Finstere Erlebnisse und Spaß im Dunkeln

Früher war der Gang zum Briefkasten weitgehend ungefährlich, zumindest in Hannover, glaube ich, - als der Mann noch kein Auto hatte, der mich heute überfahren wollte. Er wartete in der Einmündung der Nebenstraße auf eine Lücke im Verkehr, um in die bevorrechtigte Straße einzubiegen. Ich möchte nicht darüber streiten, ob ich eine Lücke bin oder nicht. Meiner Ansicht nach bin ich so etwas wie ein Festkörper, der sich durch den physikalischen Raum bewegt. Ich querte also die Straßeneinmündung, als der Autofahrer sein Auto nach vorn hüpfen ließ, um eine Lücke im Verkehr zu nutzen, und dann äußerst unwillig direkt an meiner linken Wade stoppte.

Da hatte ich wenig Zeit, mich zu erschrecken. Durch die Frontscheibe des Autos sah ich den Kopf des Autofahrers aufleuchten wie eine rote Glühbirne. Und seine Hände flogen vom Lenkrad in die Höhe, um mich wegzuscheuchen oder mehr noch, um eine Lücke aus mir zu machen. Seine Lippen formten irgendein Wort mit A.

Böse Zungen
würden behaupten, ich hätte dem Ballon einen Vogel gezeigt. Das werde ich abstreiten, denn Vögel bringen Ballons zum Platzen. Geplatzt ist er nämlich nicht, sondern er stieß die Tür auf und den Kopf hinterher und schrie mich an: „Guck doch, wo die Autos fahren!!!“ Da beugte ich mich über die Motorhaube, damit er mich auch gut verstehen konnte und sagte: „Wenn Sie hier einbiegen wollen, müssen Sie mich vorlassen!“ Diese Gliedsatzkonstruktion verfehlte ihre Wirkung. Der Satz war ihm zu kompliziert. Er beendete unser Gespräch abrupt und zog die Tür zu.

Auf der anderen Straßenseite ein Vater mit seinem kleinen Sohn. Beide staunten die Szenerie an. Als ich an ihnen vorbeiging, sagte der Vater: „Weiß der nicht, dass er warten muss?“
„Ach, sagte ich, „er hat keinen Führerschein.“ Das war nicht ganz korrekt, ich kann’s gar nicht wissen, denn über seinen Führerschein hatten wir uns nicht mehr unterhalten können. „Anzeigen!“, sagte der Vater, „nur so kriegt man die von der Straße.“

Uff, dachte ich, das ist der Grund, warum man die Dummbratzen und Halunken niemals alle aus dem Verkehr ziehen kann. Man müsste ja den ganzen Tag Anzeigen schreiben, und das vor allem gegen die Halunken in Kirche, Wirtschaft und Politik. - Entschuldigung, vom Thema abgekommen. Schon wird’s finster. Wie gestern, als für den Klimaschutz weltweit die Lampen ausgemacht wurden. Das las ich im Tagesspiegel. In den Leser-Kommentaren wird darüber spekuliert, ob uns die Politiker lieber im Dunkeln sähen oder daran gewöhnen wollten, dass demnächst das Licht ausgeht, weil die Länder pleite sind. essen im DunkelnEinen Vorgeschmack kann man sich hier schon holen: Essen im Dunkeln, blinde Kellner, und dann kommt ein blinder Friseur und schneidet dir über den Tellerresten die Haare. Aber der Koch ist selbstverständlich nicht nur blind; er hat Schnupfen, eine taube Zunge und beide Arme in Gips.

(Anzeige aus: Hallo Sonntag)

1486 mal gelesen
nömix - 29. Mär, 19:23

Ich versteh das Gleichnis von dem Vogel und dem Ballon nicht so recht – ist der Ballon eine Metapher für Hohlkopf ? Dann wärs mir klar.

(seien Sie froh, dass Ihnen der unfreundliche Mann
keine sexuellen Avancen gemacht hat ;)

Trithemius - 30. Mär, 01:29

Kennsedasdennich,

"vor Wut einen (roten) Ballon kriegen"? Oder gibt's das am Ende gar nicht?

Danke jedenfalls für den Link. Ihr Text ist ungemein witzig.
nömix - 30. Mär, 06:53

Die Redewendung war mir nicht bekannt - mein Manko. In dem Zusammenhang ist das mit dem Vogel natürlich ein gutes Bild.

Danke für die Aufklärung, und: Obacht im Straßenverkehr!
Trithemius - 30. Mär, 13:58

Eins tiefer der Beweis, nachdem auch Mimiotschka sich mit Ihnen solidarisch erklärt und das Bild angezweifelt hat.
Mimiotschka - 30. Mär, 14:03

Angezweifelt hat hier niemand, soweit ich das sehe. Wir haben lediglich unsere sprichwörtliche Unkenntnis offenbart. Vielen Dank für die Belehrung ;-)
Trithemius - 30. Mär, 14:10

Gerne. Ist ja die offene Bloguniversität hier ;) Allerdings sind sprichwörtliche Redensarten, die keiner mehr kennt, eigentlich auch keine Redensarten mehr.
Mimiotschka - 30. Mär, 12:47

Ich kenne auch keinen roten Ballon, habe mir aber die Freiheit genommen, es einfach als Hohlbirne zu sehen. So wie nömix das vorgeschlagen hat.

Wie der Raum, in dem das Dinner stattfindet wohl bei Licht aussieht? Der ist bestimmt schlachthausähnlich komplett gefliest und wird danach samt Gästen mit einem Hochdruckreiniger von Essensresten befreit. Ich stell mir das lustig vor, das schöne Kleid versaut, das Hemd gesprenkelt mit sonstwas und der Rest ist eh hin. Das rechtfertigt den Preis. Man soll sich schließlich richtig ärgern.

Trithemius - 30. Mär, 13:56

Das sind ja schöne Aussichten,

klingt aber plausibel. Jedenfalls braucht der Wirt sich nicht um die Tischdekoration zu kümmern, und Strom spart er auch. Am Ende leuchtet sich der eingesaute Gast selbst heim, mit einem Ballon natürlich:

ballon
nömix - 30. Mär, 16:47

...
Trithemius - 30. Mär, 17:23

Genial, vor allem,

weil es zwei Lesarten gibt: Entweder ist es der vollgesaute Gast oder ein Kriegsheimkehrer.
Videbitis (Gast) - 30. Mär, 15:34

Hey, super Idee,

die Politiker wissen auch nicht so genau, wie sie die ganzen Probleme bewältigen sollen, also machen alle pro Problem für eine Stunde das Licht aus (natürlich nur nach Voranmeldung und mit behördlicher Genehmigung), und alles wird gut.

Nackte blinde Kellner von schwarzer Hautfarbe, die in einem unverständlichen Idiom brabbeln, fände ich noch besser, und die Werbung sollte in schwarzer Schrift auf schwarzem Untergrund sein, dann wär's perfekt.

Trithemius - 30. Mär, 17:29

Finde ich auch,

zumal es dann auch kein Internet mehr gibt, so dass der mündige Bürger sich nicht mehr so einfach artikulieren kann.

Deine ergänzenden Vorschläge sind prima, besonders das unverständliche Idiom trägt gewiss zur allgemeinen Erheiterung der Tischrunde bei. Schwarze Schrift auf schwarzem Grund: Dann müsste in der Anzeige aber der Hinweis stehen, dass man, um sie lesen zu können, die Sonnenbrille aufsetzen muss.
duroy (Gast) - 31. Mär, 21:41

Wir werden doch keine Licht-Avatare!

Hallo lieber Jules!

Sehr treffliche Beobachtung zur Auslegung der StVo nach willkuerlichem Ermessen.
Ich habe gestern eine ganz aehnliche Erfahrung gemacht auf dem Rad mit einem Autofahrer, der eine gruene Pfeil-Ampel hatte. Ich fuhr vor ihm, mit Vorfahrt, natuerlich auf der Hauptstraße (ueber die gruene Radfahrerampel), in die nach rechts einzubiegen er gedachte. Sah mich und...fuhr stracks drauf zu, bremst dann scharf, man faellt fast vom Rad und der Fahrer zetert, hupt, gestikuliert und man meinte aus der Geste zu lesen:
''Es ist doch erst der 30.3., da haben doch bitte schoen noch keine verdammten Radfahrer unterwegs zu sein, zumal nicht, wenn ICH nach Feierabend an einer ''gruener Pfeil-Ampel'' stehe...Sie...Luecke, Sie!''

Zu dem Dunkelrestaurant: ganz schoen in Berlin geklaut, die Idee, wuerde ich behaupten, da gibt es doch mindestens zwei dieser Lokalitaeten. Nun, immerhin, vllcht ja werden wir doch keine Lichtavatare, aber jetzt so gaenzlich der obscuritas aeterna verfallen?...weiß nicht...

Zu deiner Aeußerung, dass Redensarten, die keiner mehr verwendet, den Titel wohl nicht mehr verdienen, habe ich (vielleicht nur hauchduenn am Thema vorbei), noch anzufuegen, dass die ''Zeitlaeufte''-Seite der Zeit nunmehr ''Geschichte'' heißt, weil ja keiner mehr ''Zeitlaeufte'' sagt noch weiß, was das eigentlich ist. Man wollte nicht museal erscheinen. Demnaechst heißt dann uebrigens, lange dauerts nicht mehr, die ''Geschichte''-Seite endlich ''history''.

So, lieber Jules, ich muss fix zurueck, gleich klingelt Willy Shakespeare wieder an meiner Tuer, der wartet nicht so gern...

beste Gruesse in die Blog-Universitaet und das Teppichhaus von...Duroy

Trithemius - 1. Apr, 12:18

Mein lieber Duroy,

danke für deinen Kurzbericht. Man kann Derartiges ziemlich oft erleben, selbst treusorgende Familienväter, beliebt in der Nachbarschaft, werden ja leider im Auto zu Zombies, denen das Auto befiehlt, dass sie um jeden Preis fahren müssen.

Dass es in Berlin Dunkelrestaurants schon gab, als wir anderen noch auf'm Mond rumschwammen, habe ich mir gedacht. In Berlin gibbet allet. Schon in den 20ern gab es in Berlin einen Laden, da konnte man sich gegen Geld schädlicher Strahlung aussetzen. Sowas fehlt noch in Hannover.

"Zeitläufte", hab das Wort tatsächlich schon lange nicht mehr gehört und jetzt erst wieder gelesen. Auch die ZEIT muss offenbar mit der Zeit gehen. Es sterben ihr ja die betagten Abonnenten weg, und wer neu hinzu kommt, muss eben auch bedient werden.

Ich danke dir herzlich für deinen anregenden Kommentar.

Schöne Grüße aus Hannover
Jules

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