Herr Jesus hat mich nicht gegrüßt - aber immerhin


Seit es das
Internet gibt, gibt es auch mehr Erscheinungen. Vielmehr ist es so, die Schmocks von der Presse haben uns eine Menge Erscheinungen vorenthalten. Sie sitzen ja auf Bergen von ungedruckten Texten, und wenn ein Bericht von einer Erscheinung reinflatterte, dann hat sie spätesten der Chef vom Dienst bei der Redaktionskonferenz vom Tisch gefegt und gesagt: „Ach, nicht schon wieder eine verfluchte Erscheinung! Wir hatten doch erst letztes Jahr eine. Dafür ist jetzt kein Platz. Die heben wir nicht ins Blatt!“ Das sind nämlich alles Heiden oder Zyniker oder beides.

Dank Internet erfahren wir trotzdem von allen Marien- oder Jesuserscheinungen - auf Toastbroten, im Speiseeis, auf Regenrinnen und so fort. Dem kann ich jetzt eine Erscheinung hinzufügen, und ich will verflucht sein bis in die Steinzeit und zurück, wenn ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Gut, ich war bekifft oder hatte Bier getrunken, aber heißt es nicht, Betrunkene sagen die Wahrheit? Und war nicht auch die 38-jährige Krankenschwester Alex Cotton aus Coventry (England) betrunken, als sie Jesus auf ihrer Regenrinne entdeckte, den man nur sehen kann, wenn man auf allen Vieren kriecht? Ich sah jedenfalls den leibhaftigen Jesus in einem Hula-Hoop-Reifen.

Der war
sonnengelb und wurde gehalten von einem dienstbaren Geist, vermutlich einem Engel. Er saß auf dem Gepäckständer eines alten Damenfahrrads. Vor ihm saß Jesus und trieb das Fahrrad mit seinen Füßen an. Er sah genau so aus, wie er auf den wunderschönen Gemälden namenloser Künstler dargestellt ist, die früher über den Betten frommer Eheleute hingen. Er hatte schönes langes, kunstvoll gelocktes, braunes Haar, nur hielt er nicht seine Hand aufs strahlende Herz, sondern am Lenker. Er musste sich ja wenigstens ungefähr an die Straßenverkehrsordnung halten. Mit der Rechten grüßte er nach links und rechts wie der Papst, wenn er in seinem Papamobil unterwegs ist. Aber anders als der Papst hatte Jesus einen Glorienschein, der ihn von der Hüfte aufwärts umgab. Das war wie gesagt ein sonnengelber Hula-Hoop-Reifen, der von dem hinter ihm sitzenden dienstbaren Geist, vermutlich einem Engel, gehalten wurde.

Jesus grüßte und grüßte nach links und rechts, grüßte auch dahin, wo gar keiner war, wo zumindest ich keinen sehen konnte. Einziger Wermutstropfen: Er hat mich nicht gegrüßt, sah über mich hinweg, denn ich saß am Boden, vielmehr auf der Dornröschenbrücke ans Geländer gelehnt, wie ich es in letzter Zeit häufig tue, um den Sonnenuntergang zu genießen. Aber das will ich gelten lassen. Denn nur wer demütig ist, kann auf eine Erscheinung hoffen. Und weil ich mein eigener CvD bin, zumindest solange Frau Nettesheim nicht da ist, kann ich sogar Zeugnis ablegen.

Mehr: Ethnologie des Alltags
2885 mal gelesen
nömix - 7. Aug, 11:55

»Ein Wunder: Jesus radelt übers Wasser!«

ach ne, war ja ne Brücke ..

Trithemius - 7. Aug, 12:00

Ich finde, das Wunder muss man trotz der Brücke anerkennen.
schreiben wie atmen - 7. Aug, 12:29

Gut so, die Welt soll voller Erscheinungen sein.

Ich sah lange Zeit immer wieder kleine alte Männlein im Matsch des Gartenweges. Sie huckten alle eine riesige Schnecke und schnippten mit dem rechten Großen Onkel Matsch in meine Richtung. Als ich endlich kapiert hatte, dass sie mich damit an meine Sterblichkeit erinnern wollten, war der Spuk vorbei. Neuerdings treffe ich immer wieder Buddha unterwegs. Der letzte saß inmitten einer Wiese an einem kleinen Fluss, er hatte eine Plastiktüte auf dem Schoß und teilte eine Dose Fisch mit seinem Hund. Der Hund hatte grünliches Fell und goldfarbene Augen. Buddha war ziemlich schmutzig, hatte eine komische Frisur und ein zahnarmes Lächeln. Er hob jedoch seine Handfläche bis ich hineinsehen konnte wie in einen Spiegel. In der Mitte seiner Handfläche funkelte das gleiche Juwel wie in den Handflächen der anderen Buddhas die ich schon traf. Ich weiß nur noch nicht, was mir Buddha damit sagen will.

Trithemius - 7. Aug, 13:11

Danke für diesen interessanten Bericht von zwei wundersamen Erscheinungen. Die erste haben Sie ja schon gedeutet, die andere: Sie spiegelten sich selbst in seiner Handfläche und sahen ein Juwel. Na, was gibts denn da zu rätseln?
schreiben wie atmen - 7. Aug, 15:35

Glückes Geschick, dass es auch eine Menge netter Mitmenschen gibt, die einen noch nicht allzu gut kennen.
Merzmensch - 7. Aug, 19:31

Sei nicht traurig, es wird wieder geschehen! Es passieren nämlich öfters Wunder und Mysterien in letzter Zeit.

Trithemius - 7. Aug, 21:32

Tatsächlich, wie ein Hut, wie ein Hut! Ich komme zwar noch nicht hinter das Gesicht oder vor, aber dein Trost tut gut.
walhalladada - 8. Aug, 12:53

...ein kleines Trostpflaster für Sie, lieber Trithemius!

Trithemius - 8. Aug, 14:53

Vielen Dank, werter Herr Dr. Schein. Nehme ich die Trostpflaster am besten Abends, und wieviele?
Eugene Faust - 8. Aug, 13:38

tja...

wie der Vater so der Sohn.

Trithemius - 8. Aug, 14:54

Prima!

Das bekräftigt die Glaubwürdigkeit meiner Sichtung ungemein.
DasEv (Gast) - 10. Aug, 22:33

Unverschämtheit!

Also den Jesus mein ich! Da grüßt der Bengel nicht mal einen, der demütig im Sonnenuntergang auf dem Boden sitzt, um das Werk des eigenen Vaters (also nicht des Trithemius Senior, sondern des Allmächtigen persönlich) angemessen zu würdigen in all seiner Schönheit, Unabänderlichkeit und gleichzeitigen Vergänglichkeit....
Da muss sich das Christentum nicht wundern, dass ihnen die Gläubigen in Scharen davonlaufen!
Wie gut, dass es Alkohol gibt. Und Sachen zum Rauchen natürlich. Das lässt einen solche sozialen Unzulänglichkeiten mit einem Achselzucken hinnehmen und sich wieder auf das konzentrieren, was wichtig ist: den Sonnenuntergang!

Trithemius - 10. Aug, 23:20

Ja, jetzt wo du es sagst, könnte ich mich glatt aufregen, liebe Eva. Jesus hat überhaupt viel mehr in die Luft gegrüßt, als irgendwen genau anzugucken. Zu abgehoben, die Sekte der Papisten. Und Paarung wirkt auf die Partner.

Da gucken wir uns doch lieber einen herrlichen Sonnenuntergang an und haben unser eigenes Hochamt.

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