Zeit der Fatalisten und sonstiger Gurken
von Trithemius - 1. Nov, 18:24
Ziemlich genau kann ich mich daran erinnern, wie ich als Kind lernte, was das Wort Besuch bedeutet, vielmehr, was es nicht bedeutet. Ich sah meine Mutter hektisch einen Stapel Zeitungen ordnen, und als ich sie nach dem Grund fragte, sagte sie: „Wir bekommen gleich Besuch.“ Ich folgerte, der Besuch würde die Zeitungen durchsuchen, aber als der Besuch kam, hatte er für den Zeitungsstapel keine Zeit.
Inzwischen weiß ich, was Besuch bedeutet. Heute suchte mich ein lieber Mensch in meiner krankheitsbedingten Einsiedelei auf, also, ich bin noch Rekonvaleszent und war sehr froh über Gesellschaft. Wir frühstückten zusammen, plauderten über dies und das, und dann warf mein Besuch einen Blick auf das Display meines auf dem Tisch liegenden Mobiltelefons, las die Uhrzeit ab und musste aufbrechen. Die Zeit ist mal wieder im Flug vergangen, dachte ich noch und brachte meinen Besuch zur Straßenbahn.
Später rief mein Besuch mich von zu Hause an, was jetzt ein bisschen irreführend ist, denn bei sich zu Hause ist der Besuch kein Besuch mehr. Jedenfalls teilte mein ehemaliger Besuch mir mit, dass wir uns um eine Stunde vertan hätten. Obschon mein Mobiltelefon ganz neu ist, beherrscht es nicht die verfluchte Zeitumstellung. Man hat uns also um eine Stunde des Zusammenseins bestohlen. Wo kann man das melden? Wo ist die Zeitumstellungsbeschwerdestelle? Man sage mir nicht, ich hätte mich ja vergewissern können, ob mein Besuch sich nicht vertan hätte. Ich bin ein höflicher Mensch und würde nicht auf die Idee kommen zu bezweifeln, was mein Besuch mir sagt. Außerdem habe ich kürzlich meine Armbanduhr verloren, hätte also nicht einmal heimlich bezweifeln können.
Seit Jahrzehnten plagt man uns mit dem Irrwitz der Zeitumstellung. Die ursprüngliche Begründung, damit ließe sich Energie einsparen, hat sich längst als Unsinn herausgestellt, aber der Quark geht einfach weiter, Halbjahr für Halbjahr, ist so hartnäckig doof wie Hüfthosen. So ist das, wenn man von einer übermächtigen EU-Administration regiert wird. Die kann uns einfach durch die Zeit schubsen, und wenn man dabei wirtschaftlichen, körperlichen oder sogar seelischen Schaden erleidet, gibt es keinen, der dafür verantwortlich ist, niemanden, den man mal eben in seinem Büro besuchen könnte und in den Hintern treten.
Mehr: Ethnologie des Alltags
Die Idee einer Einheitszeit kam übrigens im frühen 19. Jahrhundert erst durch den optischen Telegrafen auf. In dramatisierter Form hier zu lesen, als Teppichhaus-Hörspiel hier anzuhören.
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Inzwischen weiß ich, was Besuch bedeutet. Heute suchte mich ein lieber Mensch in meiner krankheitsbedingten Einsiedelei auf, also, ich bin noch Rekonvaleszent und war sehr froh über Gesellschaft. Wir frühstückten zusammen, plauderten über dies und das, und dann warf mein Besuch einen Blick auf das Display meines auf dem Tisch liegenden Mobiltelefons, las die Uhrzeit ab und musste aufbrechen. Die Zeit ist mal wieder im Flug vergangen, dachte ich noch und brachte meinen Besuch zur Straßenbahn.
Später rief mein Besuch mich von zu Hause an, was jetzt ein bisschen irreführend ist, denn bei sich zu Hause ist der Besuch kein Besuch mehr. Jedenfalls teilte mein ehemaliger Besuch mir mit, dass wir uns um eine Stunde vertan hätten. Obschon mein Mobiltelefon ganz neu ist, beherrscht es nicht die verfluchte Zeitumstellung. Man hat uns also um eine Stunde des Zusammenseins bestohlen. Wo kann man das melden? Wo ist die Zeitumstellungsbeschwerdestelle? Man sage mir nicht, ich hätte mich ja vergewissern können, ob mein Besuch sich nicht vertan hätte. Ich bin ein höflicher Mensch und würde nicht auf die Idee kommen zu bezweifeln, was mein Besuch mir sagt. Außerdem habe ich kürzlich meine Armbanduhr verloren, hätte also nicht einmal heimlich bezweifeln können.
Seit Jahrzehnten plagt man uns mit dem Irrwitz der Zeitumstellung. Die ursprüngliche Begründung, damit ließe sich Energie einsparen, hat sich längst als Unsinn herausgestellt, aber der Quark geht einfach weiter, Halbjahr für Halbjahr, ist so hartnäckig doof wie Hüfthosen. So ist das, wenn man von einer übermächtigen EU-Administration regiert wird. Die kann uns einfach durch die Zeit schubsen, und wenn man dabei wirtschaftlichen, körperlichen oder sogar seelischen Schaden erleidet, gibt es keinen, der dafür verantwortlich ist, niemanden, den man mal eben in seinem Büro besuchen könnte und in den Hintern treten.
Mehr: Ethnologie des Alltags
Die Idee einer Einheitszeit kam übrigens im frühen 19. Jahrhundert erst durch den optischen Telegrafen auf. In dramatisierter Form hier zu lesen, als Teppichhaus-Hörspiel hier anzuhören.