Auf der Dornröschenbrücke kann es auch schön sein

Es gibt ein Wort, das mir immer wieder in die Sätze gerät, obwohl es in den wenigsten Fällen seines Auftretens erforderlich ist. Es ist so liebedienerisch, dass ich es nicht etwa rufen müsste und ihm sagen: „Kannst du mal kommen und helfen!“ No Sir, wann immer ich zu schreiben beginne, lehnt es bereits an der Ecke, und hast du nicht gesehen, steht’s auch schon im Satz und versteckt sich zwischen den Wörtern, die ich gerufen habe. Manchmal scheint es sogar über die Fähigkeit zu verfügen, sich unsichtbar zu machen, so dass es mir erst später auffällt, wenn ein Text schon veröffentlicht ist.

Wieso es sich bei mir wohl fühlt, weiß ich … nicht. Es muss einst auch sein Gegenteil bedeutet haben, doch im heutigen Sprachgebrauch bedeutet es nur noch eine Hinzufügung. Wenn es sich aufgedrängt hat und ich bemerke es rechtzeitig, dann ist die Aussage … in der Regel besser, stärker und bestimmter, sobald ich es vor die Tür gesetzt habe. Es scheint mir aus dem Mündlichen zu kommen und ich gebe zu, dass es … schon mal die Sprachmelodie verbessert.

Kürzlich traf ich einen Mann, der sagte unaufgefordert, er habe eine Plage. Das Wörtchen „auch“ rutsche ihm in alle Sätze. Er nahm es gelassen, ja, konnte darüber lachen und ließ es mehrmals hintereinander ertönen. „Auch, auch, auch!“ Wir saßen ans Geländer der Dornröschenbrücke gelehnt, tranken Bier, rauchten und genossen den Sonnenuntergang. Vor uns die Leine, unter uns die Leine, hinter uns die Leine. Ab und zu hörten wir das rhythmische Schlagen der Ruderblätter eines Achters, guckten ihm kurz hinterher, um uns wieder der untergehenden Sonne zuzuwenden.

Wenn die Sonne über dem Leinetal untergeht und nicht vorher hinter einer Wolkenbank verschwindet, setzt sie jedes Mal die Krone eines stattlichen Baumes in Brand. Er steht in der Ferne am rechten Ufer, wo die Leine nach links hinter einer Flussbiegung verschwindet. Ich kann mich aber nicht darauf konzentrieren, denn ich muss mich der Auchplage des Mannes neben mir widmen und gleichzeitig will ich einem jungen Gitarristen zuhören. Er heißt Daniel, und ich habe ihn kennen gelernt, bevor der Auchmann sich zu uns setzte, zusammen mit einem Freund. Der wiederum stützt mir aus unerfindlichen Gründen sein Handy aufs Knie und spielt mir eine Tondatei von Jürgen von der Lippe vor. Ich komme nicht dahinter, was es damit auf sich hat. Irgendetwas habe ich gesagt, das ihn ermuntert hat, diese Tondatei auf seinem Handy zu suchen.

Ich hatte nur erzählt, dass ich gehört hatte, wie eine junge Frau ihrem Freund erklärte, worum die Dornröschenbrücke manchmal unter den Tritten eines Joggers ins Schwingen gerät. Dieser Mensch habe die falsche Lauftechnik. Wenn einer seinen Fuß richtig abrolle, dann wippe die Brücke nicht. Die anderen sind dann wohl Hackenläufer wie übrigens die meisten Menschen. Das weiß jeder, der Obernachbarn hat. Diese hübsche Frau, die von den Armen bis weit auf den Rücken tätowiert ist, gab mir auch ein Beispiel, dass Sprache manchmal klüger ist als der Sprecher, ja, den rechten Sinn erst über den Fehler in eine Aussage legt. Sie sagte über einen unglücklich verliebten Freund: „Der Philipp ist so ein netter, lieber Mann. Kann der nicht einfach sein Gegenteil finden?“

Sie meinte wohl „Gegenstück“ im Sinne der zwei Kugelhälften im Gleichnis von Platon. Aber ihr Versprecher ist näher an der Wirklichkeit. Ein netter, lieber Mann wird in der Regel ganz und gar nicht sein liebes, nettes Gegenstück finden. Es liegt wohl daran, dass die Chance, die 2. Kugelhälfte zu finden, recht gering ist, und daher geben die meisten zu früh auf und bescheiden sich mit ihrem Gegenteil. Nur weiß ich nicht, was von der Lippe damit zu tun hat und bin froh, als die Tondatei zu Ende ist und mich wieder der leisen Gitarrenmusik zuwenden kann. Denn auch Daniel singt vom Schönen Scheitern. Und hier darf das Auch endlich mal stehen bleiben.

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