Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?
von Trithemius - 18. Sep, 20:32
Angenommen du hättest gerade großen Hunger. Vor dir stünden zwei dampfende Teller mit jeweils einem deiner Leibgerichte, beide vorzüglich zubereitet. Nehmen wir an, von beiden Gerichten ginge die gleiche Verlockung aus und du wüsstest, dass nach deiner Entscheidung der andere Teller sogleich weggenommen wird. Wie entscheidest du dich? Du nimmst den rechten Teller? Gut, dann trage ich den anderen hinaus und kippe das Essen ins Klo.
Wie fühlt sich deine Wahl an, nachdem du gelesen hast, was mit dem anderen Gericht passieren wird? Willst du es dir vielleicht noch einmal überlegen? In dieser unerquicklichen Entscheidungssituation bist du nach den Befunden der Hirnforschung nicht frei. Der Physiologe und Hirnforscher Wolf Singer glaubt, dass du in deinen Handlungen durch die Struktur deiner Neuronen vorbestimmt bist. Während du noch hin- und hergerissen bist, welches Gericht du der Vernichtung überantworten willst, versuchen neuronale Prozesse in deinem Hirn die im Augenblick richtige Entscheidung auszukungeln. Doch da stehen zwei gleichwertig leckere Gerichte vor dir, und du willst dich gegen keines entscheiden. Damit das Essen nicht kalt wird, brauchst du dringend einen Impuls, der von außerhalb deines Gehirns kommt. Da wechselt plötzlich das Licht. Und im neuen Licht besehen, lässt du mich einen der beiden Teller abräumen.
Warten bei Rot - warten bei Grün - Handyfoto/Gifgrafik Trithemius 09/07
Das Unwägbare, das in diesem Fall deine Wahl bedingt, nennt Singer „thermisches Rauschen“. Was bedeutet das? Bist du Atheist und Materialist, glaubst du, das thermische Rauschen, das deine Willensentscheidungen beeinflusst, sei zufälliger Natur. Vielleicht glaubst du jedoch nicht an Zufälle, sondern an göttliche Fügungen bzw. an spaßreligiöse Ideen wie leitende Engel oder das gütige Universum. Im ersten Fall bist du also abhängig von Zufällen, im anderen Fall leitet dich Magie.
Was ist neu an der Erkenntnis, dass unsere Willensentscheidungen auf neuronalen Prozessen beruhen? Wie anders sollte es möglich sein? Irgendwo in unserem Gehirn müssen sich doch Zustände messbar ändern, wenn etwas gedacht wird. Der freie Wille kann nicht aus nichts bestehen. Auch die Reihenfolge ist plausibel. Wenn ich mich für etwas entscheide, muss das irgendwo schon gedacht sein, und zwar bevor ich es in Worte kleiden kann, denn wir denken nicht in Wörtern. Die Wörter geben unserem Denken nur eine fassbare Struktur. Erst wenn wir aus den Wörtern Bilder machen, verschaffen wir uns Klarheit über die Situation.
Der freie Wille ist ein Bild. Der Mensch projiziert sein Selbstbild nach draußen, damit er es betrachten kann. Und dann entscheidet er sich nach seinem Bild, nach seinem Willen. In dieser seiner Fantasie ist er frei und verantwortlich. Diese Verantwortung hat er allein durch seine Existenz. Sie schließt ein, dass er sich vergewissert, wie er in der Welt steht, und dass er sein natürliches Verhalten gegebenenfalls revidiert, also ein neues Willensbild von sich entwirft. Und hat er mit dem thermischen Rauschen zu tun, dann funken ihm Zufall oder Weltgeist hinein, ganz so, wie es zu seinem Weltbild passt.
(Diskussion hier)
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Wie fühlt sich deine Wahl an, nachdem du gelesen hast, was mit dem anderen Gericht passieren wird? Willst du es dir vielleicht noch einmal überlegen? In dieser unerquicklichen Entscheidungssituation bist du nach den Befunden der Hirnforschung nicht frei. Der Physiologe und Hirnforscher Wolf Singer glaubt, dass du in deinen Handlungen durch die Struktur deiner Neuronen vorbestimmt bist. Während du noch hin- und hergerissen bist, welches Gericht du der Vernichtung überantworten willst, versuchen neuronale Prozesse in deinem Hirn die im Augenblick richtige Entscheidung auszukungeln. Doch da stehen zwei gleichwertig leckere Gerichte vor dir, und du willst dich gegen keines entscheiden. Damit das Essen nicht kalt wird, brauchst du dringend einen Impuls, der von außerhalb deines Gehirns kommt. Da wechselt plötzlich das Licht. Und im neuen Licht besehen, lässt du mich einen der beiden Teller abräumen.
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Das Unwägbare, das in diesem Fall deine Wahl bedingt, nennt Singer „thermisches Rauschen“. Was bedeutet das? Bist du Atheist und Materialist, glaubst du, das thermische Rauschen, das deine Willensentscheidungen beeinflusst, sei zufälliger Natur. Vielleicht glaubst du jedoch nicht an Zufälle, sondern an göttliche Fügungen bzw. an spaßreligiöse Ideen wie leitende Engel oder das gütige Universum. Im ersten Fall bist du also abhängig von Zufällen, im anderen Fall leitet dich Magie.
Was ist neu an der Erkenntnis, dass unsere Willensentscheidungen auf neuronalen Prozessen beruhen? Wie anders sollte es möglich sein? Irgendwo in unserem Gehirn müssen sich doch Zustände messbar ändern, wenn etwas gedacht wird. Der freie Wille kann nicht aus nichts bestehen. Auch die Reihenfolge ist plausibel. Wenn ich mich für etwas entscheide, muss das irgendwo schon gedacht sein, und zwar bevor ich es in Worte kleiden kann, denn wir denken nicht in Wörtern. Die Wörter geben unserem Denken nur eine fassbare Struktur. Erst wenn wir aus den Wörtern Bilder machen, verschaffen wir uns Klarheit über die Situation.
Der freie Wille ist ein Bild. Der Mensch projiziert sein Selbstbild nach draußen, damit er es betrachten kann. Und dann entscheidet er sich nach seinem Bild, nach seinem Willen. In dieser seiner Fantasie ist er frei und verantwortlich. Diese Verantwortung hat er allein durch seine Existenz. Sie schließt ein, dass er sich vergewissert, wie er in der Welt steht, und dass er sein natürliches Verhalten gegebenenfalls revidiert, also ein neues Willensbild von sich entwirft. Und hat er mit dem thermischen Rauschen zu tun, dann funken ihm Zufall oder Weltgeist hinein, ganz so, wie es zu seinem Weltbild passt.
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