wellen, wellen, wellen
von Trithemius - 9. Aug, 08:26
In frischer Morgenluft fuhr ich mit dem Rad ein Stück die Ihme hinauf, vorbei am Wehr, wo aus dem schnellen Graben das Wasser der Leine in die Ihme stürzt. Auf der Wiese wurden zu mietende Kanus von Anhängern abgeladen. Kleine Gruppen standen beieinander und wurden für Kanufahrten instruiert. Jeder hatte schon die leuchtend orangefarbene Schwimmweste umgetan. Ich überquerte die Leinebrücke zum Maschsee hin. Ah, wie sanft die Leine dahin zieht mit dem wenigen Wasser, das man ihr gelassen hat.
Vorher war die Ihme vom Uferweg nicht zu sehen gewesen. Ein Meer von hohen Stauden verwehrt die Sicht. Das Kraut blüht dunkelrot mit einem Stich zum Violetten, und die Blüten duften durchdringend bis hart an den Rand des Unangenehmen. Vermutlich ist das Zeug von irgendwo eingewandert, sein Same mit Meteoriten von fernen Planten zu uns gekommen, und breitet sich langsam von der Ihme aus, um irgendwann den ganzen Planeten zu erobern. Man soll nicht sagen, ich hätte nicht gewarnt.
Aber egal jetzt. Es rollt so schön am Maschsee entlang. Da sind schon die ersten Zelte vom Machseefest. Zum Glück haben alle Vergnügungstempel, Sauf- und Fressbuden noch geschlossen. Ich kann ungehindert durch die stille Budengasse am Nordufer entlang der Promenade rollen und mich an die Umrundung des Maschsees machen. Doch da lockt in der Sonne eine leere Bank. Warum nicht hier eine Weile sitzen? Es ist ja noch so früh!
Ein leiser Wind streicht von Süden über den See und kräuselt die Wasserfläche. Kleine Wellen streben dem Nordufer zu. Nach einer Weile frage ich mich, was geschieht, wenn sie an die Ufermauer treffen. Wohl gar nichts; sie werden sich nicht auftürmen dort. Dazu sind sie zu schwach. Sie werden einfach aufhören, Wellen zu sein.
Ach, wie dumm die deutsche Sprache doch ist, indem sie jederzeit liebedienerisch Substantive anbietet für Vorgänge. Indem wir eine Bewegung „Welle“ nennen, denken wir wie Starrköpfe. Wir haben zwar das Verb „wellen“, nutzen es aber selten. Denn wollte ich schreiben „Das Wasser wellt sich“, denkt man sogleich an eine Riesenwelle, die sich aufbaut und, einen Tunnel bildend, nach vorne rollt, um an ihrem Kamm zu brechen. Ein todesmutiger Surfer schneidet die Welle im Tunnel an und lässt sich in ihr vorwärts treiben, bis die Gischt über ihm zusammenbricht, ihn mit sich reißt bis auf den Grund. Ob er noch mal auftauchen wird? Das sind bange Minuten.
Hallo?! Wir sitzen am Maschsee. Das ist kein Gewässer für Wellensurfer. Wie die Wasserfläche vor dem Wind sich kräuselt und wie es scheint, vorbeiströmt, wirkt der See wie ein Strom, breiter als der Rhein. Von links nach rechts wellt es sich unablässig wie wäre ich sehr betrunken, besoffen, richtig hackevoll, wenn das Bild meiner Umgebung gegen alle physikalische Logik unablässig vor meinen Augen von links nach rechts schiebt, ohne je nach links wieder zurückzukehren. Es heißt in solchen Fällen, dass die Welt sich drehe, aber es ist gar kein Drehen. Es ist immer das gleiche Bild, das sich vorbeischiebt. Wie das Bild dieser Wellen hier, die ja keine Individualität haben, auch gar nicht bestehen, sondern sich nur gleichförmig immer wieder neu bilden, so dass es besser wäre nur von „wellen“ zu sprechen, weil sie gar keine Wellen sind.
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Vorher war die Ihme vom Uferweg nicht zu sehen gewesen. Ein Meer von hohen Stauden verwehrt die Sicht. Das Kraut blüht dunkelrot mit einem Stich zum Violetten, und die Blüten duften durchdringend bis hart an den Rand des Unangenehmen. Vermutlich ist das Zeug von irgendwo eingewandert, sein Same mit Meteoriten von fernen Planten zu uns gekommen, und breitet sich langsam von der Ihme aus, um irgendwann den ganzen Planeten zu erobern. Man soll nicht sagen, ich hätte nicht gewarnt.
Aber egal jetzt. Es rollt so schön am Maschsee entlang. Da sind schon die ersten Zelte vom Machseefest. Zum Glück haben alle Vergnügungstempel, Sauf- und Fressbuden noch geschlossen. Ich kann ungehindert durch die stille Budengasse am Nordufer entlang der Promenade rollen und mich an die Umrundung des Maschsees machen. Doch da lockt in der Sonne eine leere Bank. Warum nicht hier eine Weile sitzen? Es ist ja noch so früh!
Ein leiser Wind streicht von Süden über den See und kräuselt die Wasserfläche. Kleine Wellen streben dem Nordufer zu. Nach einer Weile frage ich mich, was geschieht, wenn sie an die Ufermauer treffen. Wohl gar nichts; sie werden sich nicht auftürmen dort. Dazu sind sie zu schwach. Sie werden einfach aufhören, Wellen zu sein.
Ach, wie dumm die deutsche Sprache doch ist, indem sie jederzeit liebedienerisch Substantive anbietet für Vorgänge. Indem wir eine Bewegung „Welle“ nennen, denken wir wie Starrköpfe. Wir haben zwar das Verb „wellen“, nutzen es aber selten. Denn wollte ich schreiben „Das Wasser wellt sich“, denkt man sogleich an eine Riesenwelle, die sich aufbaut und, einen Tunnel bildend, nach vorne rollt, um an ihrem Kamm zu brechen. Ein todesmutiger Surfer schneidet die Welle im Tunnel an und lässt sich in ihr vorwärts treiben, bis die Gischt über ihm zusammenbricht, ihn mit sich reißt bis auf den Grund. Ob er noch mal auftauchen wird? Das sind bange Minuten.
Hallo?! Wir sitzen am Maschsee. Das ist kein Gewässer für Wellensurfer. Wie die Wasserfläche vor dem Wind sich kräuselt und wie es scheint, vorbeiströmt, wirkt der See wie ein Strom, breiter als der Rhein. Von links nach rechts wellt es sich unablässig wie wäre ich sehr betrunken, besoffen, richtig hackevoll, wenn das Bild meiner Umgebung gegen alle physikalische Logik unablässig vor meinen Augen von links nach rechts schiebt, ohne je nach links wieder zurückzukehren. Es heißt in solchen Fällen, dass die Welt sich drehe, aber es ist gar kein Drehen. Es ist immer das gleiche Bild, das sich vorbeischiebt. Wie das Bild dieser Wellen hier, die ja keine Individualität haben, auch gar nicht bestehen, sondern sich nur gleichförmig immer wieder neu bilden, so dass es besser wäre nur von „wellen“ zu sprechen, weil sie gar keine Wellen sind.