Abendbummel durch private Welten

Privatweltaneignung„Wir haben nur Topfblumen“, sagt die Frau im Blumengeschäft, und obwohl sie sich Mühe gibt, mich zu überzeugen, lasse ich mir keinen Blumentopf andrehen. Man kann doch bei einer Einladung nicht mit einer Topfblume erscheinen, oder? Jedenfalls würde ich mich garantiert unwohl fühlen und dann würde ich mich entschuldigend etwa sagen hören: „Halten sich länger.“ Gleichzeitig würde ich mich ärgern, dass ich mich schon bei der Begrüßung der Dame des Hauses entschuldigen muss, weil ich zu faul gewesen war, noch einmal in die Innenstadt zu laufen. Also suche ich lieber ein anderes Blumengeschäft. Dort frage ich nach einem Herbstblumenstrauß, und die Blumenfrau geht mit mir vor die Tür, um mir ihre neuste floristische Kreation zu zeigen. „Nee, der ist mir zu protzig!“ Schon muss ich mich bei ihr entschuldigen und rasch hinterher schieben: „Verzeihen Sie, ich wollte Ihr Werk nicht schmähen!“ Das hilft, und sie gibt sich mit meinem Strauß wirklich Mühe.

Bei meinen
Gastgebern treffe ich auf einen freundlichen Mann, einen Freund der Familie, der sich beständig etwas in ein Büchlein notiert, Buchtitel, meine Teppichhausadresse, Wörter, die ihm gefallen … - er kartographisiert seine Eindrücke. Diese Form der Aneignung von Welt schätze ich sehr. Wenn man auf diese Weise Notizen macht, verbinden sich manche von ihnen synästhetisch mit dem Ort des Geschehens und eventuell mit der gesamten Situation. So bekommt jede Notiz eine Bedeutungstiefe, die einer nachträglichen fehlt. Vor Jahren zeichnete ich einmal 30 Tage hintereinander von morgens bis zum späten Nachmittag, wenn das Licht zu schlecht wurde. Dabei hörte ich die ganze Zeit Musik. Noch Jahre später erinnerte ich die Musik, wenn ich eines der 30 Bilder betrachtete, und ich erinnerte mich an die Bilder, wenn ich die Musik hörte. Ähnlich koppelt sich eine Notiz an den Ort des Geschehens und an die Personen. Man muss freilich auch ordentlich schreiben, wie der Mann es tut.

Zu den
Dingen, die man nicht leicht verbessern kann, gehört ein Moleskinebüchlein. In seiner jungfräuliches Form ist es nahezu perfekt. Wenn man etwas hineinschreiben will, muss man dieser Form etwas hinzufügen, das ihren Wert deutlich hebt. Der Mann schreibt mit einer kleinen, sorgfältigen Schrift. Er hat die leichte Hand eines Zeichners, und so finden sich gewiss auch einige Zeichnungen in seinem Büchlein. Wenn mir einmal ein junger Mensch begegnen würde, der auch so ein Büchlein führt, wäre ich irgendwie erleichtert. Ich fürchte diese Form des schreibenden und zeichnenden Aneignens ist eine aussterbende Kunst.

Ein Internet-Weblog hat andere Qualitäten. Ihm allerdings fehlt die Tiefendimension und vor allem das Private. Zwischen dem Leben und dem, was jemand in seinem Weblog spiegelt, klafft in der Regel eine Lücke. Was sich im privaten Raum abspielt, lohnt sich festzuhalten durch Notizen. So ein Büchlein ist eine Erweiterung des eigenen Daseins. Man kann sich in Mußestunden darin versenken und daraus schöpfen wie aus einem Bergwerk.

Guten Abend
1257 mal gelesen

Plausch mit Frau Nettesheim - Am besten alles weglassen

trithemius & Frau NettesheimTrithemius
Ja, ja, ja, Frau Nettesheim. Ich weiß, warum Sie mich so vorwurfsvoll anschauen.

Frau Nettesheim
Gar nicht, Trithemius. Ich verstehe recht gut, warum Sie zur Zeit so wenig schreiben.

Trithemius
Es ist Demut, Frau Nettesheim. Ich kann eben nicht jederzeit in den Wortbaukasten greifen und Wörter aneinanderreihen wie Dominosteine. Versucht habe ich es sehr wohl. Doch wenn ich immerzu Wörter herausfische, die nicht zueinander passen, dann lasse ich es besser.

Frau Nettesheim
Wollen Sie mir erzählen, dass Schreiben ein wahlloses Herausfischen von Wörtern ist?

Trithemius
Eben nicht. An guten Tagen reicht ein Gedanke, ein erster Satz, und dann stellen sich in der Folge die richtigen Wörter ein. Ich muss sie nur noch gefällig anordnen. Denn es steckt ja genug Weisheit in den Wörtern. Ein jedes hat ein kaum fassbares Bedeutungsfeld, trägt seine Geschichte in sich und zwar von seinem Entstehen aus einer bildhaften Vorstellung über die verschiedenen Verwendungsweisen im Laufe der Zeit bis hin zu seiner Banalisierung und Verflachung im Alter.

Deshalb besteht der Trick im absichtlich ungenauen Einsatz von Wörtern. Dann entfalten sie beim Leser mehr Bedeutung als der jeweilige Autor sich gedacht hat. Und dann ist da auch noch das Weglassen. Wo es nicht nötig ist, eine Sache genau zu beschreiben, da lässt man Leerstellen, damit der Leser auch was zu tun hat.

Frau Nettesheim
Wenn Sie so genau enthüllen können, wie Ihr Schreiben funktioniert, warum schreiben Sie dann nicht?

Trithemius
Weil ich in der Stimmung bin, beinahe alles wegzulassen. Ich schreibe zum Beispiel den Satz: „Natürlich war und ist die Menschheit dem Wahnsinn verfallen.“ Der reicht doch, Frau Nettesheim. Wie der Wahnsinn in seinen verschiedenen Erscheinungsformen aussieht, kann sich jeder selbst ausmalen.

Frau Nettesheim
Es wäre leichter, Ihren Satz zu verstehen, wenn Sie mir ein Beispiel geben.

Trithemius
Bin ich vielleicht ein Buchhalter, der den täglichen Hirnriss Seit um Seit in Folianten pinselt? Man braucht doch nur die Bildzeitung abzuheften und jeden Monat binden zu lassen, dann hat man eine wunderbare Chronik des Irrsinns.

Frau Nettesheim
Sie übertreiben, denn eine Zeitung spiegelt nicht das reale Leben, in dem es sehr wohl gute und nützliche Handlungen gibt, anders als die journalistisch frisierten Selektionen vermuten lassen.

Trithemius
Bitteschön, Frau Nettesheim, dann gebe ich Ihnen einen unfrisierten Dialog, den ich in einem Handyladen hörte. Ein Mann namens Dominik sagt dem Service-Techniker:
„Mein Handy kackt dauernd ab, und wenn mich einer anruft, kann ich ihn nur über Lautsprecher verstehen.“
Der Techniker betrachtet das defekte Gerät und sagt:
„Es kackt ab, und was war noch?“

Frau Nettesheim
Hihi.

Trithemius
Und Sie lachen auch noch.
1480 mal gelesen

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Teppichhaus Trithemius / Teestübchen Trithemius

Aktuelle Beiträge

Die Papiere des PentAgrion...
<img alt="Papiere des PentAgrion bd 2" style="margin:5px;"...
Trithemius - 23. Apr, 13:18
Die Papiere des PentAgrion...
Folge 2.1 Die Macht der Jacke - Folge 2.2 Von den Socken...
Trithemius - 3. Feb, 09:49
Papiere des PentAgrion...
Folge 2.1 Die Macht der Jacke - Folge 2.2 Von den...
Trithemius - 3. Feb, 00:20
Die volle Wahrheit über...
Dienstagmorgen kurz vor der Teestübchen-Redaktionskonf ernenz....
Trithemius - 25. Apr, 19:16
Besser aufrecht sterben,...
Besser aufrecht sterben, als mit kalten Knien leben! Nach...
Lo - 25. Feb, 17:03
An einem Sonntagmorgen...
Allmorgendlich klappe ich den Tagesschau-Feadreader...
Trithemius - 25. Feb, 10:45
Teestübchen Humorkritik...
Morgens werde ich wach, ist mein Humor weg, die heitere...
Trithemius - 13. Feb, 17:30
Hallo Melanie,
welch eine Überraschung. Du bist mir offenbar nicht...
Trithemius - 3. Jan, 17:02

RSS Box

Links

Suche

 

Kalender

Oktober 2007
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 5 
 6 
 8 
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
22
23
24
26
27
28
 
 
 
 
 

Web Counter-Modul

Status

Online seit 6468 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Abendbummel online
Bild & Text
Ethnologie des Alltags
Frau Nettesheim
freitagsgespräch
Gastautoren
Hannover
Internetregistratur
Kopfkino
Pataphysisches Seminar
Pentagrion
Schriftwelt im Abendrot
surrealer Alltag
Teppichhaus Intern
Teppichhaus Textberatung
Textregistratur
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren