Ethnologie des Alltags

Die Weltrettungszentrale ist leider viel zu klein

Genaues über die Weltrettungsfrisur kann ich nicht sagen, denn ich hatte Schwellenangst. „Was geht mich die Weltrettung an?“, habe ich mich getröstet. „Wenn sie mit Föhn und Kamm zu erledigen ist, dann sollen die Frisöre das machen.“ Man könnte mich jetzt für unverantwortlich halten und meinen, es wäre doch gut zu wissen, ob die Schaufensterbilder alle Weltrettungsfrisuren zeigen oder ob es Alternativen gibt.
Weltrettungs-Zentrale

Weltrettungszentrale in Wolfsburg - Fotos/Gif: Trithemius

Es war ja auch nicht viel Andrang vor der Weltrettungszentrale. Ich hätte mir in Ruhe alle rettenden Frisuren zeigen lassen können und vielleicht Lust bekommen, meinen Teil zur Weltrettung beizutragen. Die Frisöre hätten Muße gehabt, mir eine perfekte Weltrettungsfrisur zu verpassen. Später, wenn die Weltrettung dringend wird und großer Andrang herrscht, werden sie gestresst sein und mit Kamm und Schere nur so über die Köpfe huschen. Dann verlassen manche den Laden mit einer nur hin gehudelten Frisur, die überhaupt nicht als Weltrettungshaarschnitt zu erkennen ist.

Das wiederum erlaubt den Rückschluss, dass die Errettung der Welt aus einer derart kleinen Zentrale gar nicht möglich ist. Zum Glück bin ich nicht hineingegangen. Wenn die Weltrettung sowieso scheitern wird, kann ich meine apokalyptische Frisur gleich behalten.

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Ballack, Bobbejaan, schneeweiße Hasen und Gipsbein

Aus mir unbekannten Gründen dachte ich gestern an den jodelnden Cowboy Bobbejaan Schoepen, und dann konnte ich nicht umhin, seinen kuriosen Hit „Ich weine in mein Bier“ zu singen. Schon ewig hatte ich nicht an Bobbejaan gedacht, obwohl ich ihn im Jahr 1997 einmal leibhaftig gesehen habe, in seinem belgischen Freizeitpark Bobbejaanland.

Da rollte Bobbejaan in einem weißen Straßenkreuzer voller Nippes durch den Park, mit aufgeklebten Silberdollars, anmontierten Colts und einem Gehörn auf der Kühlerhaube, stieg gelegentlich aus und schüttelte den Besuchern die Hand. Es gab da auch eine Showbühne, wo als Höhepunkt Bobbejaan persönlich auftrat und „Ich weine in mein Bier" sang, wozu er gekonnt auf der Mundharmonika spielte. Sein Auftritt wurde von übergroßen lebendigen Stofftieren begleitet. Das wird wohl der Grund sein, warum ich eben bei der Recherche nach Bobbejaans Hits „Ich habe Ehrfurcht vor schneeweißen Hasen“ las. Es muss aber „Haaren“ heißen. Also, gestern musste ich an Bobbejaan denken, und was soll ich sagen, heute ist Bobbejaan Schoepen gestorben. Dieses Zusammentreffen sorgt mich ein bisschen, aber ich versichere, dass nicht alle Leute sterben, an die ich zufällig denke.

Ballack Ab-in-den-Urlaub

Es handelt sich vermutlich nur um einen Fehler in der kosmischen Software, der jeden ab und zu mal treffen kann, auch den Fußballspieler Michael Ballack. Im Juli 2009 unterschrieb er einen Werbevertrag bei „Ab in den Urlaub.de“, wurde sogar „das neue Gesicht“ dieses Unternehmens und jetzt, last minute vor der WM in Südafrika die „Schreckensnachricht“: „Der Schlüsselspieler“ (Joachim Löw) Michael Ballack ist verletzt und fehlt bei der WM, weshalb die Deutsche Nationalmannschaft in „Schockstarre“ (Tagesschau.de) gefallen ist. Und als Sportler dürfen sie nicht mal in ihr Bier weinen.

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Oranje boven und die letzte Freinacht

Heute feiert man in den Niederlanden den Koninginnedag. Dass die Niederländer sich kollektiv besaufen und schon gestern Abend damit angefangen haben, ist nur üble Nachrede. Die meisten trinken Orangensaft. Das ganze Land ist in die Nationalfarbe Orange getaucht, Fahnen, Wimpel, T-Shirts, Perücken. Auf den Toiletten der Cafés hängt traditionell orangefarbenes Toilettenpapier. Man wischt sich feierlich zum Geburtstag der ehemaligen Königin Juliana und ruft „Oranje boven!“

Freundschaft
Der Koninginnedag ist der weltgrößte Ehrentag für eine Ex-Königin, mit Musik, Tanz und Spiel auf allen Straßen und Kanälen. Zudem findet ein landesweiter Flohmarkt statt, auf dem jeder Holländer sein ganzes Hab und Gut verkaufen darf, und das ohne „Vergunning“ (Gewerbeschein). Auf diese Weise wird alljährlich das komplette Volkseigentum gründlich umgewälzt, gesichtet und neu bewertet, eine aus volkswirtschaftlicher Sicht vernünftige Maßnahme. Wenn Geld und Waren zirkulieren, wächst der Wohlstand. So bringt der Koninginnedag allgemeine Wohlfahrt und festigt den Zusammenhalt. Stolze 85 Prozent der Niederländer sind für die Monarchie. Wer nur einen unsichtbaren Frühstücksdirektor namens Horst Köhler vorweisen bzw. nicht vorweisen kann (wo ist der Mann eigentlich?), muss da einfach neidisch werden. Oranje boven.

Zum Ausgleich feiern wir heute eine Freinacht. Verschiedene Gewährsleute haben mir aber bestätigt, dass man in Hannover keine Maibräuche feiert. Man versteigert keine Maibräute, klaut und setzt in der Nacht keine Maibäume, hängt keine Fensterläden aus, macht kein Maifeuer daraus usw.;- wo bleibt denn da die Lebensfreude? Ach so, hier, tags drauf, am Kampftag der Arbeiterbewegung, bei Wurst und Witzigkeit, aber gesittet und nicht zu laut.

Erster-Mai

P.S.: Die Schilderung einer Freinacht im Rheinland meiner Jugend findet sich in dem Romanfragment: "Die letzte Freinacht", Kapitel 17 ff. Man kann aber auch den ganzen Text lesen.
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Neues von der Bielefeld-Verschwörung

Die Bahnfahrt von Aachen nach Hannover dauert etwa vier Stunden. Gut zwei Jahre ist es her, da war mir schon die Fahrt durch Wuppertal recht lang geworden, denn obwohl der ICE den Hauptbahnhof von Wuppertal schon hinter sich und längst wieder Fahrt aufgenommen hatte, zog sich Wuppertal wie ein Kaugummi. Dann drohte auch noch der Halt in Bielefeld. Wer dort aussteigen muss, wirkt unfroh, wer eingestiegen ist, sinkt aufatmend in den Sitz. Aus purer Langweile hielt ich meine Kamera ans Fenster und filmte, wie der Zug den Bahnsteig verließ. Diesen belanglosen Film nannte ich arglos: „In Bielefeld ist das Wegfahren am Schönsten“, obwohl ich so gut wie nichts über diese Stadt wusste, nur froh war, weil der Zug wieder fuhr.



Der Film hat derzeit bei YouTube 1.797 Aufrufe und wurde eine Weile heftig kommentiert. Go2Dominik schrieb: „Auf solche Videos kann man wahrlich bei Youtube verzichten!“
Und 619freak2 meinte: „du hast doch ein schaden ich würde dier sogar abkaufen das du arbeitslosb bist und dir das handy auf pump geholt hast. aber naja nich jeder darf bielefelder sein“
Der User gibtsnochnnamen fragte: „.... gibts in deiner stadt....wo auch immer du her kommst....nur arbeitslose penner die sich n kamera handy mit schlechter quali geklaut haben und nix besseres zu tun haben als den bielefelder hbf zu filmen????...xD DUMM ODER SO???? aua tut weh sowas.... xD ... und anhand dieser kack bilder willste beurteilen obs bei uns fun oder nich git??? dumm!“

Das ist Deutsch, ohne Zweifel, aber so ein Idiom war mir bislang noch nicht untergekommen, ist vermutlich ein Ausdruck von Wut, tiefer Verletzung und geistiger Verwirrung. Eine Bemerkung von Blogfreund Frieling über die so genannte Bielefeldverschwörung brachte Licht in die Sache. Es wird allgemein angenommen, dass Bielefeld gar nicht existiert, wozu es eine Reihe von Anhaltspunkten gibt, was aber von jenen, die wahnhaft glauben, Bielefelder zu sein, energisch bestritten wird. Das erklärt, warum ich so heftig beschimpft wurde.

Inzwischen weiß ich, dass Bielefelder auch anders schreiben können. Vor einigen Wochen nämlich schrieb mir der Bielefelder Verleger und Herausgeber Günter Butkus, er habe in seinem Pendragon Verlag gerade ein Buch über die Bielefeldverschwörung herausgebracht. Es heißt "Rätselhaftes Bielefeld" und enthält Beiträge namhafter Autoren wie Wiglaf Droste, Franz Mon, Hans Zippert und Udo Lindenberg. Ex-Titanic-Chefredakteur Hans Zippert habe ich mehrfach auf dem jährlichen Titanic-Buchmessenfest getroffen und kann bestätigen, dass es ihn tatsächlich gibt. Von den anderen Autoren, die angeblich aus Bielefeld stammen, kann ich das leider nicht sagen. Ich weiß nicht einmal, ob es Günter Butkus gibt, denn sein Buch ist nicht geeignet, die Existenz Bielefelds und mithin echter Bielefelder zu beweisen. Es hebt an mit literarischen Aussagen über diese phänomenale Stadt, zusammengesucht von Dietmar Bittrich. Mark Twains ultimative Bielefeldleugnung gefällt mir am besten:

„Himmel, die Deutschen mit ihrer brutalen Sprache! Auf meiner Reise mit Doktor Seyfried gelangte ich in Städte wie Würgsburg, Chemienitz, Gestankfurt und Schrecklinghausen. Es wunderte mich kaum noch, dass er eine Stadt namens Befiehlt erwähnte. Nur das nicht, rief ich! Es mag bei Ihnen Abortmund geben und Dünster und Rostnabrück und Hangover. Aber Befiehlt? Unannehmbar für einen überzeugten Demokraten und Pazifisten. Nein, ihr Deutschen. Die Stadt Befiehlt darf es nicht geben. Wird es nicht geben. Gibt es nicht. Niemals.“

Obwohl ich Mark Twains wunderbares Werk: „Bummel durch Europa“ kreuz und quer gelesen habe, sein Bielefeldverbot habe ich nicht gefunden. Vermutlich hat Dietmar Bittrich (Das Gummibärchen Orakel) die Zitate erfunden. Den Band „Fünf Freunde in Bielefeld“ von Enid Blyton gibt es auch nicht, weil die Freunde nie aus Bielefeld zurückgekehrt sind. All die Ungereimtheiten rund um Bielefeld vermag das Buch nicht aufzuklären. Je länger man sich mit dieser Stadt beschäftigt, desto schlimmer die Verwirrung. Daran ändert auch Stephen Hawkins Erklärung nichts, Bielfeld sei „ein Objekt, dessen Gravitation so hoch ist, dass die Fluchtgeschwindigkeit für dieses Objekt höher liegt als die Lichtgeschwindigkeit.“ Denn immerhin habe ich aus Bielefeld wegfahren können und würde es jederzeit wieder tun.

Günter Butkus (Hrsg): Rätselhaftes Bielefeld. Die Verschwörung,
Bielefeld 2010, ISBN 978-3-86532-188-6


Rätselhaftes Bielefeld

Nachschrift: Nicht verschwunden sind meine beiden Zeichnungen von Bielefeld. Sie haben sich vielmehr nie in diesem Buch befunden, weil Herausgeber Butkus sie zu spät entdeckt hat. Geheimnis der Quantenphysik.
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Finstere Erlebnisse und Spaß im Dunkeln

Früher war der Gang zum Briefkasten weitgehend ungefährlich, zumindest in Hannover, glaube ich, - als der Mann noch kein Auto hatte, der mich heute überfahren wollte. Er wartete in der Einmündung der Nebenstraße auf eine Lücke im Verkehr, um in die bevorrechtigte Straße einzubiegen. Ich möchte nicht darüber streiten, ob ich eine Lücke bin oder nicht. Meiner Ansicht nach bin ich so etwas wie ein Festkörper, der sich durch den physikalischen Raum bewegt. Ich querte also die Straßeneinmündung, als der Autofahrer sein Auto nach vorn hüpfen ließ, um eine Lücke im Verkehr zu nutzen, und dann äußerst unwillig direkt an meiner linken Wade stoppte.

Da hatte ich wenig Zeit, mich zu erschrecken. Durch die Frontscheibe des Autos sah ich den Kopf des Autofahrers aufleuchten wie eine rote Glühbirne. Und seine Hände flogen vom Lenkrad in die Höhe, um mich wegzuscheuchen oder mehr noch, um eine Lücke aus mir zu machen. Seine Lippen formten irgendein Wort mit A.

Böse Zungen
würden behaupten, ich hätte dem Ballon einen Vogel gezeigt. Das werde ich abstreiten, denn Vögel bringen Ballons zum Platzen. Geplatzt ist er nämlich nicht, sondern er stieß die Tür auf und den Kopf hinterher und schrie mich an: „Guck doch, wo die Autos fahren!!!“ Da beugte ich mich über die Motorhaube, damit er mich auch gut verstehen konnte und sagte: „Wenn Sie hier einbiegen wollen, müssen Sie mich vorlassen!“ Diese Gliedsatzkonstruktion verfehlte ihre Wirkung. Der Satz war ihm zu kompliziert. Er beendete unser Gespräch abrupt und zog die Tür zu.

Auf der anderen Straßenseite ein Vater mit seinem kleinen Sohn. Beide staunten die Szenerie an. Als ich an ihnen vorbeiging, sagte der Vater: „Weiß der nicht, dass er warten muss?“
„Ach, sagte ich, „er hat keinen Führerschein.“ Das war nicht ganz korrekt, ich kann’s gar nicht wissen, denn über seinen Führerschein hatten wir uns nicht mehr unterhalten können. „Anzeigen!“, sagte der Vater, „nur so kriegt man die von der Straße.“

Uff, dachte ich, das ist der Grund, warum man die Dummbratzen und Halunken niemals alle aus dem Verkehr ziehen kann. Man müsste ja den ganzen Tag Anzeigen schreiben, und das vor allem gegen die Halunken in Kirche, Wirtschaft und Politik. - Entschuldigung, vom Thema abgekommen. Schon wird’s finster. Wie gestern, als für den Klimaschutz weltweit die Lampen ausgemacht wurden. Das las ich im Tagesspiegel. In den Leser-Kommentaren wird darüber spekuliert, ob uns die Politiker lieber im Dunkeln sähen oder daran gewöhnen wollten, dass demnächst das Licht ausgeht, weil die Länder pleite sind. essen im DunkelnEinen Vorgeschmack kann man sich hier schon holen: Essen im Dunkeln, blinde Kellner, und dann kommt ein blinder Friseur und schneidet dir über den Tellerresten die Haare. Aber der Koch ist selbstverständlich nicht nur blind; er hat Schnupfen, eine taube Zunge und beide Arme in Gips.

(Anzeige aus: Hallo Sonntag)

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