Bußprediger werfen nicht mit Wattebäuschen

Es ist keine Kunst, aus dem zeitlichen Abstand zu urteilen. Wenn erst die Jahre über alles gegangen sind, kann jeder sehen, wo etwas falsch gelaufen ist, wo Fehlurteil, Verblendung und Irrsinn die Motoren waren. Letztens sah ich einen Film über den deutschen Kaiser, wie er im belgischen Kurort Spa umherstolzierte und dann verbittert ins niederländische Exil übersiedelte, weil man ihn zu Hause in Deutschland nicht mehr haben wollte, nachdem er die ganze Nation ins Grauen des ersten Weltkriegs getrieben hatte. Selten habe ich eine derart groteske, schauerliche Witzfigur gesehen, denn natürlich zeigt sich der Irrsinn einer Zeit am deutlichsten in den Anführern, in den Vorbildern und bei ihren Steigbügelhaltern und Speichelleckern. Hitler, Goebbels, Göring – sieht man sie abgefilmt, da scheinen sie einer Irrenanstalt entsprungen und man möchte nach Zwangsjacken rufen oder zumindest das tun, was in alten Slapstickfilmen eine probate Problemlösungsstrategie war: ihnen einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpassen. Aber es bedarf schon des Künstlers, das zu sehen, während die Mehrheit noch dem gleichen Irrsinn verfallen ist und sich solche Figuren zum Vorbild nimmt. Als Charlie Chaplin in „Der große Diktator“ das alberne Getue Hitlers herausarbeitete und überhöhte, so dass es jeder ablesen konnte, da hat er das Visionäre geleistet, hat quasi die Zeit voraus gedreht und dem Betrachter die Einsicht vermittelt, die er sonst erst in der Rückschau hätte gewinnen können.

Die Deutschen tun sich schwer mit der künstlerischen Form der Satire. Trifft eine Satire hart auf den Solarplexus, dann schreien auch jene auf, die gar nicht gemeint sind. Dann wird Tucholsky zitiert, der gefragt hatte, was Satire darf und „Alles!“ befunden hatte. Ja, heißt es dann, Satire darf alles, aber doch nicht so. Denn wirklich treffen darf sie nicht, sondern nur ein bisschen zanken. Den Eliten ist die harmlose Satire am liebsten, denn sie schadet ihnen nicht, trägt im Gegenteil zu ihrer Popularisierung bei, schmeichelt sogar ihre Eitelkeit. Dann reiben sie sich vergnügt die versoffene Nase und suchen grinsend die Kameraobjektive wie alljährlich bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst zu sehen. Und so erwarten sie es auch beim alljährlichen „Derblecken“ am Nockherberg. Ein bisschen Parodie ist fein, aber wehe, es geht ihnen ans Fell, es macht einer einen ordentlichen Holzschnitt und haut ihnen die miese Gesinnung gestrichen um die Ohren, die sie sonst mit rhetorischen Finten zu verbergen verstehen.

Der Herr Guido Westerwelle will nicht mehr eingeladen werden zum Münchner Nockherberg. Er ist beleidigt. Denn der Schauspieler Michael Lerchenberg in der Rolle als Bußprediger Barnabas hat über ihn folgendes gesagt: "Alle Hartz-IV-Empfänger versammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Zaun.“ Über dem Eingangstor werde "in großen eisernen Lettern" stehen: "Leistung muss sich wieder lohnen."

Yo, das ist hart, ein unerlaubter Vergleich, politisch nicht korrekt. Den Holocaust darf man nicht benutzen, um eine miese Gesinnung zu kennzeichnen, findet der Zentralrat der Juden und protestiert. Die Verlierer der neoliberalen Politik sind in der Tat nicht an Leib und Leben bedroht. Eine kollektive Vernichtung droht ihnen nicht. Aber sie stecken in schweren Nöten, denn sie werden von Westerwelle und Konsorten geschmäht, von den Medien über den Löffel barbiert, ihrer Menschenwürde beraubt, und das nicht etwa, weil sie den Bestand unserer Gesellschaft gefährden wie gierige Finanzjongleure, gewissenlose Banker, gleichgültige Unternehmensvorstände. Nein, Leuten wie Westerwelle geht es allein um Machterhalt und Schutz der eigenen Wählerklientel. Da greift er zu einem Mittel, das schon immer geholfen hat, sucht die Schuldigen für gesellschaftliche Fehlentwicklungen in einer Minderheit, die sich isolieren lässt und nur wenige Fürsprecher hat. Er drischt auf die Schwachen ein und schert sich einen Dreck um die tatsächlichen Verhältnisse. Da wird man doch einmal fragen dürfen, was mit diesen Menschen eigentlich werden soll, welche Perspektive man für sie vorgesehen hat und wo eine Gesellschaft enden könnte, die mit den Schwachen umgeht, als wären sie eine Sorte Sondermüll.

Der Zentralrat der Juden befürchtet eine Banalisierung des Holocaust. Doch in die Zukunft schauen kann er nicht, kann nicht garantieren, dass sich Ähnliches nicht wiederholt. Wir wissen nicht, welche Fehlentwicklungen durch neoliberales Denken angestoßen werden. Deutschland ist gemessen an Ländern der dritten Welt noch immer ein Paradies. Doch weltweit ist zu beobachten, wie im Namen des entfesselten Raubtierkapitalismus ganze Volksgruppen bis aufs Blut ausgebeutet werden, in Lagern verhungern oder hingemetzelt werden von verbrecherischen Regimen, die gute Beziehungen zur EU und den USA unterhalten, weil man mit ihnen Geschäfte machen kann. Wir erleben im Zuge der Globalisierung eine Nivellierung der Lebensverhältnisse nach unten. Es gibt wenige Gewinner und immer mehr Verlierer. Wo wir in Deutschland in 25 Jahren stehen, wie dann umgegangen wird mit den Verlierern des gnadenlosen Profitstrebens, das weiß auch der Zentralrat der Juden nicht. Und darum sollte er sich auch nicht aufregen, wenn ein düsteres Bild gezeichnet wird, damit es sich die Entscheidungsträger unserer Gesellschaft als Mahnung hintern Spiegel stecken können. Denn nachher zu wissen, ab wann eine Sache falsch gelaufen ist, das ist wie gesagt keine Kunst.

Abgelegt unter: Zirkus des schlechten Geschmacks
1506 mal gelesen
Mimiotschka - 7. Mär, 20:31

Wenn die alle kein Bier mehr trinken, dann sind sicher auch bald Arbeitsplätze in Gefahr. Das Totschlagargument überhaupt. So stirbt auch die Hoffnung, dass mal einer von denen mit 1,5 Promille kaltgestellt wird. *seufz*

Was die angebliche Verharmlosung angeht, die sehe ich da keineswegs. Nicht umsonst gibt es den Spruch: Wehret den Anfängen! Die Nationalsozialisten haben nicht umsonst satirische Zeitungen verboten und die Schriftsteller rausgeschmissen.
Und ich persönlich finde es schon sehr befremdlich, dass hier von Verharmlosung gesprochen wird, wenn man sich mal die politische Entwicklung in den Nachbarländern anschaut. Ähnlichkeiten sind da kaum von der Hand zu weisen. Und die Medien pushen das alles auch noch.
Jeder halbwegs klardenkende Mensch muss doch angesichts dieser Zustände die Wut kriegen. Wer spricht denn von Verharmlosung, wenn Thilo die kalte Dusche empfiehlt? Ich bin für die Einführung eines Zentralrats für Hartz-IV-Empfänger und alle die nicht zu den angeblichen Leistungsträgern der Gesellschaft zählen.

Die Liste der Menschen in deren Richtung ich mich nichtmal übergeben möchte wird täglich länger.

Guten Abend!

Trithemius - 8. Mär, 10:26

Saufen zur Steigerung des Bruttosozialprodukts,

das tun ja zum Glück nicht nur Hartz-IV-Empfänger, das geht durch alle sozialen Schichten. Und je höher rauf, um so teurer die alkoholischen Getränke. ;)

Du hast völlig Recht, es gilt, den Anfängen zu wehren. Auch die Judenverfolgung hat mit verbaler Hetze begonnen. Und immer ist es die Salamitaktik. Scheibchenweise wird den Hartz-IV-Empfängern die Würde genommen. Demagogen wie Sarrazin und Westerwelle preschen vor, und aus Angst vor dem Verlust der Wählerstimmen am rechten Rand dackeln andere hinterher. Jetzt fordert auch die SPD, man müsse die Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit zwingen, als wüsste sie nicht, dass sie das Elend mit angerichtet hat und dass Fördern nur ein Lippenbekenntnis war, das an der gesellschaftlichen Realität am Arbeitsmarkt völlig vorbeigeht. Wenn arbeitslose und hoffnungslose Menschen weiterhin so verunglimpft werden, Woche für Woche mehr, dann möchte ich gar nicht wissen, was man sich in fünf Jahren traut zu sagen und zu fordern.

Und dann guten Morgen!
Spieler7 (Gast) - 10. Mär, 17:29

Verharmlosung?

Ich sehe da keine Verharmlosung, es gilt, dieser menschenverachtenden Politik der neoliberalen Raubritter deutliche Zeichen entgegenzusetzen. Oder anders gesagt: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Herr Westerwelle ist sonst auch nicht so zimperlich, wenn es um seine Klientel geht.

Die Empörung hier in Bayern ist immer noch groß, ich hoffe, die Veranstaltung wird nächstes Jahr von allen namhaften Kabarettisten boykottiert, dann sind die Idioten endlich allein zu Haus und können sich selbst derblecken.

Trithemius - 10. Mär, 18:19

Wer als Kabarettist auf sich hält,

darf sich nicht zensieren lassen und quasi zahnlos weitermachen. Drum schließe ich mich deiner Hoffnung an. Die Politprominz kann sich gern von Comedians erheitern lassen. Dann sind die Clowns unter sich.

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