Abendbummel online - Magisches Denken und zwei Richtungen der Kette
von Trithemius - 15. Mai, 20:27
Eine frühkindliche Erinnerung an magisches Denken: Ich muss noch sehr klein gewesen sein, da erwachte ich einmal aus einem mittäglichen Schlaf. Die Sonne drang schummrig durch die zugezogenen Vorhänge, und in diesem Zwielicht sah ich am Fußende meines Bettes einen Löwen liegen. Er schaute mich an und schien darüber zu wachen, dass ich nicht vorzeitig aufstand. Das machte mir so große Furcht, dass ich erstarrt im Bett liegen blieb und wartete, bis meine Mutter mich erlöste. Sie zeigte mir, dass ich den Faltenwurf der Zudecke für einen Löwen gehalten hatte.
Daran wurde ich heute erinnert, als ich vom Café Egmont in der Pontstraße seitlich über den Markt nach Hause bummelte. Es gibt dort ein seltsames Geschäft, das Möbel, Einrichtungsgegenstände und Skulpturen im pseudo-morgenländischen Stil anbietet. Die Sachen sind reichlich teuer und finden gewiss ihren Platz in repräsentativen Häusern, zu denen nur wenige Zugang haben, - wenn sie nicht den Dienstboteneingang nehmen. Vor diesem Geschäft war an einer Säule ein lebensgroßes graues Krokodil angekettet. Das Abendlicht ließ die Kette silbern aufblitzen, und für einen Moment dachte ich, das Krokodil sei angekettet, damit es keine Passanten beißt.
Es hat sich jedoch nicht gerührt, als ich vorbeiging. Über solche Momente magischen Denkens freue ich mich. Sie beflügeln die Phantasie, denn nichts kettet die schöpferischen Kräfte mehr als das nüchterne Betrachten der Dinge. Doch man muss frei wählen können zwischen den Weisen zu denken, was uns zum Beispiel vom mittelalterlichen Menschen unterscheidet, der auch in der christlichen Religion überall magische Erscheinungen witterte.
In den mittelalterlichen Kirchen lag die wertvolle Bibel an einer Kette, um sie vor Dieben zu schützen. Selbst Luther fand in Erfurt die Bibel noch „angekettet wie ein Hofhund“. Dass die Bibel in Ketten lag, wurde vom unkundigen Volk für verdächtig gehalten, und man mutmaßte, die Bibel müsse angekettet sein, weil sie für das einfache Volk gefährlich sei.
Nicht immer weiß man, wovor eine Kette schützt. Gerade hatte mich das Krokodil unbehelligt vorbeigelassen, da stieg aus einem schwarzen Mercedes der Eigentümer einer berühmten Aachener Printenfabrik, schob sich ein silbern blitzendes Handy unter die dauergewellte graue Mähne, sprach wichtige Sachen hinein und eilte in eine Parfümerie. Sein Fahrer und Bodygard folgte ihm einige Schritte und lungerte dann in der Nähe des Autos auf dem Bürgersteig herum. Da dachte ich, dass es seltsam sein muss, auf Schritt und Tritt von einem bulligen Mann begleitet zu werden. Ein A- oder B-Promi, der keinen Gang mehr ohne Bodygard tut, ist auch ständig unter Beobachtung und irgendwie angekettet. Die Kette wirkt hier in beide Richtungen.
Guten Abend
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Daran wurde ich heute erinnert, als ich vom Café Egmont in der Pontstraße seitlich über den Markt nach Hause bummelte. Es gibt dort ein seltsames Geschäft, das Möbel, Einrichtungsgegenstände und Skulpturen im pseudo-morgenländischen Stil anbietet. Die Sachen sind reichlich teuer und finden gewiss ihren Platz in repräsentativen Häusern, zu denen nur wenige Zugang haben, - wenn sie nicht den Dienstboteneingang nehmen. Vor diesem Geschäft war an einer Säule ein lebensgroßes graues Krokodil angekettet. Das Abendlicht ließ die Kette silbern aufblitzen, und für einen Moment dachte ich, das Krokodil sei angekettet, damit es keine Passanten beißt.
Es hat sich jedoch nicht gerührt, als ich vorbeiging. Über solche Momente magischen Denkens freue ich mich. Sie beflügeln die Phantasie, denn nichts kettet die schöpferischen Kräfte mehr als das nüchterne Betrachten der Dinge. Doch man muss frei wählen können zwischen den Weisen zu denken, was uns zum Beispiel vom mittelalterlichen Menschen unterscheidet, der auch in der christlichen Religion überall magische Erscheinungen witterte.
In den mittelalterlichen Kirchen lag die wertvolle Bibel an einer Kette, um sie vor Dieben zu schützen. Selbst Luther fand in Erfurt die Bibel noch „angekettet wie ein Hofhund“. Dass die Bibel in Ketten lag, wurde vom unkundigen Volk für verdächtig gehalten, und man mutmaßte, die Bibel müsse angekettet sein, weil sie für das einfache Volk gefährlich sei.
Nicht immer weiß man, wovor eine Kette schützt. Gerade hatte mich das Krokodil unbehelligt vorbeigelassen, da stieg aus einem schwarzen Mercedes der Eigentümer einer berühmten Aachener Printenfabrik, schob sich ein silbern blitzendes Handy unter die dauergewellte graue Mähne, sprach wichtige Sachen hinein und eilte in eine Parfümerie. Sein Fahrer und Bodygard folgte ihm einige Schritte und lungerte dann in der Nähe des Autos auf dem Bürgersteig herum. Da dachte ich, dass es seltsam sein muss, auf Schritt und Tritt von einem bulligen Mann begleitet zu werden. Ein A- oder B-Promi, der keinen Gang mehr ohne Bodygard tut, ist auch ständig unter Beobachtung und irgendwie angekettet. Die Kette wirkt hier in beide Richtungen.
Guten Abend