass Klöster, Kirchen, Kapellen, Wegkreuze fast immer auf alten Kultplätzen stehen, ist dem Überwindungsgedanken geschuldet, wie auch die Mönche in den Skriptorien die heidnischen Texte antiker Autoren vom Pergament schabten, um sie mit christlichen Texten zu überschreiben (Palimpseste). Mein Mobiltelefon piepst. Der polnische Netzanbieter hat mir eine Tarifinformation geschickt. Zugang zu einem deutschen Netz hat man allenfalls oben an der Straße. Da habe ich früher oft gestanden, um zu telefonieren, vom kalten Wind gezaust, die dunkle Klosteranlage zu meinen Füßen, kaum ein Licht ringsum, und mich fragend, was um Himmels Willen mache ich hier?
Ja, was? Das Kloster ist unter anderem mit Mitteln der Bundesstiftung Umwelt restauriert und zum Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) ausgebaut worden. Diese größte Umweltstiftung Europas finanziert auch die medienkundlichen Seminare, die hier im Winterhalbjahr stattfinden. In den letzten Jahren hat die der Kollege aus dem Osten abgehalten, der jetzt im Krankenhaus liegt. Davor war ich ziemlich oft hier. Bei meinem letzten Aufenthalt war das Internationale Begegnungszentrum St.-Marienthal beinah fertig restauriert, und jetzt fängt man wieder von vorne an, deprimierend. Ich packe mich wieder ein, gehe hinüber zum Speisesaal, stelle mich den Leiterinnen der Seminargruppe vor und erläutere, was wir am nächsten Tag machen werden.
Fortsetzung Choräle der Meißel
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2) Häuser zum Fürchten
3) "Wir wussten ja nichts!"
Du lieber Himmel, ist es hier kalt. Wann immer man aus dem Windschatten eines Gebäudes tritt, packt einen der eisige Sturmwind, der mutwillig durch die weiträumige Klosteranlage pfeift. Oben durch die kahlen Baumwipfel des finsteren Kalvarienbergs scheint ein Güterzug zu brausen. Da wird der Herrgott erbärmlich frieren an seinem Steinkreuz. In das Tosen des Windes mischt sich das Rauschen des Neißewehrs. Das Erdgeschoss des Gästehauses St. Franziskus liegt im Dunkeln, was die Schäden noch trostloser wirken lässt. Der Bewegungsmelder reagiert und schaltet das Licht der oberen Etagen an. Hier, nahe der Neiße, hat das Wasser mannshoch gestanden. Bis über meinen Kopf ist der Putz abgeschlagen und das Mauerwerk freigelegt. Ich suche mir einen Weg durch den Schutt. Es riecht nach Moder. Mein Zimmer liegt auf der zweiten Etage, erreichbar über eine knarrende alte Holztreppe. Sie soll mich in den drei Tagen meines Aufenthalts noch öfter narren, denn es hört sich an, als folge mir jemand, so dass ich mich mehr als einmal umdrehe.
Ich habe ein hübsches Doppelzimmer unterm Dach, weißgetüncht, schwarzes Gebälk und zwei Dachgauben. Man darf in einem katholischen Kloster keine französischen Doppelbetten erwarten. Die schmalen Betten sind übereck angeordnet, getrennt durch einen hellgrauen Kleiderschrank. Die Fenster zeigen nach Osten, zum geschlossen Klosterbereich hin. Eines ist genau über dem ebenfalls grauen Schreibtisch. Ich verstaue meine Sachen und erkunde mein kleines Reich. An den Raum muss ich mich noch gewöhnen, das zeigt er mir, nachdem ich vom Schreibtisch aufstehe und mir an der Gaubenwand den Kopf anstoße. Das Bett hingegen ist zu weich, schlecht für meinen Rücken. Trotzdem schlafe ich hier gern.
Es ist ein guter Ort, so ganz aus der Welt, ringsum die unbändige Natur, und man wähnt sich dem Sternenhimmel nah. Vermutlich hatten das schon die Heiden erkannt, bevor das Kloster im Jahr 1234 gegründet wurde. Dass Klöster, Kirchen, Kapellen, Wegkreuze fast immer auf alten Kultplätzen stehen, ist dem Überwindungsgedanken geschuldet, wie auch die Mönche in den Skriptorien die heidnischen Texte antiker Autoren vom Pergament schabten, um sie mit christlichen Texten zu überschreiben (Palimpseste). Mein Mobiltelefon piepst. Der polnische Netzanbieter hat mir eine Tarifinformation geschickt. Zugang zu einem deutschen Netz hat man allenfalls oben an der Straße. Da habe ich früher oft gestanden, um zu telefonieren, vom kalten Wind gezaust, die dunkle Klosteranlage zu meinen Füßen, kaum ein Licht ringsum, und mich fragend, was um Himmels Willen mache ich hier?
Ja, was? Das Kloster ist unter anderem mit Mitteln der Bundesstiftung Umwelt restauriert und zum Internationalen Begegnungszentrum (IBZ) ausgebaut worden. Diese größte Umweltstiftung Europas finanziert auch die medienkundlichen Seminare, die hier im Winterhalbjahr stattfinden. In den letzten Jahren hat die der Kollege aus dem Osten abgehalten, der jetzt im Krankenhaus liegt. Davor war ich ziemlich oft hier. Bei meinem letzten Aufenthalt war das Internationale Begegnungszentrum St.-Marienthal beinah fertig restauriert, und jetzt fängt man wieder von vorne an, deprimierend. Ich packe mich wieder ein, gehe hinüber zum Speisesaal, stelle mich den Leiterinnen der Seminargruppe vor und erläutere, was wir am nächsten Tag machen werden.
Fortsetzung Choräle der Meißel