Befreiung vom Gießbach – Teppichhaus Intern

Es gibt machtvolle Wörter, mit denen kann man die Vergangenheit verändern. Heute Morgen habe ich das Machtwort „left“ in den Layout-Skin des Teppichhauses eingetippt, und augenblicklich war in allen Beiträgen und Kommentaren der Blocksatz in linksbündigen Flattersatz verwandelt, zurück bis in die Bleizeit. Das ist natürlich eine Übertreibung, denn in der Bleizeit gab es das Teppichhaus noch nicht. Aus der Bleizeit stammen aber die typografischen Regeln, nach denen Texte gestaltet werden.

In der Typografie der Bleizeit wurde der Randausgleich durch Verringern oder Austreiben des Wortabstandes hergestellt, wobei man dem Verringern den Vorzug gab, um die Einheit der Zeile nicht zu zerstören. Der ideale Wortabstand entspricht etwa einem Drittel der jeweiligen Schriftgröße, bzw. dem Innenraum des kleinen n. Gegen dieses Ideal wurde schon im 19. Jahrhundert oft verstoßen, denn es war ein Jahrhundert typografischer Verirrungen. William Morris (1834-1896), der englische Dichter, Praeraffaelit und Erneuerer der Buchkunst, schimpft über diesen Kunstfehler der stümperhaften Schriftsetzer seiner Zeit: "Sie neigen dazu, häßlich sich windende weiße Linien auf den einzelnen Seiten entstehen zu lassen. Dieser Makel kann durch Sorgfalt und Vorbedacht fast völlig vermieden werden." (Der Buchdruck, 1893). Der feinsinnige Morris, dessen legendäre Kelmscott-Press einige der schönsten Bücher aller Zeiten hervorgebracht hat, konnte nicht ahnen, welche typografische Barbarei noch folgen würde. Die mechanische Schreibmaschine schaltet als Wortabstand eine Buchstabenbreite. So gewöhnte man sich im 20. Jahrhundert an breitere Wortabstände.

HTML-basierte Textprogramme sind leider nicht besser, weil HTML keine automatische Silbentrennung bereitstellt. Das betrifft besonders den Blocksatz. Trotzdem habe ich einige Jahre versucht, den Teppichhaus-Texten durch Blocksatz ein ruhiges, geschlossenes Aussehen zu geben. Um große Lücken zwischen den Wörtern zu vermeiden, habe ich in jedem Text nachträglich Passagen verändern müssen, Synonyme eingesetzt, Füllwörter getilgt oder ganze Sätze umformuliert. Manchmal hat es den Text stilistisch verbessert, oft aber habe ich mit Kompromissen leben müssen und mich jedes Mal beim Anschauen dieser Texte geärgert, wenn trotz aller Bemühungen die schon von Morris beklagten weißen Linien zu sehen waren, disfunktionale weiße Streifen aus Wortlücken quer oder schräg zu den Zeilen, durch den das lesende Auge aus dem Text rutschen kann. In der Typografie heißt diese unerwünschte Erscheinung Gießbach oder Gasse.

Man kann sich nicht am Randausgleich erfreuen, wenn im Textinnern die Wörter in Gießbächen ersaufen. Darum habe mich heute vom Blocksatz getrennt und das Machtwort geschrieben. Das verringert die Zahl der Gießbäche, doch der Flattersatz ist wegen der fehlenden Silbentrennung sehr unruhig. Silbentrennung im Internet scheint schwieriger zu sein als eine weiche Landung auf dem Mars. Aber sie fehlt, ihr Fehlen erschwert das Lesen, wogegen die Marsexpeditionen uns eigentlich egal sein könnten.
1770 mal gelesen
Eugene Faust - 7. Dez, 12:30

Blocksatz ist für mich nach wie vor das befriedigendste Layout, aber im Blog ohne Silbentrennung ist leider nur flattriger Blogsatz lesefreundlich. Das Problem mit dem Pfriemeln per Umformulierung kenne ich auch nur zu gut.

(Und wenn Sie jetzt noch den Kommentarrahmen etwas verschmälern könnten, wäre das noch superer. :))

Eugene Faust - 7. Dez, 12:31

Obwohl, wenn man's veröffentlicht ist alles wieder wunderbar, weil Sie keinen Dayheader verwenden.
Trithemius - 7. Dez, 20:25

Dass das Kommentarfeld im Editor zu groß ist, hat mich bisher kaum gestört, weil das veröffentlichte Ergebnis ohnehin anders aussieht, wie Sie ja auch sagen. Aber verraten Sie mir doch bitte, was ein dayheader ist und in welchem Zusamenhang er mit dem Kommentarfeld steht.
Eugene Faust - 7. Dez, 22:29

Wenn man in den Weblogeinstellungen den Dayheader (per Häkchen) aktiviert hat, was eigentlich die Standardeinstellung ist, steht beim Beitrag ein Datum, und das Beitragsfeld wird dann automatisch etwas schmaler, zumindest ist das bei mir (Day by Day-Layout) so. Das könnten Sie gefahrlos mal ausprobieren.
Trithemius - 8. Dez, 12:43

Vielen Dank. Jetzt erinnere ich mich, dass ich dieses klotzige Datum weghaben wollte und daher das Häkchen getilgt habe.
schneck08 - 7. Dez, 12:43

@"Gießbach": Wieder was gelernt, vielen Dank!

Wir gaben seinerzeit die erste Schülerzeitung mit Randausgleich (!) heraus, das bedeutete, dass wir alles kugelkopfend tippten, sodann Leerstellen markierten, um danach alles noch einmal abzutippen. Heissa, was für eine Arbeit, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen!

Übrigens: Hier gießt es in Bächen vom Himmel, so dass sich am Boden Sturzbäche ergeben!

Trithemius - 7. Dez, 20:29

An solche Zeiten erinnere ich mich auch noch gut. Damals war man glücklich, dass es überhaupt gelang, Blocksatz zu erzeugen, was ja die Composer schon automatisch machten, aber auch durch Verdopplung des Wortzwischenraums. Mit den technischen Möglichkeiten stiegn dann auch die Ansprüche, weshalb ein Zeitgewinn gar nicht so recht zu verzeichnen ist.

Übrigens: Hoffentlich haben Sie einen Schirm bzw. sind gut zu Hause.
Sprottenhupe - 7. Dez, 16:03

Ich bin ebenfalls ein Fan vom Blocksatz, da mich die Symmetrie am rechten und linken Rand mehr bewegt als die allzu großen Lücken dazwischen.
Von Ferne offenbaren sich für den Phantasiebegabten durch die Lücken immer wieder andere Bilder, ähnlich den Tintenklecksen bei einem Rorschach-Test, allerdings habe ich meine Persönlichkeit bei den von mir erkannten Bildern noch keiner genauen Analyse unterzogen.

Der erste Absatz war für mich ein erhellendes Erlebnis, da ich nun weiß, dass dies für einen Blog nur eine Einstellungsache ist, danke dafür.

Trithemius - 7. Dez, 20:38

Ich habe nur schweren Herzens den Blocksatz aufgegeben, wollte aber den Texten auch nicht weiter Gewalt antun. Tatsächlich kann man in den Gießbächen Figuren erkennen, doch voran steht ja eigentlich der Grundsatz: Das Schwarze sind die Buchstaben.

Es ist ein bisschen Sucharbeit nötig, sich in das Layoutsystem von Twoday reinzufuchsen, aber es ist zum Glück ziemlich gutmütig und verträgt auch Fehlversuche. Man kann auch innerhalb der Texte verschiedene Formate der Zeilenausrichtung wählen. Der erste Absatz ist so formatiert:
(p align="justify")Texttetxttext(/p) Die Klammern müssen sie aber durch die Winkelklammern ersetzen.
nömix - 7. Dez, 17:30

Gegen unschönes Austreiben der Wortabstände beim Blocksatz hilft ein "weiches Trennzeichen": die eingefügte Buchstabenfolge
    ­
führt an der betreffenden Stelle des Wortes bei Bedarf einen Abteilungs­strich plus automatischen Zeilenumbruch herbei, wird aber beim copy&pasten nicht mitgelesen oder (wenn das Wort beim Editieren an eine andere Stelle des Textes gerät) dargestellt.

Trithemius - 7. Dez, 20:18

Vielen Dank für den Hinweis. Ich habe seinerzeit von dem Gebrauch Abstand genommen, weil nicht alle Webbrowser das Zeichen richtig interpretieren und Google die Wörter nicht findet, in denen das weiche Trennzeichen vorkommt.
Rolf Wenkel (Gast) - 7. Dez, 18:35

Ich bin ein bekennender Flattersatz-Fan

Wenn es jemanden interessiert: Ich bin ein absoluter Fan des Flattersatzes. Die gleichmäßigen Abstände zwischen den Wörtern sind wesentlich augen- und lesefreundlicher als der mit Gewalt auf rechten Randausgleich getrimmte Blocksatz. Ganz peinlich wird es, wenn die Leute Blocksatz verwenden und vergessen, in der letzten Zeile eine Ausnahme zuzulassen: Da stehen da rei Wörter, eins links, eins in der Mitte und eins ganz rechts, mit einem gefühlten Abstand von 30 Leerzeichen. Toll!

Trithemius - 7. Dez, 20:40

Man sieht übrigens auch in Zeitungen und Zeitschriften hässlichen Blocksatz, besonders wenn der Text um eine Bildform herumläuft. Da muss man oft mit der S-Bahn von einem Wort zum anderen fahren.
Mimiotschka - 8. Dez, 09:00

Ich finde Blocksatz eigentlich auch ganz schön, weil es tatsächlich auf mich beruhigend wirkt. Aber mich würden die unterschiedlichen Wortabstände auch stören.
Die Renovierung des Teppichhauses ist jedenfalls geglückt :-)

Trithemius - 8. Dez, 10:10

Danke, ist noch etwas ungewohnt

Die größten Probleme entstehen beim Blocksatz, wenn wegen eines Fotos nur die halbe Spaltenbreite zur Verfügung steht. Das hat den Ausschlag gegeben.

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