Wenn Sie ein Konzert besuchen - denken Sie an mich

Manchmal höre ich über mir ein Waldhorn. Es wird durchaus gekonnt geblasen, aber eine richtige Melodie ist nicht zu erkennen. Ich glaube, mein Obernachbar ist Waldhornbläser in einem Orchester und viel auf Reisen, denn seine Übungen im Tuten und Blasen dringen ja nur manchmal an mein Ohr. Es trifft mich also immer unvorbereitet und daher gelingt es mir nicht, mich gegen diese unerwünschten Töne zu wappnen, also etwa aushäusig zu sein, wenn der Waldhornbläser bläst. Gesehen habe ich ihn noch nie, daher könnte mein Obernachbar auch eine Waldhornbläserin sein.

Wenn das Waldhorn blasende Mensch mit seinem Orchester vor einem lauschenden Auditorium von Musikliebhabern auftritt, dann mag der Hörgenuss vollkommen sein. Doch ich bekomme nur die akustische Schattenseite ab, nur das Üben irgendwelcher Tonfolgen. Es wäre deshalb eine schöne Geste, wenn der Dirigent vor jedem Konzert sich ans Publikum wenden würde mit etwa folgenden Worten: „Meine Damen und Herren, bevor wir Ihnen einen musikalischen Hochgenuss bereiten, für den Sie mit Recht eine Eintrittskarte gelöst haben, wollen wir in einer Schweigeminute all jener gedenken, die meine Orchestermitglieder beim häuslichen Üben ertragen müssen. Denn nur der Duldsamkeit dieser Menschen ist es zu verdanken, dass wir Ihnen Musik in höchster Perfektion zu bieten im Stande sind.“ Das würde mich besänftigen. Von einer solchen Ansprache habe ich aber noch nie etwas gehört.

Eines Tages werde ich vielleicht die Treppe hinaufgehen, klingeln, und wenn der Waldhornbläser öffnet, werde ich ihm wortlos einen Kinnhaken verpassen, der sich gewaschen hat. Falls aber die Tür von einer Waldhornbläserin geöffnet wird, werde ich still verzweifeln, mich entschuldigen und sagen, ich hätte mich in der Tür vertan.

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1997 mal gelesen
Eugene Faust - 8. Dez, 22:12

Habe dieses Schmankerl eben dem A. vorgetragen und für doppelten Hochgenuss und Heiterkeit gesorgt. W U N D E R B A R !

Trithemius - 9. Dez, 15:43

Vielen Dank,

das mindert mein Leid. Von Ihnen vorgetragen zu werden, ist gewiss auch ein Hochgenuss.
Eugene Faust - 9. Dez, 16:34

Der Hochgenuss wurde wirklich ausschließlich inhaltlich verursacht! :)
Trithemius - 10. Dez, 11:07

Erstaunlich ...

... ein Text, der mir so nebenher aus der Feder floss, bzw. in die Tasten rutschte, und von dem ich mir nicht viel versprach.
webgeselle - 8. Dez, 23:21

Der Text-Teppich-Händler prügelt...

 
... ich werd ja nicht wieder... wieder 'n Trend verpennt...

Es empfiehlt sich die Anschaffung eines Schlagwerkes nach Orff usw.

Trithemius - 9. Dez, 15:45

Das ist zum Glück kein neuer Trend, mein Lieber, sondern Ausdruck meiner Hilflosigkeit, weil ich ein bisschen kränkle und daher empfindlicher bin als sonst. Ich habe übrigens sogar ein Fingerschlagzeug, aber es ist nicht laut genug.
Klar-a - 9. Dez, 08:02

Die Gedenkminute sollte sich mindestens auf 5 Minuten erhöhen, dafür plädiert eine äußerst gebeutelte Klara die gleich 2 Instrumente (Tompete - und dann auch noch so eine Kirchentante.... und Saxophon - na ja schon besser, wenn man es spielen könnte)...in ihrem Hause dulden muß. Grauenvoll ist auch, dass beide vorzugsweise am Sonntag spielen und alle Beteiligten weiblich sind.....sowohl Verursacher als Geschädigte....und da haut man sich eben leider nicht......tiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiefsoifz.

Trithemius - 9. Dez, 15:48

Wenn wir für jeden Geschädigten und Genervten die Gedenkminuten verfünfachen, wird ja keiner mehr in Konzerte gehen. Daher schlage ich vor, du fühlst dich einfach mitgemeint, liebe Klar-a. Übrigens übt mein Waldhorn auch manchmal sonntags, aber eben nur manchmal.
Plato (Gast) - 9. Dez, 11:10

wenn sie ein Konzert besuchen

Das ist eine tolle Idee, lieber Jules, ich werde Deinen Text mal an unser aufstrebendes Dirigententalent - Markus Bosch - weiterleiten; mal sehen, ob dieser erfolgreiche, weil auch offene und lustige Dirigent, diesen Hinweis aufgreift. Er würde bestimmt ein vielfältiges Schmunzeln ernten, denn die Herzen der Aachener fliegen ihm zu. Liebe Grüße Dein Freund

Trithemius - 9. Dez, 15:54

Das ist wirklich eine hübsche Idee. Vielen Dank, mein lieber Coster, dass du mal wieder deine vielfältigen Beziehungen spielen lassen willst. Alle Geschädigten werden es dir danken und natürlich auch dem beispielhaften Dirigenten, wenn er darauf eingeht. Da wird einem ganz adventlich.

Liebe Grüße
Dein Trithemius
la-mamma - 9. Dez, 13:04

sie glauben gar nicht,

wie sehr ich sie verstehe!

Trithemius - 9. Dez, 15:56

Vielleicht geschieht Ihnen auch Genugtuung, wenn der Plan meines Freundes und Mentors Jeremias Coster (der sich oben als Plato gemeldet hat) aufgehen sollte. Man wird gewiss darüber berichten, und Sie können sich mit Sabrina aussöhnen bzw. -schwestern.
Mimiotschka - 10. Dez, 13:20

Ich habe als Kind Orgel gespielt. Bei jedem Familienfest musste ich etwas vorspielen. Weihnachten war immer besonder schlimm. Ich wünschte, wir hätten Nachbarn gehabt die sich beschwerten, aber Fehlanzeige. Daran sollte man auch mal denken, an die armen Kinderlein.

Trithemius - 10. Dez, 13:26

Aus diesen Zeilen klingt das ganze Elend der erzwungenen Hausmusik. Ist ja eigentlich Kinderarbeit. Frau Schröder sollte sich mal drum kümmern. Jemand muss sie auf diese schrecklichen Zustände hinweisen, wo doch die Nachbarn einfach weghören.

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