Gedankensplitter: Was war eigentlich zuerst da, der moderne Roman oder die Psychologie? Ungefähr zeitgleich, wenn man es auf hundert Jahre nicht so genau nimmt, oder? Jedenfalls versuchen ja beide, uns das Leben als einen kontinuierlichen, in sich kongruenten Erzählstrang zu vermitteln, in dem zwar spannungssteigernde Brüche und/oder Störungen auftauchen können, aber der erzählbare „rote Faden“ ist immer ersichtlich, und sei es in der Rückschau. Die Protagonisten sind Charaktere, deren Eigenschaften man mithilfe psychologischen Feingefühls oder Tricks erraten oder enttarnen kann, so daß die ganze Person so, wie sie wirklich ist, wie ein offenes Buch gelesen werden kann.
Ich bin also der Held meines Lebens, und wenn mich an mir etwas irritiert, gehe ich zum Psycho-Fachmann, der mir hilft, mein wahres Selbst (wieder) zu finden und mich zur Selbstverwirklichung führt. Oder ich nehme mir ein Beispiel an Romangestalten, die mit wenigen Federstrichen als Persönlichkeiten in Gänze umrissen werden. Im „besten Fall“ findet man so seinen Platz in der Gesellschaft, mit dem man dann zufrieden zu sein hat – man richtet sich ein darin, wie man (angeblich) tatsächlich ist, ein Heraustreten wird mehr oder weniger scharf sanktioniert (selten positiv, meist strafend). Das Leben soll laufen wie auf Gleisen – das Ziel ist zwar noch nicht zu sehen, aber die Spur ist vorgegeben.
Deshalb ist es so irritierend, wenn eine (Roman-)Gestalt plötzlich die Rollen wechselt, und zwar nicht als erwarteter Bruch im Lebensfaden, sondern als komplett andere Personen, zwischen denen sie wechselt, wie sie lustig ist. Ja, woran soll man sich denn jetzt halten? Die Kongruenz ist durchbrochen, kein roter Faden mehr – das sind wir nicht gewohnt. Real ist hübsch geordnet – ungeordnet ist surreal. Autor, Ich-Erzähler und andere Personen in einem Text sollen gefälligst wie im richtigen Leben voneinander getrennt sein … wie im richtigen Leben? Wenn man genau hinsieht, wird man feststellen, daß viele Leute gar nicht so gradlinig jeweils eine Persönlichkeit sind wie Romangestalten: Je nach Situation – das kenne ich jedenfalls von mir selbst – spielt man die unterschiedlichsten Rollen – und läuft Gefahr, als unauthentisch oder als Schauspieler oder gar Hochstapler bezeichnet zu werden: Man soll eine nachvollziehbare, bestimmbare Romangestalt sein, dann ist man glaubhaft. Wenn das Leben ein Rollenspiel ist, dann ist eine Rolle erlaubt, verschiedene Rollen nur in verschiedenen Situationen, die sich nicht vermischen dürfen, sonst wirkt man irritierend und tendenziell unglaubhaft. Schade eigentlich, aber im Sinne einer gutgeölten Volkswirtschaft natürlich effizienter.
Blogs erlauben das sanktionslose Spielen verschiedener Rollen, aber in der Regel nur, wenn man mehrere Blogs hat. Innerhalb eines Blogs erwartet man vom Verfasser eine Rolle, wenn mehrere gespielt werden, erwartet man, daß das erkennbar ist und die Rollen durchgehalten werden. Ich war schon mal leicht irritiert, als ich direkt Frau Nettesheim ansprach, aber JvdL antwortete. Aber das ist natürlich nur eine Frage der Gewöhnung.
PS: Ist mir was entgangen? Schnapszahl? 44, 55, 66? Auf jeden Fall auch von mir: Herzlichen Glückwunsch. :-)
lieber Videbitis, einmal an anderer Stelle gucken, dann wäre dir das TT-bezügliche Repdigit aufgefallen, aber du bist auf Reisen, damit sei dir verziehen. Ich muss ja zugeben, ich hatte auch nicht so genau geguckt und bin auch durch den Kommentar hier auf die Schnapszahl aufmerksam geworden, aber darum geht's jetzt nicht, es geht um die verschiedenen Identitäten in einem Blog. Ich liebe TT und die unterschiedlichen Charaktere, die sich dort einem anbieten, und manchmal weiß ich nicht so genau, wer mir nun der liebste ist, nachdem ich sie, die Charaktere, beim Er- und Nachforschen der Parpiere des Pentagrion geballt erfahren durfte.
Das Agieren in einem Blog ist und bleibt ein Spiel für mich, und im TT wird meisterlich mit dem Medium agiert. Punkt.
Dir weiterhin eine gute Reise, und natürlich an dieser Stelle dem Herrn TT weiterhin einen guten Wirkungsgrad, viel Spaß an der Freud, und uns allen einen schönen Sommer.
:-)
Danke für diese anregenden Gedankensplitter, mein Lieber. Haben uns nicht erst jüngst die Hirnforscher erhellt, dass was wir als einheitliches Ich erleben, in Wahrheit eine Illusion ist. Um so weniger ist das Leben dann ein "kontinuierlicher, in sich kongruenter Erzählstrang", wie du so schön sagst. Die Parallelen zum Roman finde ich ziemlich treffend. Und jeder von uns erlebt gewiss immer wieder, dass er je nach Erzählstrang seines Lebens, in jeder Verästelung, eine andere Rolle zu spielen hat. Das hat wohl auch viel mit der Erwartungshaltung der Mitmenschen zu tun, die einem ein gewisses Verhalten als das Eigentliche zuschreiben, obwohl wir selbst es jeweils besser wissen und uns ja manchmal gar nicht in die zugeschriebene Rolle fügen möchten. Glücklich, wer frei in der Wahl seiner Rollen ist.
Das Internet bietet uns hier wesentlich mehr Freiheit als das fassbare Leben, und man kann sehen, dass viele diese Freiheit produktiv nutzen. Für mich ist es immer eine Gratwanderung. Manchmal ist mir, als würde ich in zwei Welten leben, die sich aber ständig miteinander verknüpfen. Dieser wundersamen Erweiterung des menschlichen Erfahrungsraums verdanke ich auch viele anregende freundschaftliche Kontakte, so auch zu dir. Dankeschön für die aufmerksame Begleitung auch als Mitautor des PentAgrionromans.
Ich bin also der Held meines Lebens, und wenn mich an mir etwas irritiert, gehe ich zum Psycho-Fachmann, der mir hilft, mein wahres Selbst (wieder) zu finden und mich zur Selbstverwirklichung führt. Oder ich nehme mir ein Beispiel an Romangestalten, die mit wenigen Federstrichen als Persönlichkeiten in Gänze umrissen werden. Im „besten Fall“ findet man so seinen Platz in der Gesellschaft, mit dem man dann zufrieden zu sein hat – man richtet sich ein darin, wie man (angeblich) tatsächlich ist, ein Heraustreten wird mehr oder weniger scharf sanktioniert (selten positiv, meist strafend). Das Leben soll laufen wie auf Gleisen – das Ziel ist zwar noch nicht zu sehen, aber die Spur ist vorgegeben.
Deshalb ist es so irritierend, wenn eine (Roman-)Gestalt plötzlich die Rollen wechselt, und zwar nicht als erwarteter Bruch im Lebensfaden, sondern als komplett andere Personen, zwischen denen sie wechselt, wie sie lustig ist. Ja, woran soll man sich denn jetzt halten? Die Kongruenz ist durchbrochen, kein roter Faden mehr – das sind wir nicht gewohnt. Real ist hübsch geordnet – ungeordnet ist surreal. Autor, Ich-Erzähler und andere Personen in einem Text sollen gefälligst wie im richtigen Leben voneinander getrennt sein … wie im richtigen Leben? Wenn man genau hinsieht, wird man feststellen, daß viele Leute gar nicht so gradlinig jeweils eine Persönlichkeit sind wie Romangestalten: Je nach Situation – das kenne ich jedenfalls von mir selbst – spielt man die unterschiedlichsten Rollen – und läuft Gefahr, als unauthentisch oder als Schauspieler oder gar Hochstapler bezeichnet zu werden: Man soll eine nachvollziehbare, bestimmbare Romangestalt sein, dann ist man glaubhaft. Wenn das Leben ein Rollenspiel ist, dann ist eine Rolle erlaubt, verschiedene Rollen nur in verschiedenen Situationen, die sich nicht vermischen dürfen, sonst wirkt man irritierend und tendenziell unglaubhaft. Schade eigentlich, aber im Sinne einer gutgeölten Volkswirtschaft natürlich effizienter.
Blogs erlauben das sanktionslose Spielen verschiedener Rollen, aber in der Regel nur, wenn man mehrere Blogs hat. Innerhalb eines Blogs erwartet man vom Verfasser eine Rolle, wenn mehrere gespielt werden, erwartet man, daß das erkennbar ist und die Rollen durchgehalten werden. Ich war schon mal leicht irritiert, als ich direkt Frau Nettesheim ansprach, aber JvdL antwortete. Aber das ist natürlich nur eine Frage der Gewöhnung.
PS: Ist mir was entgangen? Schnapszahl? 44, 55, 66? Auf jeden Fall auch von mir: Herzlichen Glückwunsch. :-)
Ach,
Das Agieren in einem Blog ist und bleibt ein Spiel für mich, und im TT wird meisterlich mit dem Medium agiert. Punkt.
Dir weiterhin eine gute Reise, und natürlich an dieser Stelle dem Herrn TT weiterhin einen guten Wirkungsgrad, viel Spaß an der Freud, und uns allen einen schönen Sommer.
:-)
Liebe Grüße,
Videbitis
Hallo Videbitis
Das Internet bietet uns hier wesentlich mehr Freiheit als das fassbare Leben, und man kann sehen, dass viele diese Freiheit produktiv nutzen. Für mich ist es immer eine Gratwanderung. Manchmal ist mir, als würde ich in zwei Welten leben, die sich aber ständig miteinander verknüpfen. Dieser wundersamen Erweiterung des menschlichen Erfahrungsraums verdanke ich auch viele anregende freundschaftliche Kontakte, so auch zu dir. Dankeschön für die aufmerksame Begleitung auch als Mitautor des PentAgrionromans.
Herzlichst
Jules