Ein Bummel wider die Domestizierung des Denkens

trithemius & Frau Nettesheim

Trithemius
Gestern beim Abendbummel …

Frau Nettesheim
Ach, ich dachte schon, Sie hätten diese nützliche Angewohnheit abgelegt.

Trithemius
Und schon unterbrechen Sie mich wieder, Frau Nettesheim. Also, noch mal von vorne. Gestern, im Laufe eines Abendbummels, es war schon dunkel, da hat es mich in eine hübsche Kneipe verschlagen, wo ich mich an die Theke setzte.

Frau Nettesheim
Demnach bummelten Sie im Sitzen.

Trithemius
Immerhin musste ich gehen, um zu sitzen. Während der Sitzphase meines Bummels bekam ich Lust zu schreiben, erbat mir von der Bedienung ein Blöckchen und schrieb irgendwas, und davon ziemlich viel. Plötzlich ging die Tür auf und drei attraktive Frauen traten ein. Vielmehr hatten zwei Blondinen eine kleine Brünette in ihrer Mitte und halfen ihr in Wort und Tat durch die Tür, so dass ich dachte, die Brünette wäre blind. Sie hatte aber nur die Augen geschlossen gehalten, wie ich später erkannte, als die drei sich seitlich von mir an die Theke gesetzt hatten.

Frau Nettesheim
Blindekuh?

Trithemius
Es ist nicht besonders freundlich, wenn Sie eine Geschlechtsgenossin blinde Kuh nennen. Das wirkt auf mich, um im Tierbereich zu bleiben, irgendwie stutenbissig.

Frau Nettesheim
Quatsch. Es trifft doch den Sachverhalt.

Trithemius
Nur ungefähr. Als eine Vierte hinzukam, rügte die größere Blondine, sie habe nun verpasst, wie sie Tanja mit geschlossenen Augen durch Linden geführt hätten. Tanja war demnach in einer befremdlichen Situation. Sie hatte zwar die Innenansicht der Kneipe, wusste aber nicht, wie’s draußen aussieht. Das gibt dem Spiel einen unerwarteten Sinn, der über Blindekuh hinausgeht. Es war eine Aktion wider die Domestizierung des Geistes.

Frau Nettesheim
Ach.

Trithemius
Ja, Frau Lakonisch. Es gibt ja vieles, was den Geist domestiziert, dass er zum willfährigen Haustier degeneriert wie eine Kuh, die sich allabendlich zum Melken anstellt, oder ein Pferd, das stoisch einen Karren zieht.

Frau Nettesheim
Fernsehen, Zeitungen, Moden, alles, was vorgedacht wird, so dass man es nur noch nachvollziehen muss.

Trithemius
Sie sagen es. Auch die Moden der Vornamen domestizieren, dass Frauen Ende dreißig, Anfang vierzig meist Tanja, Katja oder Daniela heißen und nicht etwa Helene wie Sie, Frau Nettesheim, ein Name, der quasi aus der Zeit ist.

Frau Nettesheim
Sehen Sie sich vor, Trithemius.

Trithemius
Die Moden des Denkens sind jedenfalls geistige Schranken. Irgendwo im riesigen Urwald des Kopfes wird ein Park angelegt, und je mehr sich ein Mensch an den jeweiligen Denkmoden orientiert, desto stärker gleicht der geläufige Park seines Geistes den Parks in den Köpfen der anderen. Da hilft es, sich einmal befremdlichen Erfahrungen auszusetzen, den Park durch ein verwunschenes Gartentörchen zu verlassen, und so hat Ihre blinde Kuh an diesem Abend mehr gesehen als alle, die mit offenen Augen das gesehen haben, was sie kennen und auf ihrer inneren Landkarte verorten können.

Frau Nettesheim
Sie haben das hoffentlich nicht nachgemacht und sind mit geschlossenen Augen nach Hause gegangen.

Trithemius
Nein, aber in der Kneipe hingen zwei Krokodile an der Decke und zwar so, dass es aussah, als würden sie die da lang kriechen. Weil aber der Nachthimmel zu weit weg war, um als Decke durchgehen zu können, dachte ich mir die Straße als Decke, und ich würde kopfüber gehen, quasi wie die Gegenfüßler down under. Da hatte ich Mühe, nach Hause zu kommen, einerseits, weil ich nach Krokodilen Ausschau halten musste, anderseits, weil ich fürchtete, die Bodenhaftung zu verlieren und ins weite Weltall zu treiben.

Frau Nettesheim
Sie hatten wohl ein Pils zuviel getrunken.

Trithemius

Schon domestiziert sie wieder mein Denken.

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