Schriftwelt im Abendrot

Herb Lubalin, Upper and lower case und die Demokratisierung der Druckschrift

Seit in meinen Keller Wasser eíngedrungen ist, bin ich nicht mehr unten gewesen. Aber ich werde mich wohl überreden müssen, das zu tun. In den Regalen lagert hoffentlich noch gut verpackt ein Stapel einer Rarität, verschiedene Ausgaben, ganze Jahrgänge, der typografischen Fachpublikation U&lC (Upper and lower case) der International Type Face Corporation, erschienen ab 1974 in New York, herausgegeben von Herb Lubalin, einem genialen Typografen und Schriftschöpfer. Fachleute kennen seine Schrift Avant Garde, eine in den 60er Jahren berühmte serifenlose Linearantiqua, Laien kennen sein Adidas-Logo.

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Jüngling der Schwarzen Kunst – 5 – Allerlei Versautes

Täglich nimmt der Jüngling den ersten Bus um 6 Uhr 35. Es gibt auf dieser Linie zwei Busfahrer, die sich abwechseln, der dicke Hubert und das nervöse Karlchen. Obwohl er im Nachbardorf nur zwei Kilometer entfernt seine Schicht beginnt, kommt Hubert fast immer zu spät. Kommt mit derselben Selbstverständlichkeit zu spät, mit der er der dicke, Respekt einflößende Hubert ist. Hubert soll ein Frauenheld sein, ist irgendwie tierhaft, immer unwirsch, wie es manche Frauen mögen. Im Sommer sitzt er im Unterhemd hinterm Steuer. Es ist auf ihn kein Verlass, nicht mal auf seine Unpünktlichkeit. Fünf Tage kommt er zwanzig Minuten zu spät, und am sechsten Tag auf die Minute, so dass, wer sich auf Huberts Unpünktlichkeit einstellt, den Bus verpasst.

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Jüngling der Schwarzen Kunst – Berichtsheft 3 – Die 13. Gasse

Des Jünglings Kindheit endete so abrupt wie eine Kindheit beginnt. Nach seinem ersten Arbeitstag steht er in der häuslichen Dachstube auf dem Stuhl und schaut aus dem Fenster der Dachgaube. Hinter ihm bereitet seine Mutter das Abendbrot. Er fragt: „Muss ich das jetzt mein ganzes Leben machen?“ Sie antwortete nicht, weiß genau, dass er nicht zum Fenster hinauszuschauen meint. Vielleicht will sie das Schreckliche der Aussicht auf sein Leben nicht sehen, vielleicht denkt sie, dass er eines Tages groß genug sein würde, um nicht mehr auf dem Stuhl stehen zu müssen, wenn er aus dem Fenster schauen will. Vielleicht hat sie aber auch einen Funken Hoffnung, dass er nicht sein Leben lang am Setzkasten stehen würde, dass er einen Weg finden würde, darüber und sogar über sich hinauszuwachsen. Das aber wagt sie nicht zu sagen, er ist noch zu klein für diese Idee.

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Jüngling der Schwarzen Kunst – Berichtsheft 2 – Fräulein Lamboy und der Laut des Besens

Historisch betrachtet sind Groß- und Kleinbuchstaben Urgroßeltern und Urenkel. Unsere Großbuchstaben stammen von der Römischen Capitalis ab. Nach dem Zusammenbruch der römischen Kultur wandelte sich die Capitalis unter dem Einfluss neuer Schreibmaterialien, Schreibtechniken und Schreibziele zur Kleinbuchstabenschrift. Etwa um 800 war dieser Prozess mit der Karolingischen Minuskel abgeschlossen. In den folgenden Jahrhunderten verfällt die Schrift. Erst die Humanisten der Renaissance besinnen sich wieder auf die klar lesbare Karolingische Minuskel. Sie halten sie fälschlich für eine Schrift der Römer und verbinden sie mit der Römischen Capitalis, die ihnen von den antiken Denkmälern, Säulen und Portalen noch klar entgegentritt. Diese Kombination aus römischen Majuskeln und karolingischen Minuskeln nennen sie Antiqua. Nachträglich kam nur der i-Punkt hinzu und das kleine t hat sich vorwitzig die Andeutung einer Oberlänge angeeignet. Es ist die Form unserer Schrift bis heute.

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Jüngling der Schwarzen Kunst – Berichtsheft – Prolog

Nach acht Jahren Volksschule, im Alter von 13 Jahren wurde Hannes Overlack aus Nettesheim ein Jünger der Schwarzen Kunst, indem er in eine Schriftsetzerlehre eintrat. “Aventur und Kunst” hatte schon Gutenberg seine Erfindung genannt, Aventur bedeutete Wagnis und Abenteuer, denn die Erfindung dieser neuen Technologie war für den gelernten Goldschmied Gutenberg ein wirtschaftliches Wagnis gewesen, an dem er letzlich auch gescheitert ist, Kunst bedeutete handwerkliches Können. Als Druckfarbe ist ursprünglich nur Schwarz, ein Gemisch aus Leinöl und Ruß, zum Einsatz gekommen. Das Synonym Schwarze Kunst liegt daher nah, zumal bis ins 19. Jahrhundert nicht Johannes Gutenberg, sondern Johannes Faust als Erfinder galt, weshalb der Buchdruck lange Zeit als Technik geschimpft wurde, die sich unerlaubter, teuflischer Mittel bediente. Die Gesellen in Overlacks Lehrbetrieb riefen ihn Jüngling. Das ist die Bedeutung von “Jüngling der Schwarzen Kunst”.

Auf den folgenden Blättern aus einem Berichtsheft ist geschildert, wie der naive Jüngling sein Handwerk erlernt und wie er durch die Schrift aus der Beschaulichkeit seines Geburtsortes in eine komplex sich auffächernde Welt versetzt wird, für deren Verständnis ihm anfangs noch die Kategorien fehlen. Zum jungen Mann herangereift und allmählich begreifend, gerät er in eine gefährliche, für ihn höchst fatale Liebschaft voller sexueller Obsessionen und sieht sich unvermutet mit den Fernwirkungen des Nationalsozialismus konfrontiert. Der Bericht von dieser modernen Aventur und Kunst endet mit dem Niedergang des mittelalterlichen Handwerks und seiner Ersetzung durch Foto- und Computersatz. Das erste Blatt beginnt vor dem Anfang …

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Ihr Pinselhörnchen!

was ein Pinselhörnchen genau ist? Ich muss zugeben, dass ich das nicht weiß. Eben las ich in Lichtenbergs Sudelbüchern das Wort “Pinsel.” Da löste sich das Wort Pinselhörnchen aus hinteren, längst vergessenen Gehirnwindungen, purzelte mir vor die Füße und wollte genauer besehen werden. Mit Lichtenbergs “Pinsel” hat es wenig gemeinsam. Mir ist das Pinselhörnchen Anfang der 80er Jahre begegnet. Möglicherweise hat es in einer alternativen Aachener Stadtillustrierten gestanden, deren erstes Titelblatt überwiegend in Blautönen gehalten war. Ich habe es beinah noch vor Augen. Aber es verflüchtigt sich in der Farbluftperspektive meiner Erinnerung.

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Einiges über Schreibautomaten und automatische Autoren

Nachdem der Freund und werte Blogkollege Herr Leisetöne alias Shhhhh mit einem Beitrag eher ungewollt die Diskussion zum Thema automatische Texterzeugung angestoßen hat, bin ich in die Tiefen des Teppichhausarchivs abgetaucht, habe den folgenden dazu passenden Text hervorgeholt, entstaubt, frisch redigiert und typografisch angepasst. Vorsorglich versichere ich, dass er von mir selbst im Jahre 2006 fürs Teppichhaus Trithemius verfasst und nicht, wie böse Zungen behaupten, von einer Horde Affen an Schreibmaschinen durch wildes Herumhämmern auf den Tasten per Zufall erzeugt wurde.

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Nützliche Betrachtung einer Wiese

Wenn ein Kind eine Wiese malen will, dann taucht es den Pinsel in grüne Farbe und malt eine Fläche aus. Im Vergleich mit der realen Wiese ist es eine ahnungslose Abstraktion, die Reduzierung auf ein hervorstechendes Merkmal. Physikalisch verhält es sich so: Das Gras der Wiese absorbiert vom Sonnenlicht alle Farben des Spektrums und reflektiert das Grün, das wir sehen, weshalb Grün die einzige Farbe ist, die die grüne Wiese nicht hat. Noch abstrakter als die gemalte Wiese ist unsere sprachliche Erfassung der Welt. Wir hängen an den differenzierten Mikrokosmos das Etikett „Wiese“, als wäre damit alles gesagt. Überhaupt, die Erscheinungen mit Begriffen zu belegen, gleichsam Namensschildchen daran zu kleben wie Sonne, Wiese, Teich, mein Schuh kommt mir dreister und ignoranter vor, als würde ein vermeintlich blinder Maulwurf seine Schaufelhändchen in Fingerfarbe tauchen und einen Spaten malen. Ja, der Maulwurf hat tatsächlich Händchen, Klauen mehr, obwohl uns sein Name glauben macht, er würde die Erdhügel in der Wiese mit dem Maul aufwerfen.

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Einiges über den virtuellen Stammtisch

Kürzlich las ich beim Kollegen Bloedbabbler die Klage über das niedrige Niveau in Forendiskussionen, wo er sich in letzter Zeit glaubte verschlissen zu haben.

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Anachronistische Spekulation über das Schreiben mit der Nase

Gerade löffele ich im Biosupermarkt meinen ‘bunten Gartentopf’, da muss ich plötzlich nachdenken, obwohl doch beim Essen das Blut woanderes gebraucht wird. Der Vater am Nebentisch fragt nämlich seine halbwüchsige Tochter: „Hast du schon mal mit der Nase geschrieben?“ „Wie das denn?“ „Auf einer Glasscheibe“, sagt er und demonstriert es pantomimisch. Abgesehen davon, dass ich es grundsätzlich begrüße, wenn Väter ihren Kindern Unsinn beibringen und somit deren Kreativität befördern, muss ich mir eingestehen, dass ich selbst noch nie mit der Nase geschrieben habe.

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