Mimiotschka - 18. Nov, 19:35

Mir war so, als hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Informations- und Bildungsauftrag. Wenn man von einem klassischen Bildungsbegriff ausgeht, dann fällt einem da sofort der mündige Bürger ein. War ja auch Ziel der Aufklärung. Und wie schrieb Kant so schön, als Antwort auf die Frage "Was ist Aufklärung?"

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Und Mendelssohn schreibt zu derselben Frage:

Mißbrauch der Aufklärung schwächt das moralische Gefühl [...] Eine Nation, die durch Bildung auf den höchsten Gipfel der Nationalglückseligkeit gekommen ist, ist eben dadurch in Gefahr zu stürzen, weil sie nicht höher steigen kann."

Die Idee mit der objektiven Berichterstattung und der Mündigkeit der Bürger ist also irgendwie daneben gegangen. Wir sind vermutlich gerade in einer Art Abwärtsspirale. Da ist es auch ehrlich gesagt nicht verwunderlich, dass die Regierung ihre Bürger nicht für ganz so helle hält, sie arbeitet ja methodisch ausgefeilt dagegen. Sie leitet eben. Dazu schrieb übrigens Humboldt in seinen "Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen":

Noch mehr aber leidet durch eine zu ausgedehnte Sorgfalt des Staats die Energie des Handlens überhaupt und der moralische Charakter. [...] Wer oft und viel geleitet wird, kommt leicht dahin, den Überrest seiner Selbsttätigkeit gleichsam freiwillig zu opfern. Er glaubt sich der Sorge überhoben, die er in fremden Händen sieht, und genug zu tun, wenn er ihre Leitung erwartet und ihr folgt. Damit verrücken sich seine Vorstellungen von Verdienst und Schuld.

Eigentlich kann man es überall sehen wenn man es sehen will. Ich brauche jedenfalls keine Vorratsdatenspeicherung um zu erkennen, dass da der Weg für Schlimmeres geebnet werden soll. Und Demokratie, lieber Jules, haben wir schon lange nicht mehr. Wir leben in einer Wirtschaftsdiktatur, in der die Lobbyisten den Regierungen Forderungen unterjubeln und die Wirtschaft direkt in beispielsweise das Bildungssystem eingreifen kann und es nach ihren Vorstellungen umformt.

Aber irgendwann wird es sich zeigen, dass eine Regierung nicht permanent gegen das Volk anregieren kann.

Trithemius - 18. Nov, 20:26

Dankeschön, liebe Mimiotschka, für die erhellenden Zitate, von denen mir besonders das von Kant passend erscheint. Denn tatsächlich ist die Unmündigkeit vieler selbstverschuldet, weil sie sich das Hirn zukleistern lassen von den Verheißungen, Versprechungen und Produkten unserer "Wirtschaftsdiktatur", ja selbst daran teilhaben, andere vom selbstständigen Denken und Fühlen abzuhalten, ohne die man kein Anrecht auf ein erfülltes Leben hat, auch nicht bekommt.

Humboldts Bemerkungen zu den Grenzen der Wirksamkeit des Staates sind gewiss auch zu bedenken, doch derzeit kann ich nicht sehen, dass der Staat "ausgedehnte Sorgfalt" walten lässt. Er will wohl eher ausgedehnte Sorgfalt im Überwachen und macht beständig Politik gegen das eigene Volk, wie du sagst, wobei wir sicher beide das Volk meinen, das sich nicht zu den Gewinnern in der Wirtschaftsdiktatur zählen kann, dem immer nur eine Wurst vor die Nase gebunden wird, und wenn er nicht dran kommt wie ein Arbeitsloser etwa, verhöhnt und schmäht man ihn.

In jedem Fall zeigen deine Zitate, dass es sich lohnt, vernünftige Bücher zu lesen, denn wo der Staat kein Interesse mehr an einer sorgfältigen Bildung des Volkes hat, wo er die Aufklärung missbraucht und die Moral schwächt, wie Mendelssohn sagt, und die Medien ihm darin folgen, muss das Volk sich eben selbst bilden. Und vor allem: Fernseher ausschalten.
Mimiotschka - 19. Nov, 19:40

Heute wäre Sorgfalt wohl eher ein Euphemismus. So wie beim Paten, wenn er sagt: "Wir werden ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann."
Trithemius - 20. Nov, 08:04

Diese Angebote machen mir Sorgenfalten.

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