Per Taxi durch die Geschichte


Der türkische
Taxifahrer, der mich heute in die Voreifel fuhr, machte darauf aufmerksam, dass die Graf-Schwerin-Straße umbenannt worden ist. Tatsächlich war das alte Schild durchgestrichen und darüber prangte ein neues. Das obere Straßenstück zum südlichen Ortsrand von Aachen hin hieß schon immer Kornelimünsterweg. Jetzt heißt die ganze Straße so. Wozu der Aufwand?

Wehrmachtsgeneral Gerhard Graf von Schwerin war 1944 Stadtkommandant von Aachen gewesen und hatte am 13. September 1944, wenige Wochen vor dem Einrücken der Alliierten Truppen, die beiden Burtscheider Jungen Karl Schwartz (14) und Johann Herren (14) wegen angeblichen Plünderns hinrichten lassen. Nach dem Krieg durfte sich FDP-Mitglied Graf von Schwerin ins Goldene Buch der Stadt Aachen eintragen, 1963 benannte man eine Straße nach ihm, passender Weise in Aachen-Burtscheid. Natürlich wurde von Schwerin nicht wegen der Schandtaten an Karl Schwartz und Johann Herren geehrt, sondern weil er die Stadt angeblich vor ihrer Zerstörung bewahrt hatte. Dafür haben die Historikern der RWTH Aachen jedoch keine Beweise gefunden. Im August 2007 hat sich der Rat der Stadt Aachen von dem peinlichen Straßennamen getrennt.

Ich fühlte mich seltsam berührt und ein wenig beschämt, als ich dem türkischen Taxifahrer erläuterte, warum die Straße umbenannt worden ist. Nationalgefühl ist unteilbar. Wenn wir zum Beispiel stolz auf unsere Verfassung sind oder darauf, dass Deutschland bereits dreimal Fußballweltmeister war, können wir nicht so tun, als gingen uns die beschämenden Aspekte der deutschen Geschichte nichts an, zumal sie, wie das Beispiel zeigt, weiterhin in die Gegenwart ragen. Der Taxifahrer sagte, er lebe schon 25 Jahre in Deutschland und habe einen deutschen Pass. So fuhren also zwei Deutsche durch die ehemalige Graf-Schwerin-Straße, doch für den türkischen Deutschen fühlte sich die Sache vermutlich anders an als für mich.

Dass Wikipedia nicht frei ist von subjektiven Darstellungen, kann man auch am Eintrag über Graf von Schwerin ablesen. Vielmehr kann man es nicht lesen, weil Angaben zu Schwerins Schuld an der Ermordung zweier Jugendlichen fehlen. Lediglich ein Literaturhinweis stellt den Zusammenhang her zwischen Gerhard Graf von Schwerin, Karl Schwartz und Johann Herren.

Im Jahre 1951 erstatteten die Eltern der beiden Jungen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Aachen. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da die standrechtliche Erschießung dem damals geltenden Recht entsprochen habe. Erst am 18. Februar 2005 wurde das Todesurteil durch das Oberlandesgericht Köln aufgehoben. Zwischen Unrechtsurteil und seiner Revidierung liegen fast 60 Jahre. Leider hat der Aachener Stadtrat eine Chance vertan. Ein Strich durch Graf-Schwerin-Straße und darüber „Schwartz-Herren-Straße“, das wäre ein Zeichen der Wiedergutmachung gewesen.


Guten Abend
2160 mal gelesen
walhalladada - 10. Mär, 13:44

Zu Beginn der 50er-Jahre gab es in Deutschland reihenweise Straßennamenumbenennungen: Sehr viele Thomas-Mann-Straßen fielen diesem Schildersturm zum Opfer...Was war geschehen: Thomas Mann hatte es gewagt einer offiziellen Einladung nach Ostdeutschland zu folgen...
Ihr Vorschlag, Herr Trithemius, findet - auch wenns nichts nützt - meine emphatische Zustimmung!

Trithemius - 17. Mär, 12:46

Danke für den Hinweis auf Thomas Mann, bester Herr Doktor. Davon wusste ich bislang nichts. Es ist interessant, wie sich an den Straßennamen gesellschaftliche Strömungen ablesen lassen.
walhalladada - 17. Mär, 13:19

Ja, das ist es! Da hat man sich schon schweren Herzens von seiner liebgewordenen Gö**elsstraße zugunsten eines dahergelaufenen Thomas Mann trennen müssen, dann wird man den zweifelhaften Kerl zwar auch schnell wieder los, aber eine Rückbenennung ist nicht mehr möglich...
Erinnerung: In einer Bergbausiedlung meiner Jugend wurde eine Straße feierlich nach Ferdinand Lasalle neu benannt: 'LASALLESTRASSE'
Der Name erwies sich als äußert widerständig, weil er zunächst als Las-Allee-Straße gelesen wurde - es hat eine Weile gedauert, bis er von den verdutzten Anrainern auch phonetisch korrekt adaptiert werden konnte :)

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