Uwe Seeler spielt die Tanzmusik der Apokalypse

Bitte richten Sie die Vuvuzela nach oben!

„Ich war geschockt darüber, wie wenige sich hier eingefunden haben“, sagt der junge Mann auf der improvisierten Bühne ins Mikrophon. Er steht auf einem Kleinlaster, dessen Plane zu dem verlorenen Häufchen Demonstranten hochgeschlagen ist. Auch müssten bessere Slogans her. In der Tat sind die Transparente ziemlich unfertig vollgeschmiert. Da ist kaum zu erkennen, worum es überhaupt geht, nämlich um eine Demonstration gegen die Bildungsmisere an deutschen Hochschulen. Der Redner gibt sich redliche Mühe, versucht auch die Passanten anzusprechen, die an diesem Samstagmittag die Georgstraße entlanglaufen, eine der Fußgängerzonen im Zentrum von Hannover. Schließlich ginge es nicht nur um die heutigen Studenten, sondern auch um die Zukunft ihrer Kinder. Und das beträfe alle, auch die Polizisten.

Eine halbe Hundertschaft rundum, überwiegend junge Polizeikräfte folgen gelangweilt dem Geschehen. Pro Demonstrant ein Polizist, das ist eine luxuriöse Fürsorge, eine müßige Angelegenheit obendrein, denn etwas zu regeln gibt es nicht. Da ist nicht einmal eine Vuvuzela zu hören. Die Passanten eilen trotzdem vorbei, denn ab und zu fallen Regentropfen aus dem düsteren Himmel. Ja, wenn hier Lena auf dem Kleinlaster stünde, dann sähe die Sache anders aus. Dann hätte man sich schon zwei Stunden vorher eingefunden, um einen guten Platz zu ergattern und der Regen, - ach, sind nur ein paar Tropfen. Selbstverständlich würde die Polizei sich zurückhalten, stünde irgendwo versteckt in einer Seitenstraße, um die gute Laune nicht zu gefährden. Sobald aber ein Demonstrant ein armseliges Pappschild hochhält, steht schon sein persönlicher Polizist nahebei. Was ist bloß los in diesem Land? Warum baut die Staatsmacht selbst bei mauskleinen Protesten eine derartige Drohkulisse auf, so dass ein unbefangener Passant denken muss, da geschehe etwas Illegales, wovon man sich besser eilig entfernt? Man sollte meinen, das gibt es nur in China, wo öffentliche Bekundungen erst gar nicht erlaubt sind und nötigenfalls brutal verhindert werden.

Das ist gespenstisch; es zeigt eine demokratische Gesellschaft auf Talfahrt. Die meisten leisten keinerlei Gegenwehr, rennen lieber zu jedem Spaßevent hin, saufen sich den Kopf zu und machen Party, hängen fadenscheinige Deutschlandlappen aus den Fenstern ihrer verrottenden Buden, und hat ihnen die Bank noch ein Auto zugestanden, dann klemmen sie diese elenden Plastik-Fähnchen ran, die nicht mal zum Arschwisch taugen, brüllen: „Tschland! Tschland!“ und „Isch liebe deutsche Land!“ Warum? Bietet ihnen dieses Land eine sichere Perspektive? Interessieren sich die gesellschaftlichen Eliten einen Deut für ihre erbärmlichen Schicksale? Im Gegenteil. Die Eliten betreiben lustvoll die Ausplünderung des Volksvermögens. Welchen Grund hat die verarmende Bevölkerung zu jubeln? Elf Millionäre spielen Fußball in Südafrika, und die vereinten Schmockmedien trommeln die Marginalie hoch zum Nationalereignis. Wenn die WM vorbei und vergessen ist, werden viele nicht nur ein paar Regentropfen abkriegen, es wird alternativlose Entscheidungen hageln wie Sau. Dann wird den meisten das Fahnenschwenken vergehen. Das enervierende Getröte der Vuvuzelas wird ihnen vorkommen wie die Tanzmusik der Apokalypse. Und "verdammte Axt!" die Vuvuzela-Ohrstöpsel sind ausverkauft.

TSCHLAND. Ein nationales Ereignis fand statt letzten Samstag am Steintor in Hannover, ein armselig kleiner Studentenprotest gegen die herrschende Unbildung, gegen die verordnete Verblödung eines Volkes. Er war vorzüglich abgeschirmt durch die Polizei.

Abgelegt unter: Zirkus des schlechten Geschmacks
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