Nächtlicher Auftrag

Nächtlicher-Auftrag

Gestern Nacht lag ich im Bett und dachte: Mach, dass ich morgen einige wichtige Dinge erledigen kann. So hingeschrieben, klingt es wie ein Gebet. Es war aber nicht wie ein Gebet gemeint, denn eigentlich sprach ich mit mir und gab meinem Ich der Nacht einen Auftrag. Einfache Dinge erledigt mein Ich der Nacht prompt. Wenn ich ihm zum Beispiel sage, dass ich am nächsten Morgen um 6:05 Uhr aufwachen will, dann wache ich pünktlich um 6:05 Uhr auf. Und stimmt die Uhrzeit nicht ganz, dann geht die Uhr nicht richtig. Mein gestriger Auftrag betraf viel schwierigere Angelegenheiten, und trotzdem wurde auch er durchgeführt. Ich erledigte den Tag über einige Dinge zu meiner Zufriedenheit, kam gut in meiner Arbeit voran und schaffte es sogar, zwei Beiträge für das Teppichhaus zu schreiben, einen polemischen und diesen hier. Man kann also sagen, das Ich der Nacht hat das Tages-Ich gut bedient. Wie ist das möglich?

Ein Versuch der Verallgemeinerung: Die Handlungen des Menschen bei Tag beeinflussen auf unwägbare Weise die nächtlichen Träume, mithin das Erleben einer der beiden menschlichen Daseinsformen. In der Daseinsform des Wachens ist der Mensch wiederum von seinen nächtlichen Traumerfahrungen und den unbewussten Vorgängen beeinflusst. So ragt eine Daseinsform in die andere und bedingt sich wechselseitig.

Sich selbst einen Auftrag für die Nacht zu geben, ist eine seltsame Angelegenheit. Tag-Ich spricht mit Nacht-Ich, und wer ist es, für den sie es tun? Irgendwo in der Mitte zwischen beiden ist ein beobachtendes und erlebendes Ich. Dieses Ich profitiert von einer Zusammenarbeit der beiden anderen. Die Hirnforschung behauptet, sie habe eine solche Zentrale nicht gefunden. Trotzdem kann jeder Mensch sie erleben, wenn er sich einmal einen Augenblick selbst betrachtet und gleichsam gut auf sich und seine Handlungen achtet. Sie sollten auf die Zukunft gerichtet sein. Denn seltsam genug, auch das Ich, das du gestern warst, beeinflusst dein Heute. Also ist es ratsam, vernünftig für das Ich vom morgen zu sorgen.

Es scheint, als verstünden es einige gut, für sich selbst zu sorgen, andere könnten es gar nicht. Die es nicht können, verfügen nicht über die materiellen Mittel, ihr Leben angemessen zu gestalten. Das würden sie auch nicht können, wenn sie sich nächtliche Aufträge geben, denn ein solcher Auftrag muss sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten bewegen. Es geht um Bildung, Können und Kapital, und wenn sie fehlen, ist Hilfe von außen nötig. Das Schicksal dieser Menschen muss einen nicht einmal groß bekümmern. Sozialer Ausgleich ist eine Angelegenheit der Vernunft. Es ist vernünftig, sich sozial zu verhalten, weil die Gesellschaft insgesamt durch ihren Zusammenhalt gestärkt wird. Sie ist effektiver, und das kommt allen zugute. Deshalb muss die verantwortliche Selbstsorge erweitert werden. Zu ihr gehört auch soziales Verhalten. Unsere Ichs der Zukunft freuen sich, wenn wir ihnen eine freundliche Welt bauen, in der es sich gemeinschaftlich gut leben lässt.
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