Effizientes Flippern im schwarzen Dress
von Trithemius - 6. Mär, 17:39
Schon im Jahr 1922 wünschte sich der Schriftsteller Alfred Polgar von der Schreibmaschine: „Die Entwicklung muss hier, wie bei jeder Maschine, dahin streben, die notwendige menschliche Mitarbeit immer mehr und mehr einzuschränken. Der Tag, an dem es gelungen sein wird, den Schriftsteller ganz auszuschalten und die Schreibmaschine unmittelbar in Tätigkeit zu setzen, wird das große Zeitalter menschlicher Dichtkunst einleiten.“
Dieses große Zeitalter ist ja längst angebrochen, seitdem wir über den Computer verfügen, den Umberto Eco schon in den 80ern zur "spirituellen Maschine" erklärt hat. Also lasse ich die Finger über die Tasten eilen, ohne sie von kruden Gedanken stören zu lassen, und berichte über die weltweit größte Demonstration mannigfaltiger Bestrebungen, den menschlichen Geist weitgehend überflüssig zu machen und den Rest zu steuern. Wie sich jeder ohne Anstrengung denken kann, geht's um die CeBIT 2010. Hier zeigen sich zwei große Tendenzen, beide nicht neu, aber immer ausgefeilter:
Erstens sollen Hard- und Software zunehmend übernehmen, was der Mensch früher mit seinem Kopf bewerkstelligen musste, sogar als intelligentes Verhalten angesehen wurde, und weil die Maschinen inzwischen so ungleich schneller und genauer sind als er, kann er am Ende nicht mehr sicher sein, ob er wenigstens noch zum Kaffeeholen taugt, ohne zu schlabbern. Was Programme so alles können und wie sie zu bedienen sind, erfährt der geneigte Fachbesucher in diversen Auditorien. Da agieren Moderatoren mit Mikrophonen vorm Maul, von Kameras abgefilmt und überhöht, vor und auf Displays groß wie Hauswände, und man sieht wie hie angeklickt, da etwas eingeben wird oder wie ganze Elemente von einer Ecke der Bedieneroberfläche in die andere gezogen werden, worauf weitere Pop-Up-Fenster aufspringen und damit vor allem eines zeigen: Die Software ist ein nicht auszulotendes Universum. Glücklich, wer sich nicht darin verrennt, sondern eine Weile zu tun imstande ist, was das Programm von ihm verlangt.
Um was es geht, das tönt aus allen Lautsprecherboxen: „Effizienz“. Das Wort bedeutet etwa „bestmöglicher Wirkungsgrad“, „besonders wirtschaftlich“. Man ahnt, wie sich die Leute fühlen, die vor dem Geflimmer der Riesendisplays sitzen wie Ochsen vorm Berg, mal aufs Klo müssten oder Hunger haben, schon eine Weile nicht mehr mitkommen, weil ihnen neue Fachtermini nur so um die Ohren fliegen und alles viel zu rasch aufeinander folgt. Die überwiegend männlichen Zuschauer lernen hier vor allem eines: Besonders wirtschaftlich sind sie nicht, wenn sie kaum die Hälfte mitkriegen und den Rest auch noch vergessen, sobald eine der aufgezäumten Messehostessen vorbeistöckelt. Effizienz ist das dem Menschen unerreichbare Ziel, denn egal, welche Bedienungsvorschriften er sich auf die unzulängliche menschliche Festplatte schafft - schon im nächsten Jahr wird man ihm zeigen, dass alles noch viel effizienter geht.
Immerzu hinterher zu hecheln und ständig in Gefahr, abgehängt zu werden, das deprimiert, und so erklärt sich der allgemeine Dresscode: Schwarzer Anzug. Die langhaarigen Garagentüftler sind Technikgeschichte, und die digitalen Bohemiens sind längst in einer ineffizienten Zeitblase gestrandet, wo sie ein bisschen an sich und ihren digitalen Gimmicks herumspielen dürfen. Den Ton geben die Technokraten und Ingenieure an, und die servilen Maschinendiener geben auch das Tempo vor. Im Gewusel der Messebesucher überwiegt schwarz, und hier unterscheidet sich der Inder nicht vom Japaner, der Turkmene nicht vom Spanier oder Brandenburger. Aber was man ganz und gar nicht sieht, sind Schwarzafrikaner. An Computertechnologien haben sie offenbar keinen Anteil. Der schwarze Kontinent ist ein weißer Flecken auf der digitalen Landkarte, ein ganzer Kontinent ist längst abgehängt und folglich hoffnungslos ineffizient, nicht mehr zu retten.
Der zweite Anschlag auf den menschlichen Geist ist weit radikaler. Es geht um die totale Vereinnahmung des Menschen, um die Anpassung des Menschen an die Maschine. Sie beginnt schon mit dem Einlass. Du kannst nicht einfach eine Eintrittskarte kaufen und durch eines der Drehkreuze spazieren. Du musst dich zuerst über ein Terminal registrieren, deinen Wohnort und die E-Mail-Adresse preisgeben, das Unternehmen benennen, von dem du geschickt worden bist, und hinsichtlich seiner Größe klassifizieren, deine Funktion angeben. Irgendwo wird dein Name auf ein Kärtchen gedruckt, und danach tritt eine freundliche Hostess an dich heran und händigt dir einen Anhänger mit Hosenträgerklammer aus, den du tragen musst, als wärst du ein wandernder Kartoffelsack. Seitlich befindet sich ein Scan-Code, und wo du überall gescannt wirst, weißt du nicht. Offenbar will man jederzeit wissen, wo der Kartoffelsack unterwegs ist. Ein Wunder, dass dem Messebesucher noch kein RFID-Chip untergejubelt wird, mit dessen Hilfe sich ein komplettes Bewegungsbild erstellen lässt.
Am Stand des Bundesministeriums für Bildung und Forschung setze ich mich an einen Flipper. Und wie ich noch nach den Bedienknöpfen taste, tritt eine Dame hinzu und erklärt, dass man diesen Flipper nur mit Gedanken steuern könne. Tags zuvor habe ein junger Mann auf meinem Platz gesessen, etwa eine Dreiviertelstunde sein Gehirn trainiert, und dann habe er flippern können, ohne seine Hände zu benutzen. Nur etwa 70 Prozent der Menschen seien in der Lage, gedanklich zu flippern; - wer hätte das gedacht. Das wirft die Frage auf, was werden soll mit den 30 Prozent mentaler Flipper-Analphabeten. Kann sich die digitale Gesellschaft auf Dauer leisten, diese Versager durchzufüttern? Wer seine gedanklichen Abläufe nicht auf einfaches Links-Rechts und Ja-Nein konditionieren kann, wozu soll der noch gut sein?
Die gedankliche Steuerung von Flippern, Computern, Flugzeugen oder Waffensystemen funktioniert nur ohne Wenn und Aber. Wer zweifelt, wer sich ein Vielleicht vorbehalten möchte oder noch mal in Ruhe drüber nachdenken, ist nicht maschinenkompatibel. Unsere Schulen werden ein neues Denken lehren müssen, das Denken der reinen Zweckbestimmung. Dann, und das ist ein Grund zum Jubeln, dann erklärt sich alles zum gedanklichen Ballast, was Sand ins Getriebe der Mensch-Maschinen-Interaktion streuen könnte: Das üble Zweifeln, die quälerischen Sinnfragen und das ganze Gedöns können wir getrost vergessen. 70 Prozent der Menschheit geht herrlich effizienten Zeiten entgegen. Und der Rest hat frei.
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Dieses große Zeitalter ist ja längst angebrochen, seitdem wir über den Computer verfügen, den Umberto Eco schon in den 80ern zur "spirituellen Maschine" erklärt hat. Also lasse ich die Finger über die Tasten eilen, ohne sie von kruden Gedanken stören zu lassen, und berichte über die weltweit größte Demonstration mannigfaltiger Bestrebungen, den menschlichen Geist weitgehend überflüssig zu machen und den Rest zu steuern. Wie sich jeder ohne Anstrengung denken kann, geht's um die CeBIT 2010. Hier zeigen sich zwei große Tendenzen, beide nicht neu, aber immer ausgefeilter:
Erstens sollen Hard- und Software zunehmend übernehmen, was der Mensch früher mit seinem Kopf bewerkstelligen musste, sogar als intelligentes Verhalten angesehen wurde, und weil die Maschinen inzwischen so ungleich schneller und genauer sind als er, kann er am Ende nicht mehr sicher sein, ob er wenigstens noch zum Kaffeeholen taugt, ohne zu schlabbern. Was Programme so alles können und wie sie zu bedienen sind, erfährt der geneigte Fachbesucher in diversen Auditorien. Da agieren Moderatoren mit Mikrophonen vorm Maul, von Kameras abgefilmt und überhöht, vor und auf Displays groß wie Hauswände, und man sieht wie hie angeklickt, da etwas eingeben wird oder wie ganze Elemente von einer Ecke der Bedieneroberfläche in die andere gezogen werden, worauf weitere Pop-Up-Fenster aufspringen und damit vor allem eines zeigen: Die Software ist ein nicht auszulotendes Universum. Glücklich, wer sich nicht darin verrennt, sondern eine Weile zu tun imstande ist, was das Programm von ihm verlangt.
Um was es geht, das tönt aus allen Lautsprecherboxen: „Effizienz“. Das Wort bedeutet etwa „bestmöglicher Wirkungsgrad“, „besonders wirtschaftlich“. Man ahnt, wie sich die Leute fühlen, die vor dem Geflimmer der Riesendisplays sitzen wie Ochsen vorm Berg, mal aufs Klo müssten oder Hunger haben, schon eine Weile nicht mehr mitkommen, weil ihnen neue Fachtermini nur so um die Ohren fliegen und alles viel zu rasch aufeinander folgt. Die überwiegend männlichen Zuschauer lernen hier vor allem eines: Besonders wirtschaftlich sind sie nicht, wenn sie kaum die Hälfte mitkriegen und den Rest auch noch vergessen, sobald eine der aufgezäumten Messehostessen vorbeistöckelt. Effizienz ist das dem Menschen unerreichbare Ziel, denn egal, welche Bedienungsvorschriften er sich auf die unzulängliche menschliche Festplatte schafft - schon im nächsten Jahr wird man ihm zeigen, dass alles noch viel effizienter geht.
Immerzu hinterher zu hecheln und ständig in Gefahr, abgehängt zu werden, das deprimiert, und so erklärt sich der allgemeine Dresscode: Schwarzer Anzug. Die langhaarigen Garagentüftler sind Technikgeschichte, und die digitalen Bohemiens sind längst in einer ineffizienten Zeitblase gestrandet, wo sie ein bisschen an sich und ihren digitalen Gimmicks herumspielen dürfen. Den Ton geben die Technokraten und Ingenieure an, und die servilen Maschinendiener geben auch das Tempo vor. Im Gewusel der Messebesucher überwiegt schwarz, und hier unterscheidet sich der Inder nicht vom Japaner, der Turkmene nicht vom Spanier oder Brandenburger. Aber was man ganz und gar nicht sieht, sind Schwarzafrikaner. An Computertechnologien haben sie offenbar keinen Anteil. Der schwarze Kontinent ist ein weißer Flecken auf der digitalen Landkarte, ein ganzer Kontinent ist längst abgehängt und folglich hoffnungslos ineffizient, nicht mehr zu retten.
Der zweite Anschlag auf den menschlichen Geist ist weit radikaler. Es geht um die totale Vereinnahmung des Menschen, um die Anpassung des Menschen an die Maschine. Sie beginnt schon mit dem Einlass. Du kannst nicht einfach eine Eintrittskarte kaufen und durch eines der Drehkreuze spazieren. Du musst dich zuerst über ein Terminal registrieren, deinen Wohnort und die E-Mail-Adresse preisgeben, das Unternehmen benennen, von dem du geschickt worden bist, und hinsichtlich seiner Größe klassifizieren, deine Funktion angeben. Irgendwo wird dein Name auf ein Kärtchen gedruckt, und danach tritt eine freundliche Hostess an dich heran und händigt dir einen Anhänger mit Hosenträgerklammer aus, den du tragen musst, als wärst du ein wandernder Kartoffelsack. Seitlich befindet sich ein Scan-Code, und wo du überall gescannt wirst, weißt du nicht. Offenbar will man jederzeit wissen, wo der Kartoffelsack unterwegs ist. Ein Wunder, dass dem Messebesucher noch kein RFID-Chip untergejubelt wird, mit dessen Hilfe sich ein komplettes Bewegungsbild erstellen lässt.
Am Stand des Bundesministeriums für Bildung und Forschung setze ich mich an einen Flipper. Und wie ich noch nach den Bedienknöpfen taste, tritt eine Dame hinzu und erklärt, dass man diesen Flipper nur mit Gedanken steuern könne. Tags zuvor habe ein junger Mann auf meinem Platz gesessen, etwa eine Dreiviertelstunde sein Gehirn trainiert, und dann habe er flippern können, ohne seine Hände zu benutzen. Nur etwa 70 Prozent der Menschen seien in der Lage, gedanklich zu flippern; - wer hätte das gedacht. Das wirft die Frage auf, was werden soll mit den 30 Prozent mentaler Flipper-Analphabeten. Kann sich die digitale Gesellschaft auf Dauer leisten, diese Versager durchzufüttern? Wer seine gedanklichen Abläufe nicht auf einfaches Links-Rechts und Ja-Nein konditionieren kann, wozu soll der noch gut sein?
Die gedankliche Steuerung von Flippern, Computern, Flugzeugen oder Waffensystemen funktioniert nur ohne Wenn und Aber. Wer zweifelt, wer sich ein Vielleicht vorbehalten möchte oder noch mal in Ruhe drüber nachdenken, ist nicht maschinenkompatibel. Unsere Schulen werden ein neues Denken lehren müssen, das Denken der reinen Zweckbestimmung. Dann, und das ist ein Grund zum Jubeln, dann erklärt sich alles zum gedanklichen Ballast, was Sand ins Getriebe der Mensch-Maschinen-Interaktion streuen könnte: Das üble Zweifeln, die quälerischen Sinnfragen und das ganze Gedöns können wir getrost vergessen. 70 Prozent der Menschheit geht herrlich effizienten Zeiten entgegen. Und der Rest hat frei.