Ein Dresdner pustet mich an - Mein surrealer Alltag

Man hat meine Telefonnummer getauscht. Das wäre wegen einer „Verfügung der Netzagentur“ nötig, teilte mir der Telefonanbieter mit. Meine siebenstellige Nummer werde auf eine achtstellig umgestellt. Am 14. Dezember wurde also mein Festnetzanschluss mit einer anderen Rufnummer versehen, und just ab dem 14. Dezember war ich nicht mehr zu erreichen. Es ist mir nicht sofort aufgefallen, denn ich selbst konnte noch telefonieren. Anrufer hörten aber nur ein Besetztzeichen. Am nächsten Morgen meldete ich die Störung, und am Nachmittag funktionierte mein Telefon wieder. Gegen 20 Uhr rief mich ein Techniker auf dem Handy an.

„Spreche ich mit Herrn Jules van der Ley bärseenlch?“
„Ja.“
„Sä haben äne Schtörung von Ihrem Delefon-Anschlüss gemeldet.“
„Das hat sich erledigt, mein Telefon geht wieder.“
„Das säh ’ch awor anders.“
„Jedenfalls konnte ich heute Nachmittag telefonieren.“
„Wie ist denn Ihre Rufnummor?“
„Das weiß ich nicht auswendig, ich habe sie ja erst seit dem 14. Dezember.“
„Sä kennen Ihre Rufnummor ni? Nizuglohm! Awer die mussdn Sä toch allen Freundn und Verwandschen saren. Iwwerlehchn Sä mal. Sowas duht man sich doch merkn.“
„Haben Sie mich etwa angerufen, um mich zu schulmeistern? Ich bin der Geschädigte.“
„Jetz bleim Sä mal aufm Däbbch. Da müssen Sä mich wärglich ni gleich annflauhm. Ist Ihre Festnetznummor xx xx xx xx?“
„Könnte sein.“ Der Tuppes konnte sie natürlich in der Störungsmeldung lesen.
„Nu, dann rufe ’ch Sä jetzt auf diesor Nummor an. Oochnbligg - werdsch schon deigsln.“
„Gut.“

Mein Telefon klingelt, zweimal kurz, dann ist Stille. Gerade bin ich ein paar Schritte gegangen, klingelt es erneut. Diesmal lang genug, dass ich abnehmen kann. Er ist dran.

„Wenn es bei Ihnen jeglingeld hat, das war ’ch. ’ch hab ehmd de Leidung freigepusded. Nu duhts wiedor fludschn.“
„Fein. Ging ja schon heute Nachmittag.“
„Nu, sähnse! Da wünsche ’ch Ihnen noch ähn guden Ahmd.
„Danke, Sie mich auch.“

Mehr aus meinem surrealen Alltag
1476 mal gelesen
Eugene Faust - 20. Dez, 12:47

Ei, jetz duhn Se doch den Guudn ni so ...

(Tatsächlich kommt es, nach meiner Erfahrung, in Altbauten nicht selten zu sporadischen Störungen, die eine Leitungsprüfung auf Durchgang und Isolation notwendig macht. Und dabei schicken die dann irgendwelche Impulse durch.)

Trithemius - 20. Dez, 17:41

"Irgendwelche Impulse" = Ermahnungen auf Sächsisch. Da ergeben sich auch die dicksten Altbaumauern, und mein Telefon sperrt ganz weit die Ohren auf. Hab mich gar nicht getraut zu sagen, dass ich noch nicht mal meine vorherige Telefonnnummer auswendig konnte. Ich wohne ja erst zwei Jahre in dieser Wohnung. Und jetzt bin ich froh, dass ich mir sie nicht gemerkt habe. Dann brauche ich sie auch nicht zu vergessen.
romeomikezulu - 20. Dez, 15:40

Wieso eigentlich liegen so unproportional viele Servicestellen
(bzw. Callcenter) im "Östen"?
Jedoch auch der gesamte T-Shop in der Fußgängerzone von BaWü's Hauptstadt scheint von einer sächsischen Großfamilie inhabitiert zu sein.
Nie wieder geh ich da rein.

Mich macht das wahnsinnig, wenn da einer am anderen Ende des Telefons (bzw. Tresens) meint, mich in breitestem Dialekt mit seiner ganzen Ahnungslosigkeit vollsülzen zu müssen - vor Allem, wenn es sächsisch ist!

Trithemius - 20. Dez, 17:51

Vermutlich gibt es viele Callcenter im Osten, weil dort die Löhne niedrig sind. Bei der Störungsannahme hatte ich es aber mit zwei liebenswürdigen Hochdeutschsprecherinnen zu tun. In Görlitz sagte mir ein Taxifahrer: "Die jungen Leute gehen alle weg, weil hier keene Arbeid is." Und so schwärmen die Sachsen nach überall hin aus. Selbst in Aachen wird man oft im breitesten Sächsisch bedient, und dann auch gerne mal geschurigelt.
-chap- - 20. Dez, 16:55

Unsere Ostdeutschen

Muss immer noch lachen.
Was für ein Gemütsmensch.

Trithemius - 20. Dez, 17:52

Zum Glück musste ich nicht die Hacken zusammenschlagen vor dem Techniker.
Heinrich.Sch - 20. Dez, 17:15

Dann sind auch Faxe bei Ihnen nicht angekommen? Ich habe Faxen gemacht und die auch noch verschickt. Ok, dann gebe ich Ihnen das Original!

Trithemius - 20. Dez, 17:54

Faxen kommen bei mir immer an, lieber Heinrich. Vielen Dank! Werdsch mer gleich mal anguckn.
Videbitis (Gast) - 20. Dez, 19:49

Da ist man doch plötzlich sehr dafür, daß Callcenter nach Indien ausgelagert werden. Die Inder sprechen vielleicht auch mit Dialekt, sagen aber garantiert kein Wort wie 'fludschn'.

Trithemius - 20. Dez, 20:25

Wenn Inder unsere Callcenter übernehmen, dann sprechen sie vermutlich besser Deutsch als die meisten Deutschen, denn wer aufstrebt, muss in allem besser sein als die Etablierten.
webgeselle - 20. Dez, 19:50

Eiverbibbschnochemal! Nu gucke!

 
(... sage ich doch: was ist die Infiltration durch die Hauptverwaltung Aufklärung gegen die durch die Sachsen...)

(... man kann nicht flüchten... man vernimmt dies liebliche Idiom auch nach Stunden langer Wanderung durch vermeintlich einsamen bayrischen Urwald... und ist es denn ein Greuel fürwahr... oder meinetwegen auch ein Gräuel...)

(... das war nicht immer so... Til Schweiger als Sohn des Sachsenkönigs war beeindruckend...)

(... früher war alles besser - heute ist es billiger...)

(... häff fann...)

PS: Im Übrigen bohrt seit Längerem die Frage in mir, ob in dieser unserer Postmoderne "surrealistischer Alltag" nicht eine Tautologie ist... Chch.
 

Trithemius - 20. Dez, 20:31

Ist's durchgegangen vor deinem kritischen Auge? Ich höre dieses Idiom auch überall, aber die Schreibweise ist mir fremd, so dass ich den Gesprächsanteil des Technikers mühsam rekonstruieren musste. Von Kurt Schwitters gibt es die wunderbare Groteske: "Der sächsische Ozean", in dem der Oberbürgermeister von Dresden einen Ährengnall abfeuren lässt, der halb Europa in Schutt und Asche legt und den sächsischen Ozean erzeugt. Da hätte ich mir was abguckn können, aber das Buch habe ich gerade an Mimiotschka verliehen, die den Text eigentlich vorlesen wollte. Hoffentlich macht sie es noch.

PS: Du hast Recht, aber das Kind will einen Namen haben.
webgeselle - 22. Dez, 21:41

Und bin ich übrigens bereit,...

 
... eidessichlich zu verstattern, dass ich Deinen neuesten Beitrag (betreffend skoptophobischen Nachtzug usw.) erst nach meinem neuesten Eintrag rezipiert habe, Pionierehrenwort; alles ist vernetzt, ach...

(... den Teppichhaus-Direktor-Geburtstags-Flashtrash habe ich allerdings nicht wieder gefunden... das Alter ist furchtbar...)

(Mit vorzüglicher Zerknirschung)

(Das Fossil)
 
Trithemius - 23. Dez, 21:18

An das Geburtstagsflash, das du für mich gemacht hast, erinnere ich mich noch gut und gern. Es zeigte, glaube ich, den Bahnhof von Trittenheim an der Mosel. Aber schön, dass du die anderen wenigstens wiedergefunden hast.

Liebe Grüße ud schöne Weihnachtstage
Dein Trittenheim
webgeselle - 24. Dez, 09:43

Genau! Und man wird halt eh n o c h älter!

 


(... danke gleichfalls...)
 
Trithemius - 24. Dez, 10:17

Man ist nie jünger als in diesem Augenblick. Und so geht es der gesamten Menschheit, sogar allem, was lebt, was sage ich, dem ganzen Universum.
kraM - 20. Dez, 21:15

Dass es Leute gibt, die sich nach kurzer Zeit ihre Telefonnummer merken können, bewundere ich immer etwas. Hab mal ein Gespräch zweier Leute in den vierzigern mit angehört, die sich darüber aufgeregt haben, dass ja alles ganz schlimm sei, weil Jugendliche nichtmal ihre Telefonnummer auswendig könnten. Habe ich nicht verstanden.

Trithemius - 20. Dez, 21:41

Alle Frauen, die mir je näher begegnet sind, konnten die für sie wichtigen Telefonnummern auswendig, während ich kaum eine Nummer mir je gemerkt habe. Die passen einfach nicht in meinen Kopf. Es hat natürlich auch was mit dem Wollen zu tun. Irgendwas in mir weigert sich, und vielleicht ist es bei dir ähnlich. Aber ich habe auch schon mal ratlos vor dem Geldautomaten gestanden, weil ich die PIN vergessen hatte, und das sind doch nur vier Zahlen.
kraM - 20. Dez, 21:51

Es ist ja auch nicht so, dass man nur eine hat. Man hat eine Festnetz, eine Handy- und eine Arbeitsnummer, teilweise sogar noch ein Handy bei der Arbeit. Man hat zwei Emailadressen, man hat zig Passwörter zuhause und bei der Arbeit, Pinnnummern usw usf. Und alles muss ultrageheim sein, darf nirgendwo aufgeschrieben werden, weil es ja gehackt werden könnte. Aber immerhin steht heute alles Wissen im Internet und wir müssen nur noch wissen, wo es steht. So haben wir Platz für die ganzen Passwörter. ;)

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