Dubioses Frauenlob
von Trithemius - 29. Sep, 14:59
Trithemius
Gestern habe ich in einem Tagebuch von 1991 geblättert, Frau Nettesheim, und wissen Sie, was ich dort gefunden habe?
Frau Nettesheim
Ihr altes Ich?
Trithemius
Ja, das auch. Es ist tatsächlich seltsam, seinem Ich von vor 16 Jahren zu begegnen. Man erkennt sich wieder, und gleichzeitig erschaudert man vor der eingeschränkten Zukunftsperspektive. Wenn ich früher ein neues Tagebuch begann, habe ich die jungfräulich weißen Seiten durchgeblättert und gedacht, dass es hübsch wäre zu wissen, was am Ende alles drin stehen wird. Und dann sammelte sich Buch um Buch an, alle zwei Monate, bis zum Jahr 2000. Da standen 42 Tagebücher in der Reihe, und eine ganze Weile habe ich sie ignoriert, weil mein Leben sich so drastisch verändert hatte und mir der Zugang zum alten Ich verwehrt war. Heute ist’s ein Dokument der 90er Jahre, und wenn ich die 90er Jahre auch nur aus meiner subjektiven Perspektive festgehalten habe, so spiegeln die Tagebücher trotzdem den Zeitgeist.
Frau Nettesheim
Ein ähnlicher Effekt tritt auch bei den Weblogs auf, wenn man sie aus zeitlicher Distanz betrachtet. Und die vielen subjektiven Sichtweisen in den Blogs ergeben insgesamt ein zuverlässigeres Bild der Zeit, da doch ein jeder die Welt anders interpunktiert, wie ich gestern aus Ihrem Text herausgelesen habe. Eigentlich wollten Sie mir jedoch sagen, was Sie im Tagebuch gefunden haben.
Trithemius
Ach ja, ein Frauenlob ihres ehrenwerten Ahnen aus dem Jahre 1509. Und da habe ich gedacht, dass Sie, Frau Nettesheim, die lebendige Bestätigung seiner Ausführungen sind, obwohl sie der wissenschaftlichen Empirie entbehren.
Frau Nettesheim
Ich weiß nicht, ob Agrippa den Frauen damit ein Kompliment macht. Wenn Frauen von der Natur begünstigt sind, können die Männer sich faul zurück lehnen und alles auf die genetischen Anlagen schieben.
Trithemius
Mir ist schon klar, dass die genetischen Anlagen allein nicht den ganzen Menschen ausmachen. Ihre Frische und Ansehnlichkeit hat gewiss auch mit kultureller Verfeinerung zu tun, Frau Nettesheim.
Frau Nettesheim
Ja, und hätten Sie sich heute Morgen den Barthobel durchs Gesicht gezogen, würden Sie jetzt nicht aussehen wie ein Bärremkrüffer.
Trithemius
Welch ein wunderbares Wort, Frau Nettesheim. Das habe ich schon ewig nicht mehr gehört. Da verzeihe ich Ihnen glatt den hässlichen „Barthobel“.
1508 mal gelesen
Gestern habe ich in einem Tagebuch von 1991 geblättert, Frau Nettesheim, und wissen Sie, was ich dort gefunden habe?
Frau Nettesheim
Ihr altes Ich?
Trithemius
Ja, das auch. Es ist tatsächlich seltsam, seinem Ich von vor 16 Jahren zu begegnen. Man erkennt sich wieder, und gleichzeitig erschaudert man vor der eingeschränkten Zukunftsperspektive. Wenn ich früher ein neues Tagebuch begann, habe ich die jungfräulich weißen Seiten durchgeblättert und gedacht, dass es hübsch wäre zu wissen, was am Ende alles drin stehen wird. Und dann sammelte sich Buch um Buch an, alle zwei Monate, bis zum Jahr 2000. Da standen 42 Tagebücher in der Reihe, und eine ganze Weile habe ich sie ignoriert, weil mein Leben sich so drastisch verändert hatte und mir der Zugang zum alten Ich verwehrt war. Heute ist’s ein Dokument der 90er Jahre, und wenn ich die 90er Jahre auch nur aus meiner subjektiven Perspektive festgehalten habe, so spiegeln die Tagebücher trotzdem den Zeitgeist.
Frau Nettesheim
Ein ähnlicher Effekt tritt auch bei den Weblogs auf, wenn man sie aus zeitlicher Distanz betrachtet. Und die vielen subjektiven Sichtweisen in den Blogs ergeben insgesamt ein zuverlässigeres Bild der Zeit, da doch ein jeder die Welt anders interpunktiert, wie ich gestern aus Ihrem Text herausgelesen habe. Eigentlich wollten Sie mir jedoch sagen, was Sie im Tagebuch gefunden haben.
Trithemius
Ach ja, ein Frauenlob ihres ehrenwerten Ahnen aus dem Jahre 1509. Und da habe ich gedacht, dass Sie, Frau Nettesheim, die lebendige Bestätigung seiner Ausführungen sind, obwohl sie der wissenschaftlichen Empirie entbehren.
Frau Nettesheim
Ich weiß nicht, ob Agrippa den Frauen damit ein Kompliment macht. Wenn Frauen von der Natur begünstigt sind, können die Männer sich faul zurück lehnen und alles auf die genetischen Anlagen schieben.
Trithemius
Mir ist schon klar, dass die genetischen Anlagen allein nicht den ganzen Menschen ausmachen. Ihre Frische und Ansehnlichkeit hat gewiss auch mit kultureller Verfeinerung zu tun, Frau Nettesheim.
Frau Nettesheim
Ja, und hätten Sie sich heute Morgen den Barthobel durchs Gesicht gezogen, würden Sie jetzt nicht aussehen wie ein Bärremkrüffer.
Trithemius
Welch ein wunderbares Wort, Frau Nettesheim. Das habe ich schon ewig nicht mehr gehört. Da verzeihe ich Ihnen glatt den hässlichen „Barthobel“.
Kölsch: Bärrem, Haufen oder ein Stapel (von Strohballen); Krüffer, Kriecher; Bärremkrüffer, (übertragen) ein Landstreicher, der in einem Strohballenstapel wohnt.