Rolf Wenkel (Gast) - 6. Dez, 20:33

Gegenrede

Oh weh, ich bin Journalist ein einer öffentlich-rechtlichen Anstalt (aber ich habe Heimschlafrecht, und behütet sind wir auch nicht!) und muss so viel Schelte über mich und meine Spezies ergehen lassen, dass ich mich fast gar nicht traue, eine Gegenrede zu halten. Aber bestimmte Sachen stören mich doch etwas. Da ist zuerst die Vorstellung, alle Journalisten arbeiteten investigativ und seien nur an der Wahrheit und nichts als an der Wahrheit interessiert. Wie naiv kann jemand sein, der diesen Schmarrn glaubt, wenn er die Bunte, die Neue Revue, die Super Illu oder die Bildzeitung aufblättert oder Kommerzradios hört? (Für letztere hat sich eine kleine Schar von Dienstleistungs-Agenturen entwickelt, die fertige Hörfunk-Beiträge inklusive Anmoderation wahlweise in 1'30, 2'00 oder 2'30 anbietet, die von den Kommerz-Sendern gerne genommen werden, und deren CD's bei uns sofort in den Papierkorb wandern.)

Als Hörfunk-Redakteur sitze ich in der Mitte einer Kette. Wir haben wie überall zu wenig Personal, um selbst rauszufahren und Reportagen vor Ort zu machen, wir ernähren uns von Agenturen, um wenigstens die Grundversorgung an Informationen zu sichern. Früher galt bei uns der Grundsatz: Wenn nicht mindestens drei Agenturen über ein Ereignis berichten, dann ist es kein Ereignis. Wenn also Agence France Presse melden würde: "Papst beim onanieren vom Baum gefallen", wäre das bei uns keinen Nachricht, es sei denn, Reuters würde ergänzend melden, dass er sich dabei einen Arm gebrochen habe, und dpa ergänzend melden würde, der deutsche Botschafter beim Vatikan sei ständig in Verbindung mit dem ad hoc in Berlin gebildeten Krisenstab Papa accidentum.

Ich habe Trithemius Beitrag nur einmal gelesen und will ihr auch kein zweites mal lesen. Er scheint mir nur öffentlich-rechtliche Betroffenheitsgesichter im Heute-Journal oder in den Tagesthemen mit dem journalistischen Alltag zu velwechsern. Werch ein Illtum! (Jandl). Es mag ja sein, dass diese Moderatoren (und mehr als das sind es ja auch nicht!) für viele deutsche TV-Konsumenten die Deutungshoheit haben - aber auch für viele andere eben auch nicht.

P.S.: Trithemius schreibt: "Würden Journalisten ihre Arbeit gut machen, hätten sie gewiss nicht soviel Konkurrenz im Internet. Offenbar haben sie sich zu lange in ihrer Schlüsselrolle gesonnt und einen Dünkel entwickelt, der sich schädlich auf die Qualität ihrer Arbeit auswirkt. Diese Arroganz hat viele vergessen lassen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, sich mit den Mächtigen und Einflussreichen gemein zu machen."

Sorry, aber längst nicht jeder Journalist hat einen Dünkel entwickelt, nicht jeder Journalist ist nur deshalb arrogant, weil er in Berlin näher an den Mächtigen und Einflussreichen ist als die anderen Journaliasten in der Republik. Die meisten Jornalisten versuchen, ihre Arbeit gut zu machen. Die Konkurrenz im Internet ist in der Regel nichts anderes als die angestammte Konkurrenz der Verlage, die es ohnehin schon gegeben hat. Blogs wie meinen mmmblog.de/wp oder Teppichhaus Trithemius - wovon leben wir denn?

Trithemius - 6. Dez, 21:29

Lieber Rolf,

in meinem Beitrag habe ich mich ausdrücklich auf die Printmedien bezogen. Und natürlich weiß ich und sage auch immer wieder, dass viele Journalisten ihre Arbeit gut machen oder besser machen würden, wenn sie nur dürften. Trotzdem ist Ihre Gegenrede berechtigt, wenn mein Text zu pauschal wirkt.
Es ist immer schwierig, so ein komplexes Thema griffig im Blog zu behandeln, weshalb ich auch auf zwei weitere Beiträge verlinkt habe, in denen ich ausführlicher begründe, was hier wie Behauptungen daherkommt. Lassen Sie mich nur auf zwei Punkte eingehen:

Sie sagen: "Die Konkurrenz im Internet ist in der Regel nichts anderes als die angestammte Konkurrenz der Verlage, die es ohnehin schon gegeben hat." Die Konkurrenz der Verlage ist ja leider inzwischen die Konkurrenz der Großverlage. Nehmen Sie nur die Beispiele aus Ihrer Region: Die ehemals unabhängige Kölnische Rundschau erscheint nun im selben Verlag wie der Kölner Stadtanzeiger, DuMont. Im DuMont-Verlag erscheinen auch die zusammengeschrumpfte Frankfurter Rundschau, die Berliner Zeitung, die Hamburger Morgenpost, die Mitteldeutsche Zeitung, um nur die großen zu nennen. Die Aachener Nachrichten haben ihre Unabhängigkeit gänzlich verloren und teilen sich sogar den Chefredakteur mit der Aachener Zeitung unter dem Dach des Aachener Zeitungsverlags. Der wiederum gehört zum größten Teil der Rheinischen Post. Indem diese Zeitungen ihre Unabhängigkeit verloren haben, konkurrieren sie auch kaum noch, allenfalls im Lokalteil. Mit Meinungsvielfalt hat das nur noch wenig zu tun, weil das von den Allierten verordnete System zerschlagen ist, dass in jeder Stadt oder Region je eine konservative und eine linksliberale Zeitung erschein sollte. Da können auch gutwillige Redakteure nichts machen, allenfalls ein Blog betreiben und dort sagen, was ihnen im Redaktionsalltag verwehrt ist.
Der zweite Punkt ist die von mir angeführte Praxis der Presserabatte, mit denen die Unternehmen Journalisten günstig zu stimmen versuchen. Schauen Sie sich nur einmal an, wer die anbietet.
https://www.dpv.org/mitgliedschaft/pressekonditionen.html?kategorie=264
Kürzlich las ich in einer Umfrage, dass über 70 Prozent der Journalisten nach eigenen Angaben solche Rabatte anfragen. Wo bleibt da die journalistische Unabhängigkeit, wenn jemand über ein Unternehmen schreibt, von dem er Vergünstigungen angenommen hat?

Was Sie über den Umgang mit den Angeboten von PR-Agenturen in Ihrer Redaktion sagen, klingt wirklich beruhigend. Aber täglich geraten solche vorgefertigten Beiträge in die Medien, ohne dass der Konsument ahnt, wer sie aus welchen Gründen verfasst hat.

Und schauen sie sich die Verhältnisse im öffentlich/rechtliche Rundfunk an, wo die Parteien schachern, wer welchen Posten bekommt, um ihren Einfluss zu sichern. Da wird der Ex-Pressesprecher von Bundeskanzlerin Merkel Intendant des BR, und ein Heutejournal-Moderator wird Regierungssprecher. Diese Kumpanei habe ich allerdings auch gemeint.

Dankeschön für den Einblick in Ihren Redaktionsalltag. Ich fürchte, Sie haben sich da einen Schuh angezogen, der gar nicht für Sie gedacht war. Seien Sie mir also nicht bös, Sie waren nicht gemeint und auch die vielen Ihrer verantwortungsbewussten Kollegen nicht, die gewiss besonders im öffentlich-rechtlichen Radio zu finden sind.

EDIT: 7.12.2010
Im Beitrag kritisiere ich, wie Journalisten das Thema Wikileaks behandeln. Dabei habe ich den Rundfunkjournalismus ausgespart. Aber die Kritik gilt hier auch, wenn man sich Beiträge aus Tagesschau und Tagesthemen anschaut, den beispielsweise:
http://www.tagesschau.de/ausland/assange126.html
Zum Glück sind die meisten Kommentatoren, die sich zum Text äußern, klüger als der Journalist, der das verbrochen hat. Falls Georg Schwartes dümmliche Argumentation aber nicht auf seinen Geisteszustand zurückgeht, dann fragt man sich doch, warum sagt er diesen Quatsch? Wem dient der Mann? Ein Beispiel aus Schwartes Text: "Gesucht wird dieser Nachrichtenfreibeuter wegen mutmaßlicher Vergewaltigung. Und die wird nicht dadurch besser, dass er ansonsten von Berufswegen als Gutmensch im Kampf gegen das Böse im Internet unterwegs ist."

"Mutmaßliche Vergewaltigung" ist weder gut noch schlecht, kann also auch nicht "besser" werden, weil sie eben mutmaßlich, unbewiesen ist. Nennen Sie, lieber Rolf, solch einen Satz sauberen Journalismus?
Heinrich (Gast) - 7. Dez, 15:22

Schönes Beispiel

für den journalistischen Ehrenkodex. http://bit.ly/gnvyBY
So'n Pech, wenn die Ereignisse gar nicht stattfinden, über die man recherchiert und berichtet.
Rolf Wenkel (Gast) - 7. Dez, 19:21

Uff,

also erstmal bin ich froh, dass ich mir diesen Schuh nicht anziehen soll/muss. Zudem denke ich, dass die Unterscheidung zwischen Print- und anderen Medienjournalisten ziemlich unerheblich ist. Alle sollten eine saubere Arbeit abliefern, wenn sie sich schon Journalist nennen (eine im übrigen völlig ungeschützte Berufsbezeichnung). Selbst dem Schwachsinnskommentar von Herrn Schwarte kan man noch etwas abgewinnen, wenn man seine Zeilen zitiert: "Die Welt ist nämlich nicht schwarz oder weiß. Nicht gut oder böse. Die Welt ist meistens etwas komplizierter." Das gilt auch für Journalisten. Es gibt kein Schwarzweiß, es gibt nicht nur gute und verdorbene Journalisten, die sich mit der Macht arrangieren. Es gibt eine Menge Mittelmaß dazwischen.

Was das Postengeschiebe in öffentlich-rechtlichen Sendern angeht - dem kann ich auch nur mit Staunen und stummer Verzweiflung zusehen. Ich könnte sogar noch einige Anekdoten beisteuern, doch das Teppichhaus Trithemius ist ein öffentlicher Raum, und mein Arbeitsvertrag verbietet mir, Interna aus meinem Sender auszupaudern.

Mit dem Konkurrenzkampf im Internet meinte ich etwas anderes. Wir beobachten in den USA ein massenhaftes Zeitungssterben, weil sich immer mehr Konsumenten über das Internet informieren. Und weil alles Gute oder Schlechte aus den USA mit einiger Zeitverzögerung unweigerlich auch bei uns landet, wollen die Verleger natürlich vorbauen. Dank ihrer massiven Lobbyarbeit haben sie die Ministerpräsidenten der Länder dazu gebracht, das Landesrundfunkgesetz zu ändern. Seitdem ist es ARD-Anstalten nicht mehr erlaubt, im Internet Nachrichtenportale zu unterhalten. Sie dürfen nur noch programmbegleitende Informationen ins Netz stellen, und alle Inhalte müssen nach sieben Tagen gelöscht sein. Zwar schreibt noch kein Verleger in Internet schwarze Zahlen (vielleicht mit Ausnahme von Spiegel Online), aber wenigstens hat man sich die lästige öffentlich-rechtliche Konkurrenz vom Hals geschafft.

Hierin liegt m. E. die Chance von guten Blogs. Auch sie haben in der Regel nicht die Mittel, um exklusive Geschichten zu recherchieren, aber sie können das Geschehen aufmerksam verfolgen und klug kommentieren. Und da ist das Teppichhaus Trithemius eine gute Adresse.
Trithemius - 8. Dez, 09:54

Angesichts der Vorgänge um Wikileaks und besonders der Reaktionen in den USA fühle ich mich in eine finstere Dystopie versetzt. Ja, es gibt nicht Schwarz und Weiß, nur Gut oder nur Böse, aber die Umdeutung von Böse in Gut, wie sie auch von deutschen Medien nachgebetet wird, das erinnert deutlich an Orwells Neusprech.

Ich habe damals bedauert, als den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die Nachrichtenportale untersagt wurden, aber jetzt, wo die Tagesthemen so verkommen sind und immer wieder die übelste Polemik verbreiten und eine Sorte Verlautbarungsjournalismus pflegen, der wirklich beunruhigend ist, bedauere ich es nicht mehr. Das Postengeschiebe hat wohl dazu geführt, dass in den zentralen Bereichen die jeweils herrschende Partei die Linie bestimmt. Mir tun alle Journalisten leid, die das auch so sehen und gute Miene zum bösen Spiel machen müssen.

Aber als ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender auf Betreiben von Roland Koch entlassen wurde, da hättet ihr eigentlich streiken müssen.

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