Schriftwelt im Abendrot

Schöner als Origami – Die Zeitung handlich falten

Als Schriftsetzerlehrling fuhr ich mit dem Bus zur Arbeit nach Neuss, das damals noch Neuß hieß. Da stieg mit mir ein Ehepaar ein, das ich nicht leiden mochte, obwohl die beiden mir nichts getan hatten. Allerdings hatte der Mann eine unangenehme Weise, im Bus die Zeitung zu lesen. Sobald er sich auf seinem Fensterplatz niedergelassen und seine Frau sich neben ihn gehockt hatte, packte er die Neuß-Grevenbroicher Zeitung (NGZ) aus und riss sie mit gestreckten Armen auseinander, so dass man denken konnte, er habe seine Frau nur als Puffer neben sich. Ein fremder Fahrgast würde sich nicht die Lufthoheit vor der Nase mit einer Zeitung streitig machen lassen.

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Wo das Ich die Schwindsucht hat

Als wir uns noch gar nicht lange kannten, schoss die kleine Tochter meiner Exfreundin aus dem Nichts die Formel: „Hab dich lieb!“ auf mich ab. Das machte mir mehrmals eine Sorte Zungenlähmung. Sie hinderte mich, eine ähnliche Beteuerung zurückzugeben. Offenbar hatte sie für mich noch wesentlich mehr Gewicht als für das Kind. Zurückzugeben wäre aus meinem Gefühl: „Ich hab dich auch lieb!“ Das Personalpronomen „Ich“ wegzulassen, wie es neudeutsch üblich geworden ist für emotionale Schnellschüsse, war mir unmöglich.

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Tschelick – Plüschtierchen am Rucksack

Manche Wetten sind einfach zu gewinnen. Wenn eine untersetzte Frau mittleren bis gesetzten Alters in Wetterjacke und mit Rucksack auf dich zukommt, kannst du darauf wetten, dass an dem Rücksack ein Bärchen oder anderes Plüschtierchen befestigt ist. Es baumelt seitlich an der Klappe und hat da die besondere Funktion, keine zu haben außer der Tatsache, dass es baumelt. Vielleicht ist das seitlich am Rucksack baumelnde Plüschtierchen aber auch ein geheimes Zeichen. Vielleicht bedeutet es: Die Trägerin dieses Zeichens ist Mitglied des losen Vereins der Harmlosen und Unbedarften. Wir tun nix. Wir wollen nur wandern.

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Auf jeden Fall bequemes Sitzen – definitiv

Zwei junge Frauen haben vor einem Café auf der Limmerstraße an einem Tisch in der Sonne gesessen und wechseln jetzt herüber unter die Markise mit den Worten:
„Hier ist es angenehmer!“
„Auf jeden Fall, definitiv!“

Schon die erste Bemerkung ist keine wirklich neue Information, denn dass die Sonne sticht, hat ja die meisten bereits unter die Markisen in den Schatten flüchten lassen. Aber der Antwortsatz: „Auf jeden Fall, definitiv!“ ist in seiner doppelten Zustimmung völlig überflüssig, wenn es in dieser Kommunikationssituation um den reinen Austausch von Information ginge. Schon indem die eine Frau der anderen bereitwillig an einen Tisch im Schatten gefolgt ist, hat sie die Übereinstimmung signalisiert. Der gesamte Vorgang müsste also nicht sprachlich bekräftigt werden.

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Nachdenken im Intercity-Express

Im ICE hatte jemand die Süddeutsche Zeitung zurückgelassen. Irgendwann zog ich die zerfledderte Zeitung aus dem Netz, sortierte sie ein wenig und begann zu lesen. Für einen Augenblick flog mich ein vertrautes Gefühl an, denn vor dem Aufkommen des Internets habe ich die Süddeutsche Zeitung täglich gelesen.

Das vertraute Gefühl speiste sich aber nicht aus den Inhalten, nicht aus dem Schreibstil, sondern aus der Tatsache, dass einem in der Zeitung die Welt erklärt wird. Das ist einfach wie Bahnfahren. Wie der Zugreisende sich keine Gedanken über die Fahrtstrecke machen muss, die Stationen seiner Reise nicht zu bestimmen und nicht auf den Weg zu achten hat, braucht auch der Zeitungsleser nur den gedanklichen Spuren zu folgen, die der Journalist zu Zeilen angeordnet hat gleich den Gleisen der Bahn.


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Wir kaufen nicht mehr an der Tür

Lieber Leser,

sind vielleicht eine Frau, dann sind Sie selbstverständlich mit gemeint. Sehr sogar, denn ich möchte meine Dudensammlung herzeigen. Die hat bisher noch jedes Frauenherz hüpfen lassen, vor allem aber die Philatelisten allesamt ins Abseits gestellt.

Meine Sammlung besteht aus 32 Bänden unterschiedlicher Ausgaben des Dudens, von 1905 an. Leider teilt sie das Schicksal billiger Briefmarkensammlungen. Das mag manche Schönheit schnöde finden, die Enttäuschung nicht verhehlen können und etwa sagen: “Die gelten ja alle nicht mehr, die Dudenausgaben sind doch längst überholt.“ So wurde meine stolze Dudensammlung schon oft abgestempelt und entwertet. Nach meinem Empfinden gelten die Ausgaben aber alle noch, denn es ist eine große Hülfe für die sprachliche Ausdruckskraft, wenn man sich an passenden Stellen alter Schreibweisen bedient. Naja, Hülfe ist so reingemogelt in den Satz, weil mir grad kein beßres Exempel eingefallen ist.

Alle Duden-Ausgaben meiner Sammlung haben einmal in den Schulen gegolten. Nach deren Vorgaben wurde Schülern Rechtschreibung eingepaukt. Sie wurden danach benotet und aussortiert. Der Linguist Carl Ludwig Naumann hat herausgefunden, dass Lehrer die Diktatnote schon im 19. Jahrhundert geliebt und gefördert haben, weil nur sie dem Deutschunterricht einen objektiven Bewertungsmaßstab bietet.

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Wolf Schneider schärft selbstlos unsere Messer

Eine kräftige Brise kräuselte den Teich, ließ die Wellen hinter sich und zauste mir die Zeitung. „Ist das dieses von dir verschmähte Papier?“, fragte der Wind und knickte mir übermütig die Seiten um. Früher habe ich oft mit dem Wind um eine Zeitung gekämpft, doch in letzter Zeit lese ich keine Zeitung mehr. Zu oft habe ich mich über den Inhalt oder den Sprachstil von Zeitungsartikeln geärgert. Allerdings habe ich auch manch vorzüglichen Text gefunden und mit Genuss gelesen. Ein solcher Text konnte mich mit dem Rest der Zeitung versöhnen. Wäre ja auch ein Wunder, wenn niemand all die Ratschläge zum guten Stil in seinen Kopf bekäme und anwenden könnte.

Im Georgengarten unterhalb des Leibniztempels hatte ich zum Verdruss der Vorbeikommenden die einzige Bank am Teich besetzt, war im juristischen Sinne ihr Besitzer, saß bequem, Notizbuch, Rucksack, Fotoapparat, Fahrrad neben mir, die geheftete Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT auf dem Schoß.

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Schreiben abseits der Millionen – unbezahlbar

Dieser Text wurde am 17. April 2012 nachmittags geschrieben. Nicht auf irgendeinen Beschreibstoff, sondern am Bildschirm, wo mir beim Schreiben ein digital erzeugtes weißes Blatt von etwa dem Format DIN-A4 simuliert wird, und wenn ich auf der Tastatur einen Buchstaben anschlage, erscheinen auf diesem simulierten Blatt die entsprechenden Buchstaben in der Drucktype Times New Roman 12 Pica groß. Alle Vorgänge rund um das Schreiben sind automatisiert, und in der Automatisierung steckt Expertenwissen, beispielsweise des Schriftgestalters der Times New Roman, Stanley Morison. Er hat sie 1931-32 im Auftrag der Londoner Times gestaltet, mit der Vorgabe, die Schrift solle „einfach, mannhaft und englisch“ wirken.

Fortsetzung, worin es um das älteste Buch Europas geht ...
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Vierzig Sekunden Text

Lesen Sie 40 Sekunden Text, meine lieben Damen und Herren.
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Warum eine Pfeife keine Pfeife ist

Der belgische Surrealist René Magritte hat mehrmals das Bild einer Pfeife gemalt, worunter steht: „Ceci n’est pas une pipe“, das ist: “Dies ist keine Pfeife.” Man kann diese Botschaft auf verschiedene Weisen deuten, denn die Offenheit der Deutung ist eine Eigenschaft des Kunstwerks. Magritte selbst sagt dazu:

“Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen. Das Abbild einer Marmeladenschnitte ist ganz gewiss nichts Essbares.”

In gleicher Weise ist natürlich das Wort „Pfeife“ keine Pfeife, die man rauchen kann. Lies mehr ...
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