Regenschirm aufspannen
von Trithemius - 3. Okt, 20:29
Kommst du mit in die Stadtbibliothek? Sie ist im Gebäude einer ehemaligen Molkerei untergebracht, das man um- und ausgebaut hat. Eine ganze Weile hat es da noch nach Milch gerochen. Doch irgendwann verliert sich alles. Früher lag die Stadtbibliothek in einem alten Gebäude in der Peterstraße. Man trat auf der ersten Etage in einen Katalograum, musste zunächst Karteikarten befragen, dann einen Bestellzettel ausfüllen und einem livrierten Angestellten aushändigen. Der nannte dir gnädig einen vagen Abholtermin, und wenn du Glück hattest, lag dein bestellter Stapel bereit, nachdem du eine Runde durch Aachen und einmal rundum gemacht hattest. Und manchmal konnte sich dein Glück unmittelbar in Pech verwandeln, wenn sich die bestellten Werke als ungeeignet entpuppten.
Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens steht übrigens auf der ersten Etage. Die Bände gehören zum Präsenzbestand. Man kann sie nicht ausleihen. Im Regal drüben steht allerdings ein Nachdruck, den man ausleihen dürfte. Ich blättere lieber in der ledergebundenen Ausgabe von 1933, obwohl ich Vegetarier bin. Die Kühe, die dafür ihre Haut hergeben mussten, sind ja nicht mehr zu retten. Außerdem, wenn ich Milch trinke, muss ich mich auch damit abfinden, dass eine Kuh nicht an Altersschwäche sterben wird, sondern vorher die Gurgel ... und so. Das ganze Schriftwesen ist unmittelbar mit tierischen Produkten verbunden. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Buchpapier mit tierischem Leim gemacht. Dieses Papier hält viel länger als jüngere Papiersorten. Deshalb ist der Erhaltungszustand alter Bücher oft besser als der ihrer Nachfolger. Für das HDW gilt das leider nicht.
Im Kellergewölbe der Bibliothek lagern Pergamenthandschriften. Viele müssen noch archiviert werden. Eine Bibliothekarin sieht darin ihr Lebenswerk. Kürzlich war sie in der WDR-Lokalzeit zu sehen, und da sagt sie, dass sie bis zum Ende ihrer Dienstzeit nicht damit fertig werden würde. Vor einigen Jahren bin ich einmal mit ihr ausgegangen. Doch mit ihren Büchern konnte ich nicht konkurrieren.
Die feinste Sorte Pergament heißt übrigens Jungfernpergament. Es ist aus der Haut ungeborener Tiere gemacht. Schon seltsam, oder? Man kann sich die heilige Inbrunst vorstellen, mit der sich ein Schreibermönch an sein Pult setzte, um heilige Texte aufs Jungfernpergament zu kalligraphieren. Die Inbrunst war auch nötig, denn das Schreiben war ein mühseliges Schaffen. Oft waren die Skriptorien ungeheizt, und in vielen Randbemerkungen findet sich die Klage über schlechtes Beleuchtung und kältestarre Finger. An einer Bibel schrieb man über ein Jahr. Doch der heilige Columba im 6. Jahrhundert schrieb eine Evangelienhandschrift in 12 Tagen. Dietrich, der erste Abt von St. Evroul, nutzte übrigens den Aberglauben, um seine Schreiber zu motivieren. Er pflegte ihnen die Geschichte von einem sündhaften Mönch zu erzählen, der einmal aus freien Stücken einen Folianten abgeschrieben hatte. Als er gestorben war, verklagten ihn die Teufel, die Engel aber brachten das große Buch hervor, von dem nun jeder Buchstabe eine Sünde aufwog, und siehe da, es war ein Buchstabe übrig. Da wurde seiner Seele gestattet, in den Körper zurückzukehren und auf Erden Buße zu tun.
Bin ich etwa vom Thema abgekommen? Du guckst so merkwürdig. Ja, ich weiß, wir wollten nachschlagen, was es mit dem Schirmaufspannverbot auf sich hat. Tatsächlich steht hier was. Komisch, jahrzehntelang habe ich meinen nassen Schirm aufgespannt, und jetzt lese ich, welch schreckliches Ungemach mir deshalb widerfahren könnte. Und alle scheinen von der Gefahr zu wissen. Selbst die Queen lässt den Regenschirm erst vor dem Buckingham Palace aufspannen, habe ich bei wdr.de gelesen. Aberglaube sucht sich übrigens immer neue Erscheinungsformen. In einem Skater-Forum las ich eben: „regenschirm in der wohnung aufspannen, bringt die bullen ins haus“. Warum die Queen wohl Angst vor den Bullen hat?
Guten Abend
1256 mal gelesen
Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens steht übrigens auf der ersten Etage. Die Bände gehören zum Präsenzbestand. Man kann sie nicht ausleihen. Im Regal drüben steht allerdings ein Nachdruck, den man ausleihen dürfte. Ich blättere lieber in der ledergebundenen Ausgabe von 1933, obwohl ich Vegetarier bin. Die Kühe, die dafür ihre Haut hergeben mussten, sind ja nicht mehr zu retten. Außerdem, wenn ich Milch trinke, muss ich mich auch damit abfinden, dass eine Kuh nicht an Altersschwäche sterben wird, sondern vorher die Gurgel ... und so. Das ganze Schriftwesen ist unmittelbar mit tierischen Produkten verbunden. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Buchpapier mit tierischem Leim gemacht. Dieses Papier hält viel länger als jüngere Papiersorten. Deshalb ist der Erhaltungszustand alter Bücher oft besser als der ihrer Nachfolger. Für das HDW gilt das leider nicht.
Im Kellergewölbe der Bibliothek lagern Pergamenthandschriften. Viele müssen noch archiviert werden. Eine Bibliothekarin sieht darin ihr Lebenswerk. Kürzlich war sie in der WDR-Lokalzeit zu sehen, und da sagt sie, dass sie bis zum Ende ihrer Dienstzeit nicht damit fertig werden würde. Vor einigen Jahren bin ich einmal mit ihr ausgegangen. Doch mit ihren Büchern konnte ich nicht konkurrieren.
Die feinste Sorte Pergament heißt übrigens Jungfernpergament. Es ist aus der Haut ungeborener Tiere gemacht. Schon seltsam, oder? Man kann sich die heilige Inbrunst vorstellen, mit der sich ein Schreibermönch an sein Pult setzte, um heilige Texte aufs Jungfernpergament zu kalligraphieren. Die Inbrunst war auch nötig, denn das Schreiben war ein mühseliges Schaffen. Oft waren die Skriptorien ungeheizt, und in vielen Randbemerkungen findet sich die Klage über schlechtes Beleuchtung und kältestarre Finger. An einer Bibel schrieb man über ein Jahr. Doch der heilige Columba im 6. Jahrhundert schrieb eine Evangelienhandschrift in 12 Tagen. Dietrich, der erste Abt von St. Evroul, nutzte übrigens den Aberglauben, um seine Schreiber zu motivieren. Er pflegte ihnen die Geschichte von einem sündhaften Mönch zu erzählen, der einmal aus freien Stücken einen Folianten abgeschrieben hatte. Als er gestorben war, verklagten ihn die Teufel, die Engel aber brachten das große Buch hervor, von dem nun jeder Buchstabe eine Sünde aufwog, und siehe da, es war ein Buchstabe übrig. Da wurde seiner Seele gestattet, in den Körper zurückzukehren und auf Erden Buße zu tun.
Bin ich etwa vom Thema abgekommen? Du guckst so merkwürdig. Ja, ich weiß, wir wollten nachschlagen, was es mit dem Schirmaufspannverbot auf sich hat. Tatsächlich steht hier was. Komisch, jahrzehntelang habe ich meinen nassen Schirm aufgespannt, und jetzt lese ich, welch schreckliches Ungemach mir deshalb widerfahren könnte. Und alle scheinen von der Gefahr zu wissen. Selbst die Queen lässt den Regenschirm erst vor dem Buckingham Palace aufspannen, habe ich bei wdr.de gelesen. Aberglaube sucht sich übrigens immer neue Erscheinungsformen. In einem Skater-Forum las ich eben: „regenschirm in der wohnung aufspannen, bringt die bullen ins haus“. Warum die Queen wohl Angst vor den Bullen hat?
Guten Abend