Schräg zu Lamellen - Teppichhaus-Gastautoren (2)

Vor einigen Jahren fuhr ich mit einem neuen, jungen Kollegen in den tiefen Osten, wo wir ein medienkundliches Seminar abhalten sollten. Er war mir sogleich sympathisch, was nicht nur daran lag, dass er in den Raststätten meine noch glimmenden Kippen ausdrückte, was ich in diesem Leben wohl nicht mehr lerne. Auch wusste er jederzeit, wo ich meine Lesebrille hingetan hatte, anders als ich. Später schrieben wir einen Krimi zusammen, der aber noch immer in meiner Schublade liegt, weil der Verlag verlangt hat, wir sollten einen Teil der Handlung in die Eifel verlegen. Und das hieße, ein ganzes Dorf umzusiedeln.

An Mikes "Hellenthal" gefällt mir besonders, dass er eine alltägliche, scheinbar banale Sache in den Blick nimmt, nämlich das Reinigen oder besser eine Reinigung. (Aus mir unerfindlichen Gründen bat er mich, meinen Namen mit unter den Text zu setzen. Aber ich habe nur ein bisschen dran rumgekürzt.) Viel Vergnügen beim Lesen, Trithemius


Hellenthal
von Mike Glimmerstein & Jules van der Ley

Wir reinigen Vertikallamellen direkt am Fenster, stand auf einem Plakat der Reinigung, aus der ich soeben meine Hemden geholt hatte. Man muss nicht alles verstehen, dachte ich. Vertikallamellen? Solche Vertikallamellen hängen also vermutlich längs und nicht schräg am Fenster herunter, nicht schräg wie die billigen blauen Lamellen, die ich im Schlafzimmer habe. Das sind demnach Horizontallamellen, was bei mir hängt. Die kann die Reinigung meines Vertrauens, der Kleinstbetrieb Hellenthal, also nicht reinigen, zumindest nicht direkt am Fenster. Wobei: Ich könnte den Hellenthal ja auch einmal fragen. Wenn er sozusagen schräg zum Objekt arbeiten würde, sich also schräg auf meine Leiter stellen würde...

Stünde Hellenthal schräg zu meinen Horizontallamellen, würde er diese vertikal reinigen. Das sollte funktionieren. Aber ich frage den Hellenthal einfach einmal, was er überhaupt macht, wenn ein Kunde zu ihm kommt und sagt: Meine Lamellen sind verdreckt, und es ist aber so, mein lieber Hellenthal: Meine Lamellen hängen horizontal! Hellenthal lässt einen Horizontalbesitzer gewiss nicht hängen. Auf jeden Fall sind meine Hemden tipp-topp nach der Reinigung durch Hellenthal. Und Ingo Hellenthal ist ein ganz ein cooler Typ.

Vor einem halben Jahr war es so: Ich brachte ihm nicht meine verschmutzten Hemden. Ich brachte ihm Stuhlhussen, also Überzieher für die unschönen Stühle, die ich in meinem Wohnzimmer aufgestellt habe. Ich stand also mit den Überziehern in der Reinigung, direkt vor Hellenthal und wollte ihm dann allerhand zu meinen Stuhlhussen erklären und mich mit ihm beraten und so fort. Ich fragte: Wissen Sie, was das ist? Und Hellenthal guckte gar nicht zu mir hin, nur ganz nebenbei schielte er, der in seiner Reinigung entgegen jedem Gebot der Anständigkeit und Korrektheit stets eine brennende Zigarette im Mund hat, schielte mit seiner brennenden Zigarette im Mund zu mir und sagte gelassen: Stuhlhussen sind das!, die waschen wir, ist besser als reinigen. Waschen wir, werden die Hussen sauber, reinigen wir, wird das nichts. Da bleiben Ihre Hussen dreckig. Dass meine Wäsche sich heute nicht aus Hemden, sondern aus Hussen zusammensetzte, hatte Hellenthal also bereits erkannt, offensichtlich schon bevor ich sein Geschäft betreten hatte mit meinem Wäschekorb in den Armen. Bestimmt hatte der Hellenthal mich bereits beobachtet und sich gedacht: Jetzt bringt er mir keine verschmutzten Hemden, sondern seine Stuhlhussen! Die reinige ich nicht, die wasche ich. Also wusch der Hellenthal meine Stuhlhussen.

Damals hatte ich das Lamellenplakat Wir reinigen Vertikallamellen direkt am Fenster noch nicht bemerkt. Soeben, als ich die Hemden holte, sah ich das Plakat zum ersten Mal. Jetzt denke ich darüber nach, dass ich mir gar nicht vom Hellenthal den Unterschied zwischen waschen und reinigen habe erklären lassen. Der Hellenthal denkt wahrscheinlich auch: Dem sind seine Hussen ja ganz egal! Ist dem ja völlig eins, ob ich seine Hussen wasche oder was auch immer ich mach mit denen. Das ist auch die Wahrheit, Hauptsache sauber, dachte ich. Aber: Das muss ich den Hellenthal beim nächsten Mal, wenn ich ihm wieder Hemden bringe, unbedingt einmal fragen: Was heißt reinigen, was heißt waschen? Und ich muss ihn natürlich fragen, wie das wäre, bräuchten meine Lamellen, die eindeutig keine Vertikallamellen sind, einmal eine Reinigung. Ginge das? Wären meine Lamellen mehr oder weniger problemlos zu reinigen? Vielleicht sogar direkt am Fenster?

Aber es ist am Ende nicht so wichtig: Ich benutze meine Lamellen nicht mehr, auch nicht meine Vorhänge. Ich will immer alles verfügbare Licht in meine Wohnung lassen, also weg mit den Lamellen! Zudem: Wer zu mir hinein schauen möchte, soll das tun können. Ich verstecke nichts vor den Leuten. Das werde ich auch dem Hellenthal sagen, dem rauchenden Reiniger.

Abgelegt unter: Gastautoren
2943 mal gelesen
la-mamma - 4. Jun, 08:22

ihr gastautor

ließ mich gerade sehr schmunzeln. wenn sie ihm das in meinem namen bitte ausrichten möchten! (das möchten dürfen sie gegebenenfalls kürzen) .

Trithemius - 4. Jun, 09:53

Nun ist ja das Kürzen ...

meine Leidenschaft. Ich kürze alles, was mir unter die Augen kommt, vor allem meine eigenen Texten, weil ja der verehrte Leser, die noch verehrtere Leserin nicht unendlich viel Zeit hat und meistens sogar besseres zu tun, als meterlange Riemen zu lesen. Aber Ihren hübschen Kommentar werde ich selbstverständlich in ganzer Länge belassen. Ginge ja sowieso nicht anders ;)
walhalladada - 4. Jun, 12:32

Immer wieder erstaunlich, wie so ein an & für sich schräger Text doch die Horizontale erweitern kann!

Trithemius - 4. Jun, 12:39

Danke, werter Herr Doktor!

Ein in der Tat erstaunlicher Effekt, wo doch der Text nicht mal schräg zum Bildschirmfenster klemmt, sondern quasi vertikal hängt. ;)
Klar-a - 5. Jun, 13:56

Der neue junge Kollege hat offenbar einen Blick für's Detail ;-)

...allderdings fehlt ihm noch ein wenig Erfahrung. Meine sagt mir, dass Horizontal-Lammellen nicht aus Stoff sein können (würden sie nicht einfach durchhängen? Täten sie das nicht, wären es Plisses - die ich wärmsten empfehlen könnte) sondern aus einem abwischbaren Material, was wiederum nicht unbedingt in der Form gereinigt werden müßte wie es eine Wäscherei die überwiegend mit Stoff in jeglicher Fasson konfrontiert wird - eben sogar Hussen - normalerweise täte. Es wären diverse Gedankengänge diesbezüglich überflüssig. Wobei überflüssig vielleicht nicht ganz richtig wäre...hat doch jemand in diesem Blog geschrieben, dass das Schreiben eine Denkschule wäre ;-))). Nun denn...ham wer alle wat gelernt. klara

Trithemius - 6. Jun, 10:23

Mike Petry

@ klara
hat das vermutlich auch schon gewusst, aber zu Zwecken der Erheiterung des Lesers trefflich ignoriert. Weitere Erfahrungen hätte er aber sowieso nicht sammeln können, obwohl inzwischen einige Jahre ins Land gegangen sind, denn wie er im Schluss schreibt, will er ja gar keine Lamellen mehr vorm Fenster.

Mir war die funktional bedingte unterschiedliche Stofflichkeit von Horizontal- und Vertikallamellen allerdings noch nicht so recht klar. Und das, wo ich doch ein Teppichhaus besitze. Da habe ich jetzt dank Ihres Kommentars tatsächlich was dazugelernt. ;)
Trithemius - 6. Jun, 10:49

@ sleeptwitch

"anders als Bernhard" wird dem Text eher gerecht, denn wie hier der Autor seinen Icherzähler aufs Leben schauen lässt, das ist weit entfernt von Bernhards Sicht auf die Welt, leichter und heiterer, mit Ihren Worten: "musikalisch-literarisch".
Klar-a - 6. Jun, 21:21

Thomas Bernhard.....hm....TB.....Ist das nicht der, der geschossen hätte bei Georg Schramm ;-))). Ja, ich war wohl etwas albern..manchmal bin ich auch vorlaut. Keinesfalls lag es in meiner Absicht Ihre Horizontale Freundin trauig zu stimmen, obgleich ich selbst überzeugte Plissees-Trägerin bin. klara
Videbitis (Gast) - 24. Jun, 12:07

Manchmal

verhalten sich einzelne Wörter ja wie Ohrwürmer - Vertikallamellen von Hellenthal ... oh je! Ich befürchte, ich habe mir einen eingefangen. Zum Glück bleiben sie meistens längstens ein paar Tage. ;-)

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