Zwei Zettel vom Bürgersteig (2)

Referat MMIZettel (2) fand ich unweit von Zettel (1), und zwar am selben Tag auf der Aachener Jakobstraße. Links unten hat der Zettel eine Chiffre, die darauf schließen lässt, dass der Zettel von D stammt und an S weitergegeben werden soll. Der handschriftliche Text ist die Gliederung eines Referats zum Thema: Computer als Werkzeug. Unter dem Thema stehen die dem Referat zugrunde liegende Literatur und die Namen von drei Autoren, Züllinghoven, Reinhard Budde und Carola Lilienthal. Es folgt eine Vierpunkte-Gliederung von a) bis d). Unter a) sollen Werkzeug- und Maschinenbegriff geklärt werden, b) behandelt offenbar die Handhabung des Werkzeugs in Auseinandersetzung mit Material, c) stellt Werkzeug und Maschine vergleichend gegenüber. Die Schlussfrage, d), lautet: „Was hat das alles für Auswirkungen auf die SW-Entwicklung und MMI“ SW meint Software, mit MMI ist die Mensch-Maschine-Interaktion gemeint.

Erhebt sich die Frage, was denn „das alles“ genau ist. Ist es ein wichtiger Unterschied, ob man einen Computer als Werkzeug begreift oder als eine Maschine? Wenn ich meinen Laptop nehme und damit nach einem Kaninchen werfe, um es zu erlegen, benutze ich ihn eindeutig als Werkzeug, nämlich zur effektiven Ausnutzung meiner Körperkräfte durch ein Gerät. Es hängt dann ab von meiner Kraft, meiner Geschicklichkeit, den Flugeigenschaften meines Laptops und vom Verhalten des Kaninchens, ob ich erfolgreich bin und mir am Abend ein Kaninchen braten kann oder nicht. Angenommen, ich hätte das Kaninchen nicht getroffen, dann könnte niemand mit Genauigkeit sagen, woran es gelegen hat. Die Einflussgrößen erschließen sich nicht, denn die Welt ist zu komplex, als dass man eine zuverlässige Beschreibung eines Vorgangs geben könnte. Die Wahrheit lässt sich nur annähernd erschließen, niemals jedoch restlos.

Ein Programmierer schreibt ein Computerprogramm, in dem man mit Laptops nach Kaninchen werfen kann. Die Grundlagen des Programms sind Mathematik und Logik sowie eine Programmiersprache, die auf den Regeln von Mathematik und Logik beruht. Mit Hilfe der Programmiersprache entwirft der Programmierer eine grafische Welt, in der auf bestimmte Weise die Formen von Kaninchen auftauchen. Dem Nutzer dieser Welt verleiht der Programmierer Einflussmöglichkeiten. Er kann über Maus oder Tastatur einen Effekt auslösen, der die bewegte Grafik eines Laptops aufruft. In einem Kollisionsregister wird abgefragt, ob sich Laptop und Kaninchen berührt haben, worauf eine Unterroutine dieses Ereignis grafisch darstellt. Wenn nun der Benutzer mit einem Mausklick einen Laptop Richtung Kaninchen schickt, dann ließe sich mathematisch genau nachvollziehen, warum er getroffen hat oder nicht, denn das Ereignis auf dem Computerbildschirm geschieht innerhalb streng definierter Bedingungen. Ein Computerprogramm ist eine virtuelle Maschine, und eine Maschine arbeitet nach genau festgelegten Regeln. Alles was in diesen Regeln und Routinen nicht berücksichtigt ist, existiert nicht.

Die Maschine legt den Menschen auf ihre Regeln fest und lässt ihm nur einen streng definierten Gestaltungsspielraum. Ist die Maschine so komplex wie ein Computer, kann sie beim Nutzer die Illusion erzeugen, der Gestaltungsspielraum sei unendlich, woraus sich ein trügerisches Vertrauen in die Technik entwickelt, eine Gleichsetzung der Maschinenwelt mit der realen Welt.

Es ist also ein großer Unterschied, ob man den Computer als Werkzeug benutzt oder als Maschine. Der Maschinenwelt fehlen wesentliche Elemente des menschlichen Daseins, das Unwägbare sowie Ethik und Moral. Logik kommt ohne sie aus. Die Mensch-Maschine-Interaktion darf nicht nur darauf angelegt sein, dass der Mensch sich den logischen Bedingungen der Maschine anpasst. Indem der Mensch viele seiner Handlungen und Entscheidungen von Maschinenregeln anhängig macht, ja die gesellschaftlichen Vorgänge überhaupt zunehmend diesen Regeln unterwirft, macht er sein Leben unwirtlich und hart. Eine allein nach logischen Erwägungen organisierte Gesellschaft würde die Wahlmöglichkeiten ihrer Mitglieder immens einschränken, sie völlig abhängig machen und somit ihrer Menschlichkeit berauben. Es lohnt sich, darüber nachzudenken oder gar ein Referat darüber zu schreiben.
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Zwei Zettel vom Bürgersteig (1)

mein Freund und ich
Zettel (1) fand ich gestern auf dem Bürgersteig. Der handschriftliche Text ist in deutscher Sprache verfasst. Es ist eine Kontaktanfrage an einen Unbekannten, der einen ausgebauten Transporter besitzt. Handschrift und Inhalt lassen auf eine junge Frau schließen. Sie hat auf den gedrehten Abriss eines Geschäftsbriefes geschrieben. Dieser Text ist niederländisch und von einem „Voorzitter“ (Vorsitzender) unterschrieben, der den seltsamen Namen Bas Eenhoorn trägt. Der voorzitter schreibt offenbar über eine Marketingstrategie. Der letzte Satz des Briefes lautet: „Om te zorgen dat de consument steeds bewuster gaat kiezen voor dé specialist in beweging!“. Das bedeutet frei übersetzt: Um dafür zu sorgen, dass der Konsument immer bewusster DEN Spezialisten für Bewegung wählt. Was ist ein „specialist in beweging“? Ein bewegter Spezialist? Die Eingabe von „specialist in beweging“ bei Google ergibt als ersten Link:

„Bewegung“ ist also buchstäblich und übertragen zu verstehen. Der Bewegungsspezialist will potentielle Konsumenten zu sich bewegen, damit er ihre Gliedmaßen bewegen kann. Leider enthüllt der Abschnitt nicht, mit welcher Werbestrategie das Unternehmen den Konsumenten für sich gewinnen will, auf dass er „bewusst“ das Angebot des vorzitters wählt. Führt Werbung zu bewussten Wahlentscheidungen? Es kann ein Nebeneffekt von Werbung sein, doch eigentlich zielt sie ja auf das Unbewusste des Konsumenten, soll dort ziehen und zerren, wo er sich nicht wehren kann. Was der Vorsitzende „bewusste Wahl“ nennt, ist ein Euphemismus für „beeinflusste Wahl“.

Es besteht ein ulkiges Bindeglied zwischen dem getippten Brief und dem handgeschriebenen Zettel, nämlich dort, wo der vorzitter unterschrieben hat. Hier treffen zwei Handschriften aufeinander. Die Frau hat geschrieben: „Mein Name ist“ und dahinter steht auf dem Kopf "Bas Eenhorn", denn Dorit, die Verfasserin des Zettels, hat sich nicht getraut, ihn zu streichen oder zu überschreiben. Er hatte schließlich das Erstlingsrecht auf dem Papier.

Der Zettel offenbart zwei unterschiedliche Lebenswelten. Trotzdem haben sie mehr als das Papier gemeinsam. In beiden Botschaften geht es um Spezialwissen zum Thema Bewegung. Wir leben halt in einer bewegten Zeit, und wer mitschwimmen will im großen Strom, muss sich auch bewegen, wird gezogen, gezerrt, geschoben oder geschubst. Deshalb ist es der größte Luxus, sich allein aus eigenem Antrieb bewegen zu dürfen.
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