Herdprämie - Herdprämie - Herdprämie

Ab etwa dem 45. Lebensjahr will eine bestimmte Sorte des urbanen Mannes Modelleisenbahner werden. Mangelt es an handwerklichem Geschick, hat er, wie landläufig gesagt wird, zwei linke Hände, dann verlässt er den Modelleisenbahnclub wieder und tritt ersatzweise in eine Sprachgesellschaft ein, etwa in den Bund für deutsche Schrift oder in die Gesellschaft für deutsche Sprache. Und wie bei den Modelleisenbahner auch diplomierte Ingenieure mitmachen, so können auch Sprachgesellschaften Akademiker für sich gewinnen, zum Beispiel ältliche Professoren, die vergrämt auf wissenschaftlichen Abstellgleisen hocken. Heute meldeten die Medien, eine "Jury von Sprachwissenschaftlern" habe das Unwort des Jahres bekannt gegeben. Man hat „Herdprämie“ gekürt.

Ein unbefangener Betrachter könnte vermuten, dass sich die deutsche Sprachwissenschaft mit dem Küren von Wörtern und Unwörtern des Jahres beschäftigt, ja, dass es sogar ihre vornehmste Aufgabe ist, die Wörter des allgemeinen Sprachgebrauchs zu loben oder zu tadeln. Die Sprachwissenschaft wäre dann so etwas wie ein Wortgericht, in dem befunden wird, wie eine Sache genannt werden darf und wie nicht. Mit diesem Anspruch stünde die Sprachwissenschaft über allen, über den anderen Wissenschaften, über den Medien und über der Politik, ja, auch über den Kirchen, denn eine so verstandene Sprachwissenschaft wäre eine übermächtige Religion, die allein nach Gutdünken handelt. Sie kennt keinen Gott als ihren Auftraggeber. Ihr Auftraggeber ist die Sprache selbst, der sich auch Gott unterwerfen muss, denn mit Hilfe der Sprache kann der Mensch sogar mit Gott machen, was er will. Er kann GOTT in Versalien schreiben, GOtt mit zwei großen Anfangsbuchstaben, Gott getreu der amtlichen Rechtschreibung und zuletzt auch als einen kleinen gott.

Entschuldigung, vom Thema abgekommen. Unser Thema: Eine Sprachwissenschaft, die sich moralisierend in die Sprachentwicklung einschaltet, ist keine Sprachwissenschaft, sondern eine Religionsgemeinschaft. Wie kommt es, dass sich Sprachwissenschaftler dazu hergeben, an einem pseudoreligiösen Ritual wie der Wahl des Unwortes teilzunehmen? Es kann nur Eitelkeit sein. Denn eigentlich müssten sie wissen, dass sie spekulativen Unsinn betreiben. Sprache bezeichnet nur. Wenn ein Wort eine üble Sache bezeichnet, so liegt das Übel nicht im Wort, sondern in den realen Gegebenheiten, menschlichen Handlungen und Denkungsweisen.

Die Sprache der Politik und der Medien kennt viele Wörter, die eine bestimmte Gesinnung kennzeichnen. Diese Wörter zu verbieten oder moralisch zu geißeln ist genauso sinnvoll wie Impfung gegen Schweinepest. Man weiß nach Tilgung oder Impfung nicht mehr, wo der Pestvirus steckt. Also, froh um jedes entlarvende Wort.
1525 mal gelesen
la-mamma - 20. Jan, 12:28

mit schaudern erinnere ich mich da

ans österreichische pendant (aus dem vorvorjahr?): "soziale treffsicherheit" - natürlich auch von einer sehr göttlichen jury auserkoren ...

Trithemius - 23. Jan, 22:10

Dann fürchte ich, die Kleingärtner der Sprache sind inzwischen überall.

Trackback URL:
https://trithemius.twoday.net/stories/4620127/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Teppichhaus Trithemius / Teestübchen Trithemius

Aktuelle Beiträge

Die Papiere des PentAgrion...
<img alt="Papiere des PentAgrion bd 2" style="margin:5px;"...
Trithemius - 23. Apr, 13:18
Die Papiere des PentAgrion...
Folge 2.1 Die Macht der Jacke - Folge 2.2 Von den Socken...
Trithemius - 3. Feb, 09:49
Papiere des PentAgrion...
Folge 2.1 Die Macht der Jacke - Folge 2.2 Von den...
Trithemius - 3. Feb, 00:20
Die volle Wahrheit über...
Dienstagmorgen kurz vor der Teestübchen-Redaktionskonf ernenz....
Trithemius - 25. Apr, 19:16
Besser aufrecht sterben,...
Besser aufrecht sterben, als mit kalten Knien leben! Nach...
Lo - 25. Feb, 17:03
An einem Sonntagmorgen...
Allmorgendlich klappe ich den Tagesschau-Feadreader...
Trithemius - 25. Feb, 10:45
Teestübchen Humorkritik...
Morgens werde ich wach, ist mein Humor weg, die heitere...
Trithemius - 13. Feb, 17:30
Hallo Melanie,
welch eine Überraschung. Du bist mir offenbar nicht...
Trithemius - 3. Jan, 17:02

RSS Box

Links

Suche

 

Kalender

Januar 2008
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
12
13
14
17
18
19
20
21
23
24
26
29
30
31
 
 
 
 

Web Counter-Modul

Status

Online seit 6468 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits


Abendbummel online
Bild & Text
Ethnologie des Alltags
Frau Nettesheim
freitagsgespräch
Gastautoren
Hannover
Internetregistratur
Kopfkino
Pataphysisches Seminar
Pentagrion
Schriftwelt im Abendrot
surrealer Alltag
Teppichhaus Intern
Teppichhaus Textberatung
Textregistratur
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren