Schreiben aus der Lamäng - Deutsch für Blogger (5)

Mancher mag es nicht glauben, aber ich habe mich vorgestern Abend angeregt mit einem Blogfreund über die Partikeln unterhalten, womit alle unflektierten deutschen Wörter gemeint sind. Viele davon sind mir ein Graus, weil sie mir unvermittelt in die Sprache geraten. Manchmal verlinke ich zu einem alten Text von mir, denn ich habe im Laufe der letzten fünfeinhalb Jahre Bloggen über sehr viele verschiedene Themen geschrieben. Wenn ich aber einen solchen alten Text aufrufe, dann redigiere ich ihn, bevor ich ihn verlinke. In der Hauptsache werfe ich unnötige Partikel hinaus, meistens „auch“ und „ja“.

Früher habe ich immer so einfach wie möglich geschrieben und den Leser oft mit „du“ angesprochen. Dann nähert sich ein Blogtext der gesprochenen Sprache an, und der Leser fühlt sich stark einbezogen. Zum Mündlichen gehört eben auch das bestätigende und gleichsam vereinnahmende „ja“. Und „auch“ darf dann auch erscheinen, oft aus Gründen der Satzmelodie, denn ein Text, der nahe dem Mündlichen ist, braucht Melodie, der muss klingen. Beim leisen Lesen arbeite die Stimmritze immer mit, hat wer herausgefunden. Ich habe seinen Namen irgendwo notiert, bin jetzt aber zu faul, ihn herauszusuchen. Zum Blogtext nahe beim Mündlichen gehört ebenfalls, dass man vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt. Das habe ich immer gern zugelassen, Wege zu gehen, die sich erst beim Schreiben ergeben. Wenn ich mal vom Thema abgekommen bin, schreibe ich weiter, bis ich wieder in der richtigen Spur bin und den Text rund machen kann. Es schult die Kreativität, wenn man versucht, einen Bogen zu schlagen.

Etwa ab dem zweiten Absatz hier hatte ich mich frei gemacht von meiner Partikelphobie und habe mal wieder einfach drauflos geschrieben, was ich mir in letzter Zeit kaum gestatte. Denn bei dem anregenden Gespräch über Partikel kamen wir auch auf stilistische Fragen, welche Funktion sie nämlich in der Sprache haben. Sie verlangsamen den Text ein wenig und lassen den Leser gut mitkommen. Deshalb kamen wir überein, dass man nicht zu puristisch sein darf. Schreiben muss auch ein Gutteil aus dem Bauch kommen. Denn wie gesagt, die Stimmritze schwingt beim Lesen mit, folglich tut sie es auch beim Schreiben. Wer also aus dem Bauch schreibt und dessen Rede einfach und klar ist, der braucht sich gar nicht um Stilfragen zu kümmern. Der gute Sprachstil stellt sich von selber ein.

Normalerweise gehört zum Mündlichen ein Gegenüber. Das stelle ich mir immer vor, wenn ich einen Text für das Teppichhaus schreibe. Du willst dich doch einbezogen fühlen, oder nicht? Und das ist das Besondere an Blogtexten. Nur sie haben diese Nähe zum Gegenüber, also zu dir.

Mehr: Deutsch für Blogger
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Eugene Faust - 11. Mär, 16:23

Oh wie schön,

dann brauche ich mich meines Partikelreichtums nun ja auch nicht mehr zu schämen. ;)

(Der Link funtioniert leider noch nicht.)

Trithemius - 11. Mär, 16:35

Ich musste mir das auch sagen, liebe Frau Faust. Manchmal muss ich meinen Nachbarn die Hortensien wegrauchen, damit ich mal wieder befreit drauflosschreiben kann.

Danke für den Tipp, ist repariert.
Eugene Faust - 11. Mär, 17:21

Bei mir könnten Sie demnächst 3 Pflanzen ernten, ohne Hausfriedensbruch zu begehen.
Trithemius - 11. Mär, 17:22

Bitte sagen Sie mir rechtzeitig bescheid. Ich komme vorbei.
pathologe - 11. Mär, 16:28

Viele

Politiker beherrschen es ja vorzüglich, sich zu partikulieren anstatt zu artikulieren.

Trithemius - 11. Mär, 16:31

Sie sind, werter Herr Professor, ein Meister des Wortspiels; das denke ich nicht zum ersten Mal, aber hier besonders.
Shhhhh - 12. Mär, 12:06

Das macht Lust auf mehr. Sobald ich wieder zu Hause bin, muss ich mich noch einmal eingehend mit den Partikeln befassen. Meine Einstellung gegenüber Partikeln war schon immer entspannt aber es ist für mich ein absolutes Faszinosum, wie der Mensch - ob nun mündlich oder in schriftlicher Form - meist ohne darüber nachzudenken, mit diesen "Worthülsen" umgeht. Auch Kommas setze ich intuitiv, weiß aber so gut wie immer, warum dort eins hin muss und dort nicht. Die Intuition wird bei Partikeln auf die Spitze getrieben und trotzdem stehen gerade die Partikeln noch häufiger richtig als die kleinen Widerhaken.

Trithemius - 12. Mär, 17:44

Ich bin gespannt. Gemeinhin geht mir die Entspannung flöten, wenn ich mich zu genau mit irgendwelchen sprachlichen Regeln beschäftige. Es schadet nichts, denn man verinnerlicht sie ja, aber die Zeit bis dahin, ist mir immer eine Schreibbremse. Das intuitive Kommasetzen ist auch so ein Fall des Verinnerlichens. Irgendwo muss das Gefühl dafür ja herkommen, denn es sind ja rein grammatische Regeln, und die kennt man nur, wenn man sie gelernt hat. Im Mündlichen kommen Kommas ja nicht vor. Natürlich kann jemand, der sehr viel liest, auch ein Gefühl dafür bekommen, wo die Virgula hin müssen.
romeomikezulu - 12. Mär, 13:39

Das empfinde ich auch so, gerade das mit dem
"beim Schreiben vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen" einerseits und
das mit "Der gute Sprachstil stellt sich von selber ein. " auch.

Letzteres halte ich sogar für unmöglich zu Erlernen - das ist für mich wie
zu Schulzeiten mit den Kommaregelen:
Man kann sie schon durchaus auswendig lernen. Alle.
Aber Jemand mit Gefühl für den Rhythmus des Gesprochenen,
den Fluss des Geschriebenen wird Kommata immer treffsicherer setzen
als Derjenige, der sich das Ganze als rationalen Lernprozess hat
aneignen müssen. (Man findet über die Tour auch recht gut heraus,
bei wem daheim Bücher Bestandteil der Hauseinrichtung waren.)

Was mir aber öfters auffällt, ist, dass Bloggen auch ein Stück weit
diszipliniert:
Man versucht schon, schneller auf den Punkt zu komen, den Plot
interessant zu halten. Man streicht Ausschmückungen, Nebenstränge.
Mein Eindruck ist, das Bloggen fokussiert.
Auch den Autor.

Trithemius - 12. Mär, 17:52

Ich kann da nicht mitreden, denn ich habe noch kürzlich Ludwig Reiners Stilfibel durchgearbeitet. Ich hatte sie schon mal als 12-jähriger versucht, und nachdem ich das Buch im vorletzten Sommer auf dem Flohmarkt wiedergefunden hatte, war ich doch erstaunt, wieviel ich von Reiners stilistischen Ratschlägen verinnerlicht hatte. Der Effekt war aber, ich konnte wochenlang nicht schreiben, wie hier und hier beschrieben.
Ich musste den Inhalt des Buches zuerst wieder vergessen, bevor ich wieder unbefangen schrieben konnte.

Was Ihre Bemerkungen über das Bloggen betrifft, stimme ich Ihnen zu. Wer viel schreibt, dessen schriftsprachliche Fähigkeiten erweitern sich. Es ist eine gute Form der Selbstschulung. Und natürlich ist auch die Suche nach Themen ein produktiver Akt, der genau dieses Fokussieren mit sich bringt. Man schaut genauer auf die Welt, wenn man darüber schreiben will,
Videbitis (Gast) - 14. Mär, 18:07

Mit dem so gebrauchten "Du" habe ich Schwierigkeiten, ich fühle mich nicht einbezogen, sondern im Gegenteil, befremdet, da in einem öffentlichen Text ja immer mehrere Leser angesprochen werden. Wenn dann "Du" statt "Ihr" da steht, entwickelt sich in mir sofort das Gefühl, daß da jemand Bestimmtes gemeint ist, aber nicht ich, dafür fehlt der Anlaß. Es entsteht eher ein ganz leichtes Unbehagen, als würde ich einem Gespräch lauschen, das nicht für mich bestimmt ist.
Aber das soll gar keine Beschwerde sein, ich weiß ja, was Du meinst, mein "Einspruch" ist kaum der Rede wert, ich wollte nur zeigen, wie unterschiedlich man das empfinden kann.

Auf der Realschule hatte ich eine Lehrerin, die immer "Du" sagte, obwohl sie zur ganzen Klasse sprach, sie hielt das für pädagogisch wertvoll, glaube ich. Ich fand es immer aufgesetzt, denn wenn man Quatsch machte und den Unterricht störte, keifte sie wütend: "Gleich setzt es was, wenn ihr nicht sofort aufhört!" Da war das "Ihr", wie ich es für angemessen hielt. Sieh an, dachte ich, keifend ist sie ganz sie selbst.

Trithemius - 14. Mär, 18:24

Die unterschiedliche Rezeption der direkten Anrede des Lesers hängt auch mit der Verfassung des Autors zusammen. Mir kam der Satz beim Schreiben schon aufgesetzt vor. Er sollte als Beispiel dienen, aber ich spürte die Nähe zum Leser nicht. Als ich die Leser beinah ständig so angesprochen habe, war ich noch ein anderer und hatte auch andere Stammkunden. Im Moment kann ich gar nicht ordentlich schreiben. Es ist wieder mal wie einen steinigen Acker zu pflügen, und vorneweg zwei Ochsen im Joch, die sowieso nicht wollen wie ich will. Aber weißt du, lieber Videbitis, es geht vermutlich vielen derzeit so angesichts der Ereignis in der Welt. Es fällt schwer, sie zu verdängen. Wenn ich mich derzeit kleinen Dingen widmen will, ist da immer das schlechte Gewissen, es müsse auch was zu den Entwicklungen unserer Welt gesagt werden.
Videbitis (Gast) - 14. Mär, 23:09

So ist es, es vergeht einem die Lust. Da geht eine Welt unter, und ich blogge schöne Bildchen und launige Zwischentexte? Erscheint irgendwie unangemessen ...

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