Befreiung vom Gießbach – Teppichhaus Intern
von Trithemius - 7. Dez, 10:30
Es gibt machtvolle Wörter, mit denen kann man die Vergangenheit verändern. Heute Morgen habe ich das Machtwort „left“ in den Layout-Skin des Teppichhauses eingetippt, und augenblicklich war in allen Beiträgen und Kommentaren der Blocksatz in linksbündigen Flattersatz verwandelt, zurück bis in die Bleizeit. Das ist natürlich eine Übertreibung, denn in der Bleizeit gab es das Teppichhaus noch nicht. Aus der Bleizeit stammen aber die typografischen Regeln, nach denen Texte gestaltet werden.
In der Typografie der Bleizeit wurde der Randausgleich durch Verringern oder Austreiben des Wortabstandes hergestellt, wobei man dem Verringern den Vorzug gab, um die Einheit der Zeile nicht zu zerstören. Der ideale Wortabstand entspricht etwa einem Drittel der jeweiligen Schriftgröße, bzw. dem Innenraum des kleinen n. Gegen dieses Ideal wurde schon im 19. Jahrhundert oft verstoßen, denn es war ein Jahrhundert typografischer Verirrungen. William Morris (1834-1896), der englische Dichter, Praeraffaelit und Erneuerer der Buchkunst, schimpft über diesen Kunstfehler der stümperhaften Schriftsetzer seiner Zeit: "Sie neigen dazu, häßlich sich windende weiße Linien auf den einzelnen Seiten entstehen zu lassen. Dieser Makel kann durch Sorgfalt und Vorbedacht fast völlig vermieden werden." (Der Buchdruck, 1893). Der feinsinnige Morris, dessen legendäre Kelmscott-Press einige der schönsten Bücher aller Zeiten hervorgebracht hat, konnte nicht ahnen, welche typografische Barbarei noch folgen würde. Die mechanische Schreibmaschine schaltet als Wortabstand eine Buchstabenbreite. So gewöhnte man sich im 20. Jahrhundert an breitere Wortabstände.HTML-basierte Textprogramme sind leider nicht besser, weil HTML keine automatische Silbentrennung bereitstellt. Das betrifft besonders den Blocksatz. Trotzdem habe ich einige Jahre versucht, den Teppichhaus-Texten durch Blocksatz ein ruhiges, geschlossenes Aussehen zu geben. Um große Lücken zwischen den Wörtern zu vermeiden, habe ich in jedem Text nachträglich Passagen verändern müssen, Synonyme eingesetzt, Füllwörter getilgt oder ganze Sätze umformuliert. Manchmal hat es den Text stilistisch verbessert, oft aber habe ich mit Kompromissen leben müssen und mich jedes Mal beim Anschauen dieser Texte geärgert, wenn trotz aller Bemühungen die schon von Morris beklagten weißen Linien zu sehen waren, disfunktionale weiße Streifen aus Wortlücken quer oder schräg zu den Zeilen, durch den das lesende Auge aus dem Text rutschen kann. In der Typografie heißt diese unerwünschte Erscheinung Gießbach oder Gasse.
Man kann sich nicht am Randausgleich erfreuen, wenn im Textinnern die Wörter in Gießbächen ersaufen. Darum habe mich heute vom Blocksatz getrennt und das Machtwort geschrieben. Das verringert die Zahl der Gießbäche, doch der Flattersatz ist wegen der fehlenden Silbentrennung sehr unruhig. Silbentrennung im Internet scheint schwieriger zu sein als eine weiche Landung auf dem Mars. Aber sie fehlt, ihr Fehlen erschwert das Lesen, wogegen die Marsexpeditionen uns eigentlich egal sein könnten.
(Und wenn Sie jetzt noch den Kommentarrahmen etwas verschmälern könnten, wäre das noch superer. :))