Schönes Scheitern - empfohlen von Gastautor Duroy

Als ich wartend vor einem Friseurladen saß, da fuhr vor meinen Füßen ein Radfahrer vorbei, ein Mann Mitte 30 ohne besondere Merkmale. In der Rechten hielt er am Lenker einen rosafarbenen Luftballon, der kunstvoll zu einer rosafarbenen Giraffe zusammengeschlungen war. Und just auf meiner Höhe sagte der Mann zu ihr: " Bist du damit mal wieder nicht einverstanden?" Die Giraffe an seinem Lenker wippte "Nein" und "Ja", was in der Sprache von rosafrabenen Luftballon-Giraffen eins wie das andere meint. Und ich dachte noch, übt der vielleicht Bauchreden?

Mit dieser Deutung des Geschehens vor dem Friseurladen bin ich natürlich schön gescheitert. Vermutlich hat der junge Mann gar nicht mit seiner rosafarbenen Luftballon-Giraffe diskutiert, war gar kein jung aufstrebender Bauchredner, sondern hat telefoniert mit einem widerspenstigen Geist. Noch schöneres Scheitern empfiehlt Ihnen Teppichhaus-Gastautor Paul Duroy. Nachdem ich seinen Text unter der Stehlampe in seinem Blog gelesen hatte, war ich sehr erleichtert.


Schöner Scheitern

oder: über die nicht geringe Kunst der aesthetischen Resignation
von PAUL DUROY


''Wenn du kurz davor bist: kurz vor dem Fall;
und wenn du denkst: ''fuck it all'',
wenn du dir sicher bist, niemand kann dich mehr verstehen:
Kapitulation, ohoho, Kapitulation, ohoho, Kapitulation ohoho ohoho...''

(Tocotronic, Kapitulation)

Als ich vor ca. drei Jahren meine Arbeit an meinem Essay zur Frage der modernen Aesthetik, ''Bruchstueck'', beendete, kam im Sommer 2007 das wundervolle Tocotronic-Album ''Kapitulation'' heraus. Das Euphorisierende daran war, dass ich fuer mich, noch gaenzlich nichts vom Erscheinen einer SOLCHEN Platte ahnend, einen Ansatz gefunden hatte, zum modernen Leben im Kapitalismus zu stehen, den diese Band dann (davon natuerlich voellig unabhaengig) ebenso bestritt.

Worum geht es in dieser neuen Aesthetik, in dieser Form, das Leben schoen zu leben, sofern das im totalen Konsumzeitalter noch moeglich ist? Schauen wir uns noch einmal das Eingangszitat an: hier klingt eine gewisse Larmoyanz an, die allerdings sofort zerstaeubt, wenn man sich das Lied anhoert: das Ganze wird selbstbewusst in sueßen hymnischen Klaengen vorgetragen, stolz, ein kleines Programm der Unabhaengigkeit. Hier wird ein negativ konnotierter Begriff (Kapitulation) einfach mit positivem Vorzeichen versehen, einvernahmt und sympathisch gemacht. Hier braucht es nicht die Radikalitaet eines: ''Macht kaputt, was euch kaputt macht.'', sondern einfacher: kapituliere. Lauf nicht mit im Hamsterrad, dreh deine eigene Muehle, mach was Schoenes aus deinem Scheitern. Die ganze Platte atmet diesen Geist, kauft, kopiert oder klaut sie euch...es lohnt sich wirklich!

Der Eingangs-Track ist uebrigens ''Mein Ruin'', ein Titel, der Jammer und Suhlen im eigenen Leid anklingen laesst, aber dann doch so so viel anders ist, als man vermutet. Hier geht es darum, den eigenen Ruin zu aesthetisieren und das darf dann gern stolz klingen, wie ein Fanfarensatz in einer Bewerbung:

Mein Ruin ist mein Bereich, denn ich bin nicht einer von euch,
mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich zerstaeubt.

Mein Ruin das ist mein ZIEL, die Lieblingsrolle, die ich spiel,
mein Ruin ist mein Triumph, Empfindlichkeit und Unvernunft,
eine Befreiung, eine Pracht, sanfter als die tiefste Nacht,
die ab jetzt fuer immer bleibt und ihre eigenen Lieder schreibt.

Mein Ruin ist mein Bereich, denn ich bin einer unter euch
mein Ruin ist, was mir bleibt, wenn alles andere sich betaeubt.


Und wenn es dann nur Illusion war, zerschellt der Lebens-Kuenstler wenigstens an seinen eigenen Traeumen statt an der Leistungsgesellschaft:

wie eine Welle, die mich traegt und mich dann unter sich begraebt.

Wenden wir nun unseren Blick meinem ''Bruchstueck'' zu. Ich schrieb dieses Konvolut damals vorwiegend auf Reisen in der Bahn, in Mitfahrgelegenheiten und beim Trampen nach Dortmund, Berlin und nach Frankreich, warum auch immer. Es ist aus dem Geist des Unterwegsseins und des Wandels geboren, ein getriebenes Werk, ein fieberhaftes Werk, ein transitives Werk, eine Aesthetik der Resignation. Damals hatte ich Auszeiten genommen von meiner Arbeitsmuehle, in der ich zum Teil 12 Stunden am Tag arbeitete, leer war, ausgebrannt, perspektivlos, gefangen in der Plackerei noch des Nachts. Ich nahm mir immer mehr Auszeiten, Resturlaub, Krankentage und ''Sabbaticals''. Ich war drin im System, aber kam nicht raus und brauchte einen Bruch...zunehmend bekam ich das gefuehl, auf meinen erratischen (und nur selten sinnvollen) Reisen mich selbst zu suchen, jemand, den ich verloren hatte, jemand den es zu finden galt. Das Ding faengt so an:

''Ich koennte es beschreiben als Projekt meiner Erweiterung, eine gelassene Expansion meiner selbst. Dieses Projekt ist der Versuch des ungezielten Ueberschreitens meiner sonst so kleinen Moeglichkeiten. Der Sprung aus sich selbst heraus ins Endlose...''

Etwas weiter der kryptische Satz:
''der Künstler steht zwischen den Tagen wie ein Scharnier.''

Wo andere daran denken, Zeit zu verlieren, wenn sie nicht arbeiten, kam ich zu dem Ergebnis: ''Es wird tausende Augenblicke kosten, den EINEN Augenblick der Fuelle zu beschreiben oder ihn ueberhaupt erst durch die Beschreibung zu fuellen, aber gerade DAS wird die Kunst sein!''

Auch und gerade am Kuenstlerweg kann man wie in der ''freien Wirtschaft'' scheitern, aber man scheitert wahrhaftig und gerade dieses Scheitern ist schoen...und es erfolgt unter Tanz und Triumph, Gesang und Heiterkeit statt Jammern und Wehklagen, dass man es nicht zum Großverdiener gebracht hat. Das ist wahre Resignation, selbstauferlegtes, autonomes Scheitern, ein rauschendes Fest der Moeglichkeiten, eine wahnwitzige Verschwendung seiner selbst, der Raub von immenser Arbeitszeit aus der Leistungsgesellschaft, die in die Kunst und das erfuellte Leben wandert. Deshalb ''Bruchstueck''...glatte Flaechen schneiden erst, wenn sie gebrochen oder verkratzt werden. Dann tun sie weh.

Und der Kuenstler muss gebrochen sein, wie eine geborstene Flasche in Scherben stehen/liegen, an der er sich selbst, an der andere sich schneiden...aber wehtun muss es. Und wenn es wehtut, wird aber nicht geweint, sondern gelacht ueber die Erkenntnis, dass wir noch fuehlen koennen, dass uns der Konsum und all das globale klebrige Infotainment noch nicht gaenzlich paralysiert haben, dass da mehr ist, das es nur zu entgrenzen gilt durch einen jeden von uns, ein großes Scheitern in einem jeden von uns, das nur darauf wartet, zelebriert und betanzt zu werden, das nur darauf wartet, uns zu umarmen und suess zu kuessen...

Das wird die wahre Revolution sein: dass wir nach unserem eigenen Scheitern suchen...sic transit gloria mundi. Und wir werkeln und flicken weiter an alledem, fangen dies an, hoeren jenes mittendrin auf, sind herrlich inkonsequent, widerspruechlich und scheitern unter lautem Lachen an unseren eigenen, nicht fremden!, Zielen...und die frohe Kunde noch dazu: es bedarf nicht mehr der großen Wuerfe und der großen Werke, die zeitlos vor uns stehen: es reichen schon kleine Erfolge auf dem Weg des Scheiterns und der lebensbejahenden Resignation in Ratlosigkeit und wie heißt es ebenfalls so schoen in dem Song der neuen Tocotronic-Platte ''Schall und Wahn'':

Was wir niemals zu Ende bringen...kann kein Moloch je verschlingen.
(Tocotronic, Keine Meisterwerke mehr)

Der Moloch des modernen totalitaeren Global-Kapitalismus wird sich seine grausig-gierigen Zaehne an uns ausbeißen, wenn wir endlich damit anfangen, die Dinge nicht mehr produktiv zu Ende zu bringen. Der schoene Rest, die Zeit, die bei alledem fuer uns abfaellt, die Verwunderung ueber unsere neuen Moeglichkeiten und die Erleichterung darueber, wie schoen wir scheitern koennen, wenn wir denn nur wirklich wollen, das ist wahrhaftige Groeße...

und jetzt geht raus und lebt und stuermt, tanzt, bewegt, schneidet, brecht und jubelt, lobsingt und faulenzt...wir sind auf einem guten Weg...

Paul Duroy - das gleiche unter seiner Stehlampe

Weitere Gastautoren
2835 mal gelesen
schreiben wie atmen - 1. Aug, 13:07

Ja, Herr Trithemius,

da habe ich zu danken für diesen schönen Text. Ich stehe an einer Stelle / ich trete auf einer Stelle / eine Stelle hat mich erreicht oder betreten, von der ich nicht wegzukommen glaubte - bis gerade eben. Als "Nur"schreiberin bin/war ich gerade im Begriff, mich vom Moloch fressen zu lassen und darüber todunglücklich zu werden. Da ist mir dieser Text doch schon sehr bedenkens- und bedankenswert. Warum nicht das gekonnte Scheitern zum Selbstzweck aufwachsen lassen? Ist nicht die Hauptqualität des alten (und vermutlich auch des jungen) Clowns das wiederholte Stolpern? die Resistenz gegen alles "vernünftige" Lernen und Handeln?
Gerade vorhin, bei der Lektüre des Textes, habe ich so tief aufgeatmet, dass mir von dem vielen Sauerstoff noch jetzt ganz schwindelig ist. Stürmchen zwischen den Hirnzellen, wie schön.
Auf bald mal wieder Herr Trithemius, auch Ihre Texte will und muss ich näher besehen, da scheinen mir erfreuliche Funde möglich.

Trithemius - 1. Aug, 13:57

Auch für mich hat Paul Duroys Text etwas Befreiendes. Hab's immer schon so gefühlt, aber Duroy hat's auf griffige Formeln gebracht. Freut mich, dass Ihnen sein Manifest des schönen Scheiterns etwa gegeben hat, ziemlich viel sogar, wie mir scheint, eine wahre Kopfbrause.

Vielen Dank für das freundliche Lob und beehren Sie mich bald wieder,
Trithemius
Eugene Faust - 2. Aug, 17:50

Das hat Frau SWA gut auf den Punkt gebracht:

Der ganz bemerkenswerte Artikel macht richtig Luft im Kopf! Chapeau, Herr Duroy. Und Danke für die Bekanntschaft damit, Herr Trithemius. Diese Reihe ist eine wirklich gute Einrichtung, cruist man doch meist nur im kleineren Kreis rum.
Trithemius - 2. Aug, 21:09

Es ist ja Ferienzeit, und daher ist das Internet gerade eine schweigsame Sphinx. Nur ab und zu schickt sie einen Abgesandten vorbei. So war ich ganz unglücklich, als just dieser wunderbare Text hier zunächst kommentarlos blieb. Es freut mich für Duroy, Ihre Kommentare zu lesen. Vielen Dank.
Eugene Faust - 2. Aug, 22:01

Ich habe bei facebook (Real-Account) direkt darauf verlinkt, und der erste Künstler hat schon 'I like' geklickt. :)
Trithemius - 2. Aug, 22:16

I also like it. :)
bill (Gast) - 5. Aug, 21:48

Ein loses Ende weniger

Einen schönen Abend hast du dir versprochen und jetzt stehst du da und tanzt allein. Wir längst gebrochen und frisch gewaschen, du stehst noch immer und tanzt. Denkst du liebst, was es nicht gibt. Schaffst du es dir einzubilden du liebst es nicht? Oder tanzt du weiter und baust auf die Welt im blauen Rausch. Ein Mangel an Gesundheit lässt dich nicht führen und doch tanzt du leidenschaftlich mit. Hitzig heiß im Takt, vom Rhythmus gepackt, tak tak. Im Takt, im Trommelschritt. Lauter, spricht die Musik. Sie heizt dir ein, die Tanzfabrik, bist Teil der Tanzmaschinerie. Massen stampfen im Gleichschritt mit, Füße beben den Boden. Es boxen die Tanzmaschinen, geben an den Ton. Tanzen im Maschinentakt. Im Tanzschritt, alles geht dir gleich. Der Rhythmus spielt, du lässt ihn spielen. Die Maschine erbricht. Du brichst ab. Alles still. Die Musik spielt. Der nächste Akt.

Trithemius - 6. Aug, 09:53

Lieber Bill, ich verstehe den Zusammenhang nicht zwischen deinem Bild und dem Text hier. Kannst du mir mal auf die Sprünge helfen?
bill (Gast) - 7. Aug, 17:01

Macht nichts, mein Freund. Vielleicht liegt es gar nicht an dir.
So und so, ist sowieso alles gleich-gültig.

http://www.youtube.com/watch?v=Uz2Gp7a38DM&feature=related


Allerliebste Grüße,
bb bill !

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