Neues von der Bielefeld-Verschwörung

Die Bahnfahrt von Aachen nach Hannover dauert etwa vier Stunden. Gut zwei Jahre ist es her, da war mir schon die Fahrt durch Wuppertal recht lang geworden, denn obwohl der ICE den Hauptbahnhof von Wuppertal schon hinter sich und längst wieder Fahrt aufgenommen hatte, zog sich Wuppertal wie ein Kaugummi. Dann drohte auch noch der Halt in Bielefeld. Wer dort aussteigen muss, wirkt unfroh, wer eingestiegen ist, sinkt aufatmend in den Sitz. Aus purer Langweile hielt ich meine Kamera ans Fenster und filmte, wie der Zug den Bahnsteig verließ. Diesen belanglosen Film nannte ich arglos: „In Bielefeld ist das Wegfahren am Schönsten“, obwohl ich so gut wie nichts über diese Stadt wusste, nur froh war, weil der Zug wieder fuhr.



Der Film hat derzeit bei YouTube 1.797 Aufrufe und wurde eine Weile heftig kommentiert. Go2Dominik schrieb: „Auf solche Videos kann man wahrlich bei Youtube verzichten!“
Und 619freak2 meinte: „du hast doch ein schaden ich würde dier sogar abkaufen das du arbeitslosb bist und dir das handy auf pump geholt hast. aber naja nich jeder darf bielefelder sein“
Der User gibtsnochnnamen fragte: „.... gibts in deiner stadt....wo auch immer du her kommst....nur arbeitslose penner die sich n kamera handy mit schlechter quali geklaut haben und nix besseres zu tun haben als den bielefelder hbf zu filmen????...xD DUMM ODER SO???? aua tut weh sowas.... xD ... und anhand dieser kack bilder willste beurteilen obs bei uns fun oder nich git??? dumm!“

Das ist Deutsch, ohne Zweifel, aber so ein Idiom war mir bislang noch nicht untergekommen, ist vermutlich ein Ausdruck von Wut, tiefer Verletzung und geistiger Verwirrung. Eine Bemerkung von Blogfreund Frieling über die so genannte Bielefeldverschwörung brachte Licht in die Sache. Es wird allgemein angenommen, dass Bielefeld gar nicht existiert, wozu es eine Reihe von Anhaltspunkten gibt, was aber von jenen, die wahnhaft glauben, Bielefelder zu sein, energisch bestritten wird. Das erklärt, warum ich so heftig beschimpft wurde.

Inzwischen weiß ich, dass Bielefelder auch anders schreiben können. Vor einigen Wochen nämlich schrieb mir der Bielefelder Verleger und Herausgeber Günter Butkus, er habe in seinem Pendragon Verlag gerade ein Buch über die Bielefeldverschwörung herausgebracht. Es heißt "Rätselhaftes Bielefeld" und enthält Beiträge namhafter Autoren wie Wiglaf Droste, Franz Mon, Hans Zippert und Udo Lindenberg. Ex-Titanic-Chefredakteur Hans Zippert habe ich mehrfach auf dem jährlichen Titanic-Buchmessenfest getroffen und kann bestätigen, dass es ihn tatsächlich gibt. Von den anderen Autoren, die angeblich aus Bielefeld stammen, kann ich das leider nicht sagen. Ich weiß nicht einmal, ob es Günter Butkus gibt, denn sein Buch ist nicht geeignet, die Existenz Bielefelds und mithin echter Bielefelder zu beweisen. Es hebt an mit literarischen Aussagen über diese phänomenale Stadt, zusammengesucht von Dietmar Bittrich. Mark Twains ultimative Bielefeldleugnung gefällt mir am besten:

„Himmel, die Deutschen mit ihrer brutalen Sprache! Auf meiner Reise mit Doktor Seyfried gelangte ich in Städte wie Würgsburg, Chemienitz, Gestankfurt und Schrecklinghausen. Es wunderte mich kaum noch, dass er eine Stadt namens Befiehlt erwähnte. Nur das nicht, rief ich! Es mag bei Ihnen Abortmund geben und Dünster und Rostnabrück und Hangover. Aber Befiehlt? Unannehmbar für einen überzeugten Demokraten und Pazifisten. Nein, ihr Deutschen. Die Stadt Befiehlt darf es nicht geben. Wird es nicht geben. Gibt es nicht. Niemals.“

Obwohl ich Mark Twains wunderbares Werk: „Bummel durch Europa“ kreuz und quer gelesen habe, sein Bielefeldverbot habe ich nicht gefunden. Vermutlich hat Dietmar Bittrich (Das Gummibärchen Orakel) die Zitate erfunden. Den Band „Fünf Freunde in Bielefeld“ von Enid Blyton gibt es auch nicht, weil die Freunde nie aus Bielefeld zurückgekehrt sind. All die Ungereimtheiten rund um Bielefeld vermag das Buch nicht aufzuklären. Je länger man sich mit dieser Stadt beschäftigt, desto schlimmer die Verwirrung. Daran ändert auch Stephen Hawkins Erklärung nichts, Bielfeld sei „ein Objekt, dessen Gravitation so hoch ist, dass die Fluchtgeschwindigkeit für dieses Objekt höher liegt als die Lichtgeschwindigkeit.“ Denn immerhin habe ich aus Bielefeld wegfahren können und würde es jederzeit wieder tun.

Günter Butkus (Hrsg): Rätselhaftes Bielefeld. Die Verschwörung,
Bielefeld 2010, ISBN 978-3-86532-188-6


Rätselhaftes Bielefeld

Nachschrift: Nicht verschwunden sind meine beiden Zeichnungen von Bielefeld. Sie haben sich vielmehr nie in diesem Buch befunden, weil Herausgeber Butkus sie zu spät entdeckt hat. Geheimnis der Quantenphysik.
14781 mal gelesen
pathologe - 22. Apr, 14:59

Sie

sind mein Held! Sie haben Bielefeld gefilmt! Stellen Sie sich bitte auf eine Stufe mit den Filmern des Ungeheuers von Loch Ness, des Yetis und Atlantis.

Und was die Beschimpfungen angeht: das passiert auch, wenn man behauptet, dass es gewisse Gegebenheiten in der Bibel so nicht gibt.

Trithemius - 22. Apr, 16:09

Oh, vielen Dank,

dann hätte ich mir den Text für die Sauregurkenzeit aufheben sollen.
Toller Link, Ihre Babsi ist herrlich.
webgeselle - 22. Apr, 15:03

...gestern vor 100 Jahren...


... ist Mark Twain in die ewige Schreibstube abberufen worden (und ich erwäge, den Satz, der hier gleich wieder folgen wird, rechtlich schützen zu lassen: natürlich weiß ich, dass Du das weißt, aber ich wollte nur zeigen, dass ich es auch weiß); kann man echt nur sagen: passt schon...

... und es sagt natürlich immer etwas über den Assoziierenden, was er assoziiert... bei "Wuppertal" kommt mir sofort des Papstes Herren-Boutique... Prof. Bülow usw.

Und zu/bei "Bielefeld" fällt mir halt ein, dass sich dort eine der besten Trauma-therapeutischen Zentren Deutschlands befindet... Nachdem ich eben noch einmal in mich gegangen bin (mal kieken, ob Einer kiekt), bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich das eben (also das mit Bielefeld) nicht einmal (nur) im Sinne einer fossilen Hu-Moorbad-Packung* rüber reichen wollte...

(... ich meine ja nur...)

Gut, wenn man so "angenehm" mit "Angriffen" umgehen kann... Wenn Einem das "nach innen installiert" wurde... - Nein, jetzt kein Gejammer...

Häff fann!
------------------------------------------------------
* Vielleicht sollte ich auch das rechtlich schützen lassen... Man weiß ja nie, nich?
 

Trithemius - 22. Apr, 16:20

Ein schöner Satz

und ein ebensolches Zusammentreffen. Mark Twain ist auch schon tot? Schade, im "Bummel durch Europa" wirkt er so lebendig wie kaum einer, der mir über'n Weg läuft. ;)

Mir ist Wuppertal noch viel unheimlicher als Bielefeld, und nie würde ich dort Lindemanns Herrenboutique besuchen, selbst wenn der Papst mitkäme, ich hab ja auch ein Herz.
webgeselle - 23. Apr, 09:45

Jetzt hast Du mich wieder verunsichert...


... und ich habe nochmal in meiner Agentur nachgefragt (Träumen ist ja nicht verboten, höhöhö!), also Twain ist definitiv nicht mehr buchbar... (der liebte ja so Lese-Reisen, nich', und hat dann coole Stories drüber geschrieben; dass auch er sich dem Grabe des Goldes zuzuwenden suchte, wusste ich bis gestern nicht... und dass mit dem "wanderndem Schriftsetzer" könnte Dich tangieren...)...

... ich glaube, man würde mich in so Boutiquen gar nicht rein lassen... chch... aber ich bin mir nicht sicher, ob ich darob ergrimmen soll...
 
Mimiotschka - 22. Apr, 15:45

Das Klo hat eindeutig mehr Tiefe.

Trithemius - 22. Apr, 18:27

Vielleicht ne Sickergrube?
litteratte (Gast) - 22. Apr, 20:09

Bummel durch Europa,

der Sonnenaufgang auf dem Riggi ist meine Lieblingsgeschichte.
Und die Floßfahrt auf dem Neckar, die uns den Spontanentwurf eines Nachrufs bescherte:

Nicht durch Krieges Furcht und Plagen,
Nein, von Stein auf Floß erschlagen...

(gut, schweife ab, aber ich bin ein echter Fan )

Trithemius - 23. Apr, 11:52

Bin unlängst wieder mitgewandert

und habe die ganze Zeit meinen Hut in der Hand gehabt, angesichst dieser wunderbaren, skurrilen Reisebeschreibungen, die so herrlich changieren zwischen Twains überbordender Phantasie und Spottlust und begeisternden Schilderungen seiner Erlebnisse und Beobachtungen. Die Rigi-Episode finde ich ebenfalls toll.
nömix - 23. Apr, 07:18

Die Verunglimpfung (da sehen Sie mal, was wir in unserer deutschen Sprache für schöne Wörter haben, Herr Twain!) von deutschen Städten kann für den Verunglimpfer böse Folgen haben. Bert Brecht äußerte sich in ähnlich abfälliger Weise über seine Geburtsstadt:
»Das beste an Augsburg ist der Zug nach München.«
Und man weiß ja, was daraufhin aus ihm geworden ist. Eine rote Socke. Und ein Ösi. Aus einem Schwaben! - Muss man sich mal vorstellen.

(Hab in Bielefeld mal eine Wurst gegessen, soweit ich mich erinnere. Kann vielleicht aber auch woanders gewesen sein.)

Trithemius - 23. Apr, 11:57

Trotzdem hoffe ich

auf die Ehrenbürgerschaft des chimärenhaften Bielefeld. Aber nur, wenn ich da keine Wurst essen muss. Dass aus Schwaben rote Socken kommen, dachte ich mir. Sitzt da nicht Trigema? Ach nein, Burladingen liegt im Zollernalbkreis in Baden-Württemberg.
walhalladada - 23. Apr, 11:14


Trithemius - 23. Apr, 11:48

Nie gehört.
Duroy (Gast) - 24. Apr, 11:18

Hallo lieber Jules!

Auweia, auweia, da hast du dich ja wieder in etwas hineingeritten bzw hinausgefahren.

Also, abgesehen davon (lass es dir von einem gebuertigen Ostwestfalen gesagt sein), dass es in Bielefeld wahrscheinlich VOR dem Zug am schoensten ist, bin auch ich mir ( in einer mittelgroßen Stadt ca. 35km vor der Chimaere ''Bielefeld'' aufgewachsen) nicht letztgueltig sicher, ob es diesen Unort ueberhaupt gibt. Wahrscheinlicher ist, dass es sich hierbei doch nur um eine Art Potemkin'sche Fassaden handelt. Aber zu welch' Zweck? Aber lassen wir das, es gibt schon genug Verschwoerungstheorien und man muss Bielefeld, sei es oder sei es nicht, nicht noch dadurch aufwerten, dass man ihm eine solche widmet.

Ich muss jedoch noch unbedingt auf die Kommentarleiste bei youtube eingehen, in der sich die unredliche Fehde verkuerzt betrachtet, ja schon auf dich und diesen ''freak nr. schlag-mich-tot'' eingrenzt. Des Selbigen Stilbreite des Deutschen ist ungemein erklecklich und variantenreich, fast neo-barock. Interessant auch, sein Begriff von ''Sachlichkeit''. Und er benutzt den (leider neumodisch-modernen), von mir so benannten, resultativen Kausalsatz, der geht so:

''du bist doof, weil du hast eine auf Pump gekaufe Handykamera''

(oder was unser freak nr. 08/15 da auch immer schrieb). Da hoert man den Doppelpunkt hinter dem ''weil'' direkt mit.
Seine sonstigen Ausfuehrungen entlarven sich ja ohnehin als dummgeschlagen bis zum Anschlag und enthuellen ganz augenscheinlich, dass dein kleiner Beitrag bei youtube einen ganz gewaltigen Nerv getroffen hat und Bielefelds ressentiment-geladene Restbevoelkerung dich nun auf Zeit zum Suendenbock fuer all die Misstaende (welcher Art auch immer) in Bielefeld macht.

Ich persoenlich glaube schon, dass es Bielefeld gibt und bin nur ein wenig, ja: traurig! darueber, dass sich solcherlei Kretin Nr.4711 zu seinem Anwalt macht...

und damit beste Gruesse aus der Raumgewinner Redaktion

Trithemius - 25. Apr, 19:17

Lieber Duroy,

dass du ebenfalls aus dieser Region stammst, hätte ich a) nicht gedacht und b) es rückt die ganze Sache in ein besseres Licht, aber c) musst du ja einen triftigen Grund gehabt haben, die Gegend zu verlassen. Wenn ich's recht überlege, weiß ich überhaupt nur von Leuten, die dort weggegangen sind.

Ja, und die dort geblieben sind, äußern sich in der Tat nervös. Hätte ich gewusst, dass Bielefelder schon derart unter der Verschwörungstheorie leiden, dass sie ganz vergessen, wie ein guter deutscher Satz auszusehen hat, ich hätte meinen Film niemals so genannt. Ich bin schließlich kein Unmensch und liebe die deutsche Sprache.

Die Aussichten für Bielefeld sind jedenfalls schlecht, so lange sie sich gegen diese Sage wehren. Denn sie loszuwerden, ist so gut wie unmöglich, da ist es schon klüger, wenn ein Bielefelder Herausgeber die Chance begreift und Buch darüber macht.

Laut Wikipedia hat die Leiterin des Presseamtes der Stadt Bielefeld über die Sage von der Bielefeldverschwörung gesagt: "'Soll ich ehrlich sein? Ich hasse es wie die Pest!' Die Stadt Bielefeld erhalte häufig E-Mails, in denen die Existenz der Stadt angezweifelt wird."

Sowas muss man doch als Chance begreifen und einen Werbegag daraus machen, T-Shirts "Ich habe Bielefeld gesehen!", Bastelbogen: Potemkinsche Kulissen der Stadt, Stadtpläne ohne Bebauung, aber Straßen ... und so'n Quatsch, das würde sich im Internet prächtig verkaufen und Bielefeld zur Legende machen, die es sowieso schon ist.

Die sollten uns mal machen lassen.

Beste Grüße aus dem Teppichhaus,
Jules
nömix - 24. Apr, 14:43

Bisher unveröffentlichte Aufnahmen enthüllen:

Die Wahrheit über den "Bielefelder" Hauptbahnhof:


Trithemius - 25. Apr, 18:47

Dass ich das noch sehen durfte: Bielepotemkinfeld! Vielen Dank. Und wie man sieht, wächst hinter den Kulissen nicht mal Gras. Da muss was Schreckliches im Boden sein.

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