Finkenschlag und Klickern

Welch ein Glück, dass die Evolution die Dinosaurier auf ein erträgliches Maß verkleinert hat. Was wäre das für ein entsetzliches Krachen im Geäst, wenn sie von Baum zu Baum hopsen. Und erst das schmachtende Grunzen der Balzvorbereitung. So aber schlägt der Fink sein helles Lied, und hüpft er von Zweig zu Zweig, wir sehen ihn kaum. Die Sonne scheint, – ich werd' verrückt –, reiße meinen Mantel auf und schlendere durch den Park. Das Frühjahr, der Frühling, der Lenz – die drei geben ein Gastspiel, das hoffentlich noch in die Verlängerung geht.

In meiner Kindheit begann jetzt die Klickerzeit. Andernorts heißen die Klicker „Murmeln“, was vom Wort Marmor hergeleitet ist. Klicker oder Knicker aber ist schöner, weil onomatopoetisch. Die Wörter ahmen den Laut nach, wenn die Ton- oder Glaskugeln zusammenstoßen. Ein leises Klickern ist schon zu hören, wenn man das Säckchen aufnimmt, worin die Kugeln aufbewahrt werden. Ich hatte eines aus grauem Leinen, das sich oben mit einer eingenähten Schur zuziehen ließ. Reich an Klickern war ich nicht, denn obschon ich mir gelegentlich welche kaufte, verlor ich die meisten wieder. In meiner Nachbarschaft wohnten die Gebrüder Schnitzler. Beide waren Kannibalen im Klickern und unschlagbar, so dass niemand gern mit ihnen spielte. Freilich hatten sie die dicksten und schönsten Glasmurmeln, nicht gut für leichtsinnige Menschen wie mich.

Zum Frühling gehört noch heute für mich der erdige Geruch des Bürgersteigs vor unserem Haus. Einer drehte mit dem Absatz ein spitzes Loch hinein, wir klopften die Erdkrümel wieder platt, ein Strich wurde gezogen, und dann ging’s los, das Schussern und Schieben, das Einlochen, das Hin und Her von Klickergewinn, -verlust und erneutem Einsacken der farbig lackierten Ton- und geheimnisvoll marmorierten Glaskugeln. Es war wunderbar – aber nur bis irgendwann die Schnitzlers kamen, sich ins Spiel drängten und gnadenlos alles abräumten. Außer Klickern konnten sie nicht viel, und daher war der Frühling ihre Saison. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, ob ihre Klickermeisterschaft ihnen beruflich weitergeholfen hat oder ob sie im Lenz ihres Lebens auch schon den Zenit erreicht hatten. Aber manche sind gar niemals in irgendwas richtig gut, da ist es doch besser, wenn man von sich sagen kann: „Als Kind war ich Klickermeister.“ Damit wird man im Alter seinen Enkeln imponieren, so man welche hat, die wissen, was das ist.

Als meine Kinder im Klickeralter waren, lebten wir in der Stadt. Da kann man mit dem Absatz keine Klickerlöcher in die Bürgersteige machen. Sie hatten zum Klickern einen flachen Stumpfkegel aus Plastik mit einer Mulde darin. Da haben sie mir immer ein bisschen leid getan, denn mit der Nase über Plastik und Betonplatten, das ist etwas anderes als den Duft der frühlingshaften Erde zu riechen. Trotzdem werde ich nicht behaupten, dass früher alles besser war. Was nämlich schlechter war, das war natürlich nicht besser.

Lies auch: Hüpfekästchen
1861 mal gelesen
walhalladada - 18. Mär, 18:35

Krach auf dem Ast & Murmeln im Beutel - Sie bereiten reinstes Lesevergnügen, lieber Herr Trithemius!

Trithemius - 22. Mär, 13:03

Lieber Herr Doktor Schein, das freut mich. Da murmele ich ein herzliches Dankeschön.
maranaz3 (Gast) - 18. Mär, 22:04

Den Geruch des erdigen Frühlingserwachens ...

liebe ich auch sehr, und ... die Murmeln. Aber es ist schon so, heute gibt es in unserm Hause noch einen nicht kleinen Beutel Glasmurmeln- wohl weil ich als Kind "nur" Tonmurmeln besaß- , und sie werden so bald nicht entsorgt, weil ich sie schön finde, aber auch bei unsern Kindern war das Murmelspiel nicht so beliebt, obwohl wir noch einen Sandweg vor der Tür hatten, ebenso wurde das "Hinkelapinkelspiel" nicht so inbrünstig gehüpft und die Brummkreiselgeschicklichkeit nicht erlernt, es gab anderes.
Aber ... wenn es auch nicht so fein ist, darüber zu schreiben, aber es ist nun mal so, beim Frühlingsspaziergang ausgedehnt durch Wiesen, Wälder und Auen kann es doch gern mal passieren, dass Frau sich der lästigen Hüllen entledigen und hinhocken muss zum Pischern, und dann, ... dann ist man dem erdigen Geruch nach feuchtem Moos und Blättern und Frühlingssprießen in der Hocke auf einmal sehr nahe, ich liebe das, "Frühling, ja du bist's."
:-) ))

Trithemius - 22. Mär, 13:09

Inzwischen sind die alten Tonmurmeln

gewiss eine Seltenheit. Früher hätte ich sie gern allesamt gegen Glasmurmeln eingetauscht, heute ist's glatt umgekehrt. Leider besitze ich keine mehr. Als ich von zu Hause weg ging, habe ich an vieles gedacht, nicht aber daran, dass ich Spielzeug aus meiner Kindheit mitnehmen sollte. Und was ich später gescihert hatte, ist bei Umzügen verloren gegangen oder übergegangen in den Besitz meiner Kinder.

Sich in der frühlingshaften Natur zu erleichtern, scheint ein besonderes Vergnügen zu sein, hat ja sogar etwas Archaisches. ;)
webgeselle - 19. Mär, 12:28

"Hopsen"?


Schmachtendes Grunzen???

Ph.

(... guter Beitrag... wohin sind die Geschichten alle versunken... das frage ich mich nicht erst seit der zauberhaften Amelie... so eine ähnliche Geschichte mit Murmeln wie in dem Film habe ich auch erlebt... Mit 40 "Froschern"... Kennst Du "Froscher"... das kam von "Froschaugen"... das waren so grüne Glas-Murmeln... wie aus Flaschenglas... und kennst Du "Doppler-Gut-Schuss"... und "Patenter", muahaha... "Bugger"?... es war mein eigenes Leben... aber ich erinnere es, als hätte ich es in einem Buch gelesen... das Authentische und das nicht Authentische... hä-ähm... sorry...)

Ich ignoriere den Winter einfach, indem ich erst gar keinen Mantel habe - und siehe: der Winter hört dann in der Tat immer irgendwann auf...

PS: Chch.
 

Trithemius - 22. Mär, 13:16

Du warst ja nicht gemeint, mein lieber Graphodino

mit dem schmachtenden Grunzen ;)
Ich lese mit Vergnügen, dass du dich noch gut an Einzelheiten des Murmelspiels erinnerst, weit besser als ich. Was solche Erinnerungen betrifft, so werden sie oft nachträglich modifiziert, wie die Hirnforschung herausgefunden hat. Gelegentlich habe ich autobiographische Geschichten geschrieben, für meine Tagebücher und auch im Blog. Da gab es Leerstellen zu füllen oder etwas zu entfalten, was ich nicht mehr genau wusste, daher also erfunden habe. Nach einer Weile haben diese Texte die tatsächliche Erinnerung völlig überlagert. Das ist ein seltsamer Effekt des Aufschreibens. In oralen Kulturen gibt es das aber auch. Der Schriftforscher Jack Goody hat Ähnliches am Beispiel eines afrikanischen Stammes gezeigt. (Finde grad die Belegstelle nicht.)
Demnach: Authentisch ist das, was für authentisch gehalten wird.

Die Sache mit dem Mantel ist ein guter Trick, aber hart.
webgeselle - 25. Mär, 19:28

Ach, das habe ich so ernst nun auch wieder nicht gemeint...

... wenn ich schon mal richtich urst witzisch sein will, so Kracher mäßig...

Das kenne ich, mit der Modifizierung; es ist sogar so, dass ein und dieselbe Person ein und dieselbe Geschichte mehrfach "modifizieren" kann; im Grunde tun viele Schriftsteller auch nichts Anderes, wenn sie autobiografisches Material verarbeiten...

Diese Geschichte ist aber nicht modifiziert, es war nämlich das erste und letzte Mal, dass mein Vater "dazwischen gegangen" ist; der ist zu den Eltern des Typen gegangen und nach fünf Minuten hatte ich die vierzig "Froscher" wieder; so was prägt sich ein (wobei mir heute klar ist, dass es keine reine Freude sein kann, so einen Geschäfts untüchtigen Sohn zu haben)...

Ach ja... - die Memoiren, geformt oder nicht...
Juleika (Gast) - 19. Mär, 22:10

Mit den Hüpfekästchen

konnte ich nicht so viel anfangen, im Murmeln allerdings war ich perfekt :-) (sehr zum Leid meines Bruders *lach*)
Das was ich als Kind jedoch am liebsten tat war Gummitwisten.
Mein Lieblingsspruch:

Peter Alexander
Beine auseinander
Beine wieder zu
und draus bist du

Ich lass mal ein paar Grüße zu dir hüpfen,
herzlichst Juleika

Trithemius - 22. Mär, 13:21

Dachte ich mir,

liebe Juleika, dass du auch beim Murmelspiel überzeugt hast. Kannst halt viele Sachen gut. Vielen Dank für den Kinderreim. Den kannte ich noch nicht. Ob Peter Alexander weiß, dass er auf diese Weise zum Volksgut geworden ist?

Herzliche Grüße aus dem sonnigen Hannover
Jules
la-mamma - 20. Mär, 09:49

in der stadt und heutzutag geht das mit den murmeln so ...

"In der Pause stellt sich der Florian im Schulhof ganz an den Rand und tritt nach kleinen Steinen. Der Maxi kommt dazu und packt ein paar Murmeln aus. Als der Florian in seiner Hosentasche sucht, findet er auch drei. Jetzt können sie damit spielen.
Zuerst legt der Maxi seine rote Murmel hin. Der Florian darf mit dem Schießen anfangen. Wenn er die Murmel vom Maxi jetzt mit seiner trifft, gehört sie ihm. Und wenn er sie verfehlt, ist der Maxi dran. So haben sie sich die Regeln ausgemacht. Der Florian hat so schon viele Murmeln gewonnen. Und er trifft die rote Murmel vom Maxi auch, aber seine eigene rollt direkt einem größeren Bub vor die Füße."

Trithemius - 22. Mär, 13:31

Dankeschön für die Beschreibung

Wie man sieht, geht es auch ohne Mulde. Glücklich das Kind, das zufällig Murmeln in der Hosentasche hat. Der russische Schriftsteller Sergej Tretjakov hat in den 20er Jahren des letzten Jahrhundert ein wunderbares Taschenprojekt für Kinder gestartet. Kinder aus allen Regionen der riesigen Sowjetrepublik sollten ihm den Inhalt ihrer Taschen beschreiben. Damals trugen Kinder noch viele Sachen mit sich rum. Im Zeitalter der elektrischen Waschmaschine kann sich nicht mehr so viel ansammeln, wie ich feststellte, als ich während meiner Zeit als Lehrer dieses Taschenprojekt mehrmals mit heutigen Kindern wiederholt habe.

Ich habe hier über Tretjakovs Projekt geschrieben:

http://abcypsilon777.blog.de/2006/04/13/abendbummel_online_die_biographie_der_di~725871/
la-mamma - 23. Mär, 19:21

auch dankeschön

für den link. solche geschichten mag ich.

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