Abendbummel online - Magisches Denken und zwei Richtungen der Kette

Abendbummel Animation01Eine frühkindliche Erinnerung an magisches Denken: Ich muss noch sehr klein gewesen sein, da erwachte ich einmal aus einem mittäglichen Schlaf. Die Sonne drang schummrig durch die zugezogenen Vorhänge, und in diesem Zwielicht sah ich am Fußende meines Bettes einen Löwen liegen. Er schaute mich an und schien darüber zu wachen, dass ich nicht vorzeitig aufstand. Das machte mir so große Furcht, dass ich erstarrt im Bett liegen blieb und wartete, bis meine Mutter mich erlöste. Sie zeigte mir, dass ich den Faltenwurf der Zudecke für einen Löwen gehalten hatte.

Daran wurde ich heute erinnert, als ich vom Café Egmont in der Pontstraße seitlich über den Markt nach Hause bummelte. Es gibt dort ein seltsames Geschäft, das Möbel, Einrichtungsgegenstände und Skulpturen im pseudo-morgenländischen Stil anbietet. Die Sachen sind reichlich teuer und finden gewiss ihren Platz in repräsentativen Häusern, zu denen nur wenige Zugang haben, - wenn sie nicht den Dienstboteneingang nehmen. Vor diesem Geschäft war an einer Säule ein lebensgroßes graues Krokodil angekettet. Das Abendlicht ließ die Kette silbern aufblitzen, und für einen Moment dachte ich, das Krokodil sei angekettet, damit es keine Passanten beißt.

Es hat sich jedoch nicht gerührt, als ich vorbeiging. Über solche Momente magischen Denkens freue ich mich. Sie beflügeln die Phantasie, denn nichts kettet die schöpferischen Kräfte mehr als das nüchterne Betrachten der Dinge. Doch man muss frei wählen können zwischen den Weisen zu denken, was uns zum Beispiel vom mittelalterlichen Menschen unterscheidet, der auch in der christlichen Religion überall magische Erscheinungen witterte.

In den mittelalterlichen Kirchen lag die wertvolle Bibel an einer Kette, um sie vor Dieben zu schützen. Selbst Luther fand in Erfurt die Bibel noch „angekettet wie ein Hofhund“. Dass die Bibel in Ketten lag, wurde vom unkundigen Volk für verdächtig gehalten, und man mutmaßte, die Bibel müsse angekettet sein, weil sie für das einfache Volk gefährlich sei.

Nicht immer weiß man, wovor eine Kette schützt. Gerade hatte mich das Krokodil unbehelligt vorbeigelassen, da stieg aus einem schwarzen Mercedes der Eigentümer einer berühmten Aachener Printenfabrik, schob sich ein silbern blitzendes Handy unter die dauergewellte graue Mähne, sprach wichtige Sachen hinein und eilte in eine Parfümerie. Sein Fahrer und Bodygard folgte ihm einige Schritte und lungerte dann in der Nähe des Autos auf dem Bürgersteig herum. Da dachte ich, dass es seltsam sein muss, auf Schritt und Tritt von einem bulligen Mann begleitet zu werden. Ein A- oder B-Promi, der keinen Gang mehr ohne Bodygard tut, ist auch ständig unter Beobachtung und irgendwie angekettet. Die Kette wirkt hier in beide Richtungen.

Guten Abend
1362 mal gelesen
immekeppel - 15. Mai, 21:46

kettenstopfen

da hatten wir mal einen wannenstöpsel an der kette, besonders gefährlich war er allerdings nicht...

und das mit dem löwen am fussende, das ist lustig, im nachhinein, für's kind selber wohl nicht.

ich bin auch einmal zu tode erschrocken (naja, fast) - des nachts, aus dem schlaf geschreckt, glaubte ich, mitten in meinem zimmer stünde ein imker. dabei war es nur das seidentuch, welches ich um den runden, flachen schirm der hängelampe gelegt hatte, abends, um das licht zu dämpfen. das allerdings hatte ich für einen moment vergessen

Trithemius - 15. Mai, 22:29

Das wäre doch mal eine Schlagzeile:

Entfesselte Wannenstöpsel greifen nach der Macht!

Einen Imker im Zimmer zu haben, finde ich ziemlich surreal.
twoodle (Gast) - 15. Mai, 23:11

Gefährlicher als zuerst zu denken es handele sich um ein Krokodil um dann festzustellen, dass es keines ist, ist es meiner Meinung nach genau andersherum: Wenn einen der Trott dazu verleitet anzunehmen, dass es in der Stadt keine angeketteten Krokodile, im Bett keine Löwen und im Zimmer keine Imker gibt, um dann festzustellen, dass sie doch da sind. Steht man zB einfach aus dem Bett auf und denkt sich: Da wird schon kein Imker sein, rempelt man diesen ausversehen an und der scheucht voller Schreck die Bienen auf.
Insofern kann man sagen, magisches Denken ist eine Art Vorsichtsmaßnahme.
Meine letzte Erfahrung mit magischem Denken: Ich dachte beim Wein trinken die ganze Zeit, dass ich eine Zauberflasche Merlot hätte, weil sie trotz munteren Becherns nicht leerer wurde. Des Rätsels Lösung: Es waren zwei Flaschen, eine davon hatte Sören mitgebracht. Und ich führte auch keine unterhaltsamen Selbstgespräche sondern nur eine ganz fade Konversation

Trithemius - 16. Mai, 11:27

Schon wieder Sören!

Ist das die Fortsetzung deiner ersten Sören-Geschichte, twoodle?
http://trithemius.twoday.net/stories/3633796/

Ich habe erneut sehr gelacht.
immekeppel - 16. Mai, 14:51

gefährlich ist das bienen aufscheuchen für mich in der tat, leide ich doch an einer massiven insektengift allergie
webgeselle - 16. Mai, 14:44

Schlimmer ist so was wie...

..."Reich des Bösen" (Bush), denn das ist auch magisches Denken; meine Güte: bin ich heute wieder schlau...

Trithemius - 16. Mai, 20:29

Reich des Bösen ....

der Spruch eines Leuteverwirrers.
webgeselle - 18. Mai, 00:06

Zum "Leute verwirren"...

... gehören ja auch immer die besagten Leute, aber "Reich des Bösen" ist eben etwas, was in die frühe Kindheit paßt und nicht in die "hohe Politik"... - Egal, ich, hihi, bleibe jetzt lieber auf dem Teppich...
Trithemius - 18. Mai, 20:19

Dann bist du hier richtig.

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