Videbitis (Gast) - 19. Okt, 18:14

Weil er genau wußte, daß zu viel Emotionalität im Theater und in der Oper die Menschen eher verdummen, entwickelte Brecht das epische Theater, immer wenn es in seinen Stücken ins Gefühlige zu kippen drohte, ließ er jemanden mit Spruchbändern über die Bühne laufen, auf denen Parolen standen, die an die Vernunft der Zuschauer appelierten. Das erscheint heute völlig antiquiert. Die triefenden Sentimentalitäten, die uns heuzutage in allen Formaten serviert werden, spotten jeder Beschreibung. Die Medien packen uns am Kragen und versuchen, uns tief einzutauchen in den Schmalz, den sie produzieren. "Emotion pur!" heißt es begeistert angesichts der intimen Verwerfungen in Casting-Shows: Unglückliche Kindheit, kriminelle Karrieren, unglückliche Liebesbeziehungen sind fast wichtiger als die spärlichen Gesangstalente der Medienopfer. Gefälschte Doku-Soaps werden uns zugemutet, an denen nur die Unfähigkeit der Laiendarsteller echt ist, dick zugekleistert mit romantisierender Musik. Die Leute sitzen schniefend zu Hause und freuen sich schon auf den nächsten Bauern, der mit seiner neuen Medienfrau zu Geigenklängen auf dem Misthaufen billigen Prosecco trinkt.

Zum Kotzen!

Schnell konsumierbare Emotionalität als Gegenentwurf zur viel anstrengenderen Vernunft - in wessen Sinne ist das denn? Wem kommt das gelegen? Wer konstruiert diese Wirklichkeit? Du hast die Antwort ja schon gegeben in Deiner Antwort auf Mimiotschka, interessant und übelkeitserregend, wer da alles drin ist in dem Atlantik-Bündnis. Man könnte fast zum Verschwörungstheoretiker werden.

Trithemius - 19. Okt, 23:03

Weil es "zum Kotzen" ist, wollen viele das überhaupt nicht wissen. Es ist natürlich mühsam, sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen, statt einfach nur rumzumeckern, sich einlullen zu lassen oder an technischem Schnickschnack zu erfreuen. Man muss sich nur mal die Zeit nehmen, die Netzwerke derer anzusehen, die unsere Gesellschaft gestalten und letztlich verantwortlich sind für deren desolaten Zustand. Dass die Atlantikbrücke oder die Bertelsmann-Stiftung politische Neutralität wahren, heißt leider auch, dass es keine Rolle spielt, wer gerade an der Regierung ist. Denn alle Parteien außer den Linken stehen unter ihrem Einfluss und setzen letztlich das um, was im Sinne der wirklich Mächtigen ist.

Die Diktatur des Geldes ist viel geschickter und erfolgreicher als eine Diktatur, wie Hitler sie aufgezogen hat. Eines lässt sich heute sagen angesichts der Unfähigkeit der Massen, sich den Verlockungen und Einflüsterungen der Medien zu entziehen: Egal, mit welchem Anspruch unsere Massenmedien antreten, ihr Wirken über die Jahrzehnte hinweg hat dazu geführt, dass die Leute immer blöder werden. Das wird natürlich unterstützt dadurch, dass die Bildung finanziell ausgehungert wurde. Hinzu kommen solche Maßnahmen wie die Verkürzung der Unterrichtszeit von 13 auf 12 Schuljahre. Jeder kann sich an fünf Fingern abzählen, dass der Leistungs- und Selektionsdruck dadurch steigt. Und es gibt immer mehr, die daran scheitern, besonders wenn sie schlechte Voraussetzungen haben, etwa aus der Unterschicht stammen. Die Studiengebühren geben dann noch jenen den Rest, die es trotzdem geschafft haben. In keinem Land in Europa ist die Unterschicht vom sozialen Aufstieg über Bildung so abgehängt wie in Deutschland. Aber wir haben natürlich die Nationalmannschaft, und wenn die spielt, kann sich auch der ärmste Hund noch darin sonnen, Schland zu sein, und Fähnchen schwenken.

Die Diktatur des Geldes lässt auch Kritik zu. Ich kann das hier sagen, keiner wird's verbieten, denn es macht überhaupt nichts. Würde ich über Arsch und Titten schreiben, mit der Lupe die Cellulite von Jennifer Lopez zeigen oder Kachelmanns Spermaprobe beschnüffeln, hätte das Teppichhaus längst zigtausend Leser. So aber kann man die gesellschaftliche Wirkung vergessen.

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, es gibt eine Verschwörung des Geldadels. Wie er den Globus deformiert, ist doch überall zu sehen.
Videbitis (Gast) - 20. Okt, 22:47

"Systemabweichler sind das Fieberthermometer im Arsch der Gesellschaft," habe ich mal in einem Roman der Brüder Strugazki gelesen, und das selbe gilt auch für Kritiker: Verhallt die Kritik im Niergendwo, ist das ein gutes Zeichen, die Damen und Herren Entscheidungsträger amüsieren sich. Das ist aber kein Grund, die Schrauben nicht noch fester anzudrehen und das Publikum nicht mit überflüssigen, demagogisch geführten Scheindebatten zu beschäftigen (ob Deutschland sich abschafft oder nicht interessiert doch in Wirklichkeit keine Sau).

Die Einführung des Bachelor-Studiums ist eine weitere Selektionsmethode, denn in die Lage, ein weiterführendes Masterstudium belegen zu können, kommen die wenigsten, es gibt nur ganz wenige Plätze. Und Bachelor-Absolventen sind nur gut für den mittleren Bereich, wenn überhaupt.

Danke für Deine Ausführungen, kann ich alles unterschreiben.
Trithemius - 21. Okt, 11:25

Danke für die Ergänzung. Die Einführung des Bachelor-Studiengangs ist wohl der Versuch, die Ausbildung der Führungskräfte auf private Elitehochschulen zu verlagern. Es kann schließlich nicht sein, dass der Sohn einer alleinerziehenden Putzfrau dem Sohn aus besserem Hause eine führende Position streitig macht.

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