Abendbummel online

Abendbummel - Der Bauch im Frühling

Es war schön heute im ergrünenden hannöverschen Stadtwald, der Eilenriede, und es wird wieder eifrig Sport gemacht. Noch überwiegen die Hageren, die Durchtrainierten, solche, die schon im Leibchen gelaufen sind, derweil es im Schatten noch kalt war. Sie haben den langen Winter über streng asketisch gelebt, sind nicht dagesessen, wenn sie haben stehen können, sind nicht gestanden, wenn Platz zum Gehen war, sind nicht gegangen, wenn es eine Möglichkeit gab zu laufen. Treppen zum Beispiel. Den Fahrstuhl haben sie selbstverständlich nie benutzt. Vielleicht haben sie auch ein Laufband im Hobbykeller. Solche Körperfetischisten sind derzeit im Wald schon unterwegs. Von Dickbäuchigen ist noch wenig zu sehen, was nur scheinbar ein Widerspruch ist.

Dickbäuchige kommen offenbar langsam aus dem Pudding. Den Vorsatz abzunehmen haben sie aber schon längst gefasst, weil die Hosenbünde zu eng geworden sind. Aber das Bauchgefühl sagt ihnen, dass die Zeit noch nicht reif ist. So ein Bauch ist mächtig, und je fülliger er ist, desto größer ist seine Macht. Will einer laufen, um den Bauch abzutrainieren, hält der Bauch ihn zurück. Er macht sich einfach schwer, so dass schon das Aufstehen mühsam wird. Und natürlich knurrt er beständig und ruft nach Atzung. Dem zu widerstehen, ist wirklich nicht einfach. Von außen hört sich das Bauchknurren eher unerfreulich an, weil Rumoren und Knurren eben keine schöne Melodie macht. Der inwendige Ruf des Bauches nach Essen scheint hingegen verlockender zu sein als der Gesang der Sirenen, vor dem sich schon Odysseus die Ohren verstopfen musste.

Ich sah einen Mann mit hellblauem Pullover kräftig ausschreiten und dachte, er hätte einen schlappenden Schuh. Doch als er näher kam, erkannte ich meinen Irrtum. Immer wenn er mit Links auftrat, klatschte der Mann mit der flachen Hand auf seinen Bauch. Plötzlich hörte er auf und pulte ausführlich im Ohr, holte etwas heraus und betrachtete es. Für einen Augenblick schien es, als würde er mit dem Krümel sprechen. Dann aber ließ er ihn achtlos auf den lichten Waldweg fallen. Ich weiß nicht, ob es sich beim Bauchklatschen und Ohrpulen um ein Ritual handelt, aber so etwas habe ich zuvor noch niemals gesehen. Wer freilich liebevoll seinen Bauch beklatscht, ist gegen übertriebene sportliche Kasteiung gefeit. Ein liebevoll geklatschter Bauch darf so füllig sein wie er will, nur dann ist er ein guter Resonanzkörper.

Teppichhaus Musiktipp: White Rabbits "Percussion Gun"
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Mensch im Mantel

Wann immer ich in den Garderobenspiegel sehe, was trage ich da? Einen Mantel. Kann mich inzwischen kaum noch erinnern, dass es einmal anders gewesen sein muss. Jedenfalls weiß ich mit Sicherheit, dass ich nicht mit einem Mantel um die Schultern geboren wurde, sondern sogar – pardon – ganz nackt war. Nicht, dass ich so auf die Straße spazieren wollte, aber wenn ich den Mantel mal weglassen dürfte, das wäre schon eine feine Sache, denn immerhin trage ich darunter noch einen dicken Pullover.

Was ist das eigentlich da draußen? Eine kleine Eiszeit? Die letzte soll vom Anfang des 15. bis ins 19. Jahrhundert hinein gedauert haben. In den nasskalten Sommern verfaulte das Korn auf den Halmen, und in der Folge gab’s Hungersnöte, Hexenverfolgung, diverse Seuchen, Überschwemmungen, den 30-jährigen Krieg, blutige Metzeleien zu Hauf, die französische Revolution, und das Kölner Stadtarchiv stürzte ein. Ach nein, das war ja erst letztens.

Jetzt soll bloß kein Meteorologe daherkommen und klugscheißen, Winterwetter im Frühling sei noch kein Hinweis auf eine neue Eiszeit, weil man Wetterbeobachtung langfristig ansetzen müsse. Wenn das so ist, kann er mir auch nicht das Gegenteil beweisen. Also kusch, sonst gibt es gehörig was vors Protoplasma. Die Kälte macht nämlich schlechte Laune. Den Mantel um die Schulter tragen, das bedeutet redensartlich, dass man waffenlos daherkommt, in bester Absicht. Aber was hätte ich schon für Waffen vorzuweisen gegen die andauernde Kälte. Vielleicht müssen wir zu radikalen Mitteln greifen, ein paar eiskalte Gierhälse in Vulkane stürzen, die falschen Propheten Hans-Werner Sinn und Hans-Olaf Henkel teeren und federn, Jörg Kachelmann der Inquisition übergeben oder den Wunsch einer Nervensäge namens Sonja Zietlow erfüllen und sie zum Mond schießen, ohne Rückfahrkarte natürlich.

Zietlow bietet sich an
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Schlechte Laune im Universum

Heute habe ich nichts geleistet. No, Sir. Wenn ich aber doch etwas Sinnvolles getan hätte, dann wäre es nichts gemessen an dem, was ich hätte bei besserem Wetter tun können. Dann hätte ich am Morgen in alle Himmelsrichtungen losgehen können, um mich irgendwo nützlich zu machen. Aber nein, ich bin nur in eine Richtung gegangen, nach Osten, glaube ich, und bald wieder zurück. Auf den Gehwegen war Eis, das in Schlamm überging, braun und hässlich schmatzend unter meinen Stiefeln. Das war überaus verdrießlich. Wie überhaupt die Stadt derzeit nur noch hässlich ist. Da wären meterhohe Schneewehen einfach besser, aber das darf man sich auch nicht wünschen, weil das öffentliche Leben dann ganz zum Erliegen käme.

Andererseits kann ich wünschen, bis ich schwarz werde. Denn wer noch einen Beweis gesucht hat, dass Wünschen nicht hilft, sogar kollektives Wünschen nicht, der hat ihn jetzt. Oder sollten etwa die Streusalz- und Granulathersteller beim Universum besser angesehen sein als alle anderen? Es könnte wohl sein, dass die Streusalz- und Granulathersteller die einzigen sind, die fest zusammen stehen und sich diesen abscheulichen Winter wünschen, was das Zeug hält. Die anderen, also du und dein Nachbar, sein Bruder und so fort, sich einfach nur abfinden mit dem Schnee und gar nichts wünschen, sondern nur murren und maulen oder sogar still erdulden. Das ist so abwegig nicht, wenn man sieht, was die Deutschen sich als Regierung gewählt haben. Vielleicht oder sogar offenbar sind alle von einer kollektiven Todessehnsucht befallen und kriegen deshalb genau das, was sie im Stillen wünschen: Frau Holles Leichentuch, Merkel und Westerwelle.

Natürlich, wir haben Karneval, Fastnacht, Fas(e)nacht, Fastelabend, Fasnacht, Fasching, um den Winter auszutreiben. Aber wenn ich in der kosmischen Registratur was zu sagen hätte, dann würde ich den Winter erst recht so richtig lang, kalt und widerlich machen - als Strafe. Was heißt hier austreiben? Die Menschen sollen gefälligst wünschen. Wünschen, wünschen, wünschen. Wünscht euch besseres Wetter, und dann kriegt ihr es, das würde ich sagen, wenn ich was zu sagen hätte. Aber nicht närrisch werden, das macht uns Wettergöttern schlechte Laune. Wagt es ja nicht, etwa Prinzen zu küren, die sich „die Ehre geben“, am Ende noch bei Kaufhof, um sich in Kamelle aufwiegen zu lassen. Das gibt mindestens fünf Wochen Strafrunde im Winter.

Was-soll-der-Elefant

Aber Ihr Götter, wir sind so entsetzlich wintermüde. Und Ihr wisst doch: Nach müde kommt albern. Wir meinen's nicht so.
"Ach ja? Und was soll der Elefant?"
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Abendbummel online - Probeliegen mit Pelzkragen

Grad gucke ich aus dem Fenster, die Oberschenkel wohlig am Heizkörper, da eilt unten einer durch die öde Kälte, trägt die Haare auf dem Kopf wie ein übermähter Rasen, aber hat einen Pelzkragen um den Hals, als hätte er einen Yeti geschlachtet. „Leck mich die Socken“, denke ich, „bei diesen Pelzkragen sieht so ein Kopf aus wie ein zu kleines Ei in einem zu großen Eierbecher.“

Das allein wäre schon ein Grund, sich das Ende der Kälteperiode herbeizuwünschen. Bevor ich mir einen Pelzreifen um den Hals lege, würde ich doch lieber bei Lilli Werth auf ihrer Matratze „Berlin“ probeliegen.

Probeliegen-auf-Berlin

Und selbst das ist nicht besonders verlockend, denn in Berlin soll es noch kälter sein als in Hannover. Und überhaupt, wenn ich eine richtige „Wohlfühlmatratze“ haben wollte, ein Idyll der Ruhe und des süßen Schlafes, ja, dann würde ich mir doch nicht das laute, aufgeregte Berlin aussuchen, Frau Werth.

Was Feines in die Fresse? Vielleicht Zähne von den Philippinen, schön groß und rund wie Apfelsinen?

Feines-in-die-Fresse
Wir in Hannover sind nämlich Spezialisten für dentale Lebensfreude.

Guten Abend
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Abendbummel online - Ferngelenkt im Supermarkt

EinkaufszettelIch hatte mir einen Einkaufszettel gemacht, den wollte ich im Supermarkt getreulich abarbeiten. Plötzlich befiel mich ein Heißhunger auf Sauerkraut, und obwohl ich mich wehrte, fand sich bald eine Dose Sauerkraut in meinen Einkaufswagen, die erste seit vielen Jahren.

Im 2. Weltkrieg nannten Engländer und Amerikaner die Deutschen verächtlich „Krauts“. Offenbar hatten die Alliierten viele Deutsche beim Sauerkrautstampfen, -einlegen und -essen erwischt. Folgerichtig versuchte sich der ehemalige GI Gus Backus im Jahr 1961 bei den Schwiegermüttern mit der Sauerkrautpolka einzuschmeicheln. Zu spät. Die Westdeutschen waren längst ab vom Sauerkraut der Notzeiten, erlebten gerade das Wirtschaftswunder und aßen plötzlich Sachen, deren Namen sie nicht aussprechen konnten.

Warum ich heute Sauerkraut essen wollte, weiß ich nicht. Vielleicht hatte mich eine bildhafte Vision angeflogen, eine Idee, die in der Luft liegt. Eben an der Kasse war ich noch der einzige Sauerkrautkäufer, doch andere werden mir folgen. Wir wissen ja, dass die Party bald vorbei ist. Da tut es gut, sich rechtzeitig auf das durchaus leckere Sauerkraut zu besinnen.

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Wärmende Kroaten und Drahteselsohren

Der Pförtner der Sparkasse steht geduldig in der Schwingtür und verabschiedet die Angestellten in den Feierabend. Er muss lange warten, denn Sie kommen sporadisch in kleinen Gruppen, und je höher der Rang, desto später. Diese Leute schieben sich einzeln am Pförtner vorbei, denn Macht macht bekanntlich einsam. Es ist kalt und regnerisch. Anders als die trotzigen Touristen im T-Shirt und in kurzen Hosen, haben sich die Herren aus der Sparkasse dem Wetter angepasst und tragen dicke Kroaten um den Hals. Ach nein, es sind bloß Krawatten. Falls Kroaten mitlesen: Krawatte stammt vom deutschen Wort Kroate ab. Den Grund weiß ich leider nicht zu sagen. Falls unsere Vorfahren tatsächlich je einen Kroaten um den Hals gehabt hätten, bitte ich nachträglich um Entschuldigung. Wir machen’s nicht mehr. Freilich habe ich gut Reden, denn ich sitze geschützt im Cafe und lese Zeitung.

KlauengewächsUff, man muss vorsichtig mit sprachlichen Bildern sein, die sich auf Menschen beziehen. Im Aachener Anzeigenblatt Super Mittwoch nennt K. Schlupp den Riesenbärenklau einen „besonders unangenehmen Migrant(en) aus dem Kaukasus“. Für diese verschmockte Spielerei mit Fremdenangst und -feindlichkeit müsste Schlupp sich eigentlich bei allen Migranten entschuldigen. Vermutlich wollte er aber nur originell schreiben wie sein Kollege „sp“ von der Aachener Zeitung. In der Montagsausgabe des Lokalteils berichtet er über das Projekt „FahrRad“ der Aachener Stadtverwaltung und hat sich ein ulkiges Synonym für „Radfahrer“ rausgequetscht: „Drahteselbegeisterte“.

Die Aachener
Lokalredaktionen sind vermutlich die letzten Reservate für die altväterlichen Wörter Stahlross, Drahtesel, Pedalritter und Pedaltreter. Und den Volontären bringt man die hohe Schule des Stahlross-Drahtesel-Pedalritter-Pedaltreter-Einsatzes bei, dass nämlich ein Pedalritter niemals auf einem Drahtesel zu sitzen hat und erst recht nicht ein Stahlross auf einem Pedaltreter und oder umgekehrt, dass ein Pedaltreter kein Ross treten darf, sondern nur Esel.

Auf dem Heimweg trete ich mein Fahrrad ordentlich, denn ich will das arme Tier nicht unnötig lang dem useligen Regen aussetzen. Doch dann muss ich es heftig bei der Kandare nehmen. Denn ich heiße zwar nicht Sarah, will die Fensterbotschaft aber trotzdem haben. Glück kann jeder gebrauchen, und vielleicht kann mir auch jemand die Geschichte hinter dieser Botschaft aufhellen, damit ich aus dem Grübeln rauskomme.

Schaufenster-für-Sarah
Guten Abend
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Herr Ober, der Kaffee hat Kork

frühlingsbotschaftKinder im Vorschulalter orientieren sich beim Zeichnen an der Grundlinie, und das ist der untere Papierrand. Doch da heute die Sonne so freundlich schien und für morgen ein Spaziergang durch den Wald geplant ist, hat das Kind die vertraute Grundlinie mit einem Bein verlassen und lässt sein Männlein fröhlich tanzen. Das Männlein hat allen Grund zu lachen, zumal sein grünes Wams von der Sonne beschienen wird.

Die Zeichnung ist ein hübscher Aufbruch in die große weite Welt. Sie lag Am Hof, einem beliebten Platz in der Aachener Altstadt, wo ich einen Milchkaffee trank, nachdem ich die beiden Zettel vom Kopfsteinpflaster aufgesammelt hatte. Derweil holten gutsituierte Mütter ihre Kinder vom anliegenden Kindergarten ab und zogen plaudernd an mir vorbei, und da war von Eis die Rede, das man beim Café Mohren zu kaufen gedenke und von derlei harmlosen Sachen.

Zwischendrin gab es auch eine erkennbar sorgenvolle Mutter. Das Kinder an ihrer Hand trug einen großen Schulranzen und war offenbar in der Nachmittagsbetreuung des Kindergartens gewesen. Beide waren ein wenig übergewichtig. Zwischen Mutter und Kind wurde nicht gesprochen, und man zog eilig davon, ohne dem Eisverkauf des Cafes einen Blick zu gönnen. Trotzdem sind sie mir nicht aus dem Kopf gegangen, weil sie in so krassem Gegensatz standen zu den gutgelaunten Müßiggängern an den besonnten Cafétischen und den anderen Mutter-Kind-Paaren.

Schon oft habe ich darüber nachgedacht, wieso man in Aachens Innenstadt eher selten solche Kontraste sieht. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass sich unsere Gesellschaft sortiert. Wo es schön ist, sind die Plätze gut besetzt von Menschen, denen die Gesellschaft Chancen bietet. Die Armen müssen sich bescheiden, und schon aus Schutz vor dem Gefühl der Erniedrigung, bleiben sie meist in ihrem Umfeld. Diese schädliche Sortierung unseres Gemeinwesens beginnt für ein Kind bereits vor dem Kindergarten. Arme Kinder lernen bald, dass sie wenig Grund haben, die Männlein auf ihrem Blatt Papier hüpfen zu lassen.

Guten Abend
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Prima Fernsehen mit Coster

Eigentlich sollte ich um drei Uhr im Cafe Mohren sein, wo ich mit Coster verabredet war. Um zehn vor drei verließ ich das Haus und wusste, ich würde mich verspäten. Für einen Moment keimte Unruhe in mir auf. Dann sagte ich mir, dass ich noch zehn Minuten vor dem Zuspätkommen hätte, und diese Lebenszeit wollte ich keinesfalls mit innerem Hader verbringen. Es könnte mich schließlich just ein Auto überfahren, derweil ich gerade denke: „Ich komme zu spät!“; das wäre ein schlechtes Omen fürs Jenseits. Da stelle ich mir lieber vor, ich wäre immerzu genau richtig in der Zeit. Also dachte ich andere Gedanken. Seltsam genug dachte ich etwas, wovon später auch Coster sprechen würde, allerdings radikaler und boshafter als ich es gewagt hätte. Beim Supermarkt, dessen Mitarbeiter zeitweilig in T-Shirts gezwängt waren, auf denen stand: „Wir werden Sie begeistern!“, dachte ich: „Mist, ich hab mal wieder ums Verrecken keine Lust zum Einkaufen, egal in welchem Supermarkt.“

CafehausromantikDr. Phil, Dr. Ing. Jeremias Coster, dubioser Professor für Pataphysik an der RWTH Aachen, hatte auf der ersten Etage des Cafes einen Tisch am Fenster gewählt. „Hier hat man einen Butzenscheibenblick auf die Welt“, sagte er später, „und das ist manchmal gut für’s Gemüt." Vor sich hatte der Gemütsmensch ein Glas Wasser, einen Aachener Printenlikör und Kaffee im Glas. Als die junge Kellnerin an unseren Tisch trat, staunte ich erneut, wie gut sich Coster auf’s Charmieren versteht. Sie hatte nicht einen Blick für mich, sondern sonnte sich in seiner Aufmerksamkeit. Coster hätte also bester Stimmung sein müssen, war es aber nicht. Cafehausromantik mit Printenlikör, Kaffee und Kellnerin, das alles hatte Coster gleich einem Bollwerk vor sich aufgebaut, um eine grimmige Stimmung abzuhalten, die ihn beständig anzufliegen schien.

An der Kellnerin könne er ablesen, wie die Stimmung des Personals sei, sagte Coster. Und da der Chef des Cafes hinterm Tresen stünde, wäre ihre Fröhlichkeit auch nicht antrainiert, sondern käme aus dem Herzen. Denn wäre ihr Chef ein Leuteschinder, könnte sie das auf den kurzen Wegen zwischen Tresen und Gast nicht vergessen. Anders wäre es in einem Lokal einer Kette. Dort könnte die Freundlichkeit des Personals auch das Ergebnis eines Mitarbeitertrainings sein. Wo weite Wege lägen zwischen Unternehmensleitung und Personal, wo also der direkte Kontakt zwischen Chef und Untergebenem nicht vorliege, dort wolle er sein Geld nicht mehr hintragen.

Coster nippte an seinem Printenlikör und sagte: „Das ist mein Mittagessen.“ Er habe nämlich nichts mehr im Haus und könne sich „ums Verrecken“ nicht überwinden einzukaufen. „Schon wenn ich in der Tür das Kassenpiepen höre, kriesch isch et ärme Dier, Trithemius. Und sehe ich das Personal …“ Er nippte noch einmal an seinem Mittagessen und fuhr fort: „Weil der Einzelhandel langsam verschwindet, wissen wir nicht, welchen moralisch verkommenen Halunken man das Geld für den Einkauf in den Rachen wirft. Am Ende werden davon irgendwelche Drecksäcke fürstlich entlohnt, die sich nicht zu schade sind, eine Kassiererin fertig zu machen, weil sie angeblich 25 Cent gestohlen hat. Doch eigentlich kann man diese Leute nicht einmal von Herzen verachten, denn letzten Endes sind sie nur die Produkte einer gesellschaftlichen Entwicklung."

„Sie meinen, der Mensch ist nicht für solche Großstrukturen gemacht?“

„Ganz genau!“, sagte
Coster. „Großstrukturen jeglicher Art übersteigen das menschliche Fassungsvermögen. Der Mensch orientiert sich stets an seiner unmittelbaren Umgebung. Und wer fern ist von den ihm anvertrauen Mitarbeitern, ist zu jeder Schandtat bereit, wenn sie nur die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung zufrieden stellt, also den gesellschaftlichen Status befördert. Der richtet sich nämlich nicht nach überindividuellen moralischen Maßstäben. Wer das glaubt, ist erfrischend naiv. Ich bin sicher, die Herrschaften auf den Chefetagen verfügen über beste Manieren, wenn sie sich unter ihresgleichen befinden. Doch gegenüber den Menschen weit unter ihnen zeigen sie diese Manieren nicht. Sie sehen die Leute nicht und das macht sie zu dummen Affen. Vorsorglich entschuldige ich mich bei den Affen.“

Coster drängte zum Aufbruch, lud mich ein und schäkerte beim Bezahlen ausgiebig mit der Kellnerin. Sie sonnte sich erneut und sah nur ihn. Wer zahlt, bestimmt die Blickrichtung, dachte ich, was natürlich nicht stimmte, denn sie war nicht dem Geld, sondern Costers Liebenswürdigkeit erlegen. Im Rausgehen packte er meinen Arm. „Es hilft nur eins, Trithemius“, sagte er gut gelaunt: „Strenge Gesetze! Je größer gesellschaftliche oder wirtschaftliche Strukturen, desto strenger müssen sie gesetzlich überwacht werden. Also, wenn Überwachungskameras, dann auf den Chefetagen. Das wäre prima Fernsehen!“

Guten Abend
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Ein neues Wort und seine schrecklichen Konsequenzen

Positive-Lebenshaltung

Von der
Schaufenstertafel einer Apotheke lächelt mich ein Mann an und sagt: „Ich bin Nasenduscher.“ Also richtig gesagt hat er’s nicht. Irgendein Grafik-Designer hat diesen Text ins Bild montiert. Demnach handelt es sich um eine unbewiesene Behauptung, denn es besteht durchaus die Möglichkeit, dass das männliche Fotomodell in Wahrheit noch nie eine Nasendusche genommen hat, sondern sich allmorgendlich ganz konventionell unter die Brause stellt. Frischgewaschen sieht er jedenfalls aus.

Wie mag es sein, wenn man sich öffentlich als Nasenduscher bezeichnen lässt? Was sagt der Freudenskreis zu diesem Bekenntnis? Am Ende wird der Mann noch gänzlich auf seine Pseudoexistenz als Nasenduscher reduziert, oder anders gesagt: Die Freunde lachen sich schlapp. „Da kommt der Nasenduscher!“, wer möchte schon so empfangen werden? Höchstens ein echter Nasenduscher. Solche gibt es nämlich, wie eine überaus anstrengende Internetrecherche ergab. Ich habe mich verirrt in die schillernde Welt der Nasenduscher. Gut, das Wort schillernd passt überhaupt nicht zu trockenen Nasen oder zu, Verzeihung, Nasenborke. Allein mir fällt das passende Partizip dazu nicht ein, denn ist ja zu fragen, ob es den Zustand vor oder nach der Nasendusche bezeichnen soll.

Bislang ist mir das Wort Nasenduscher entgangen. Nie zuvor ist mir ein Nasenduscher über den Weg gelaufen, obwohl es hätte sein können, denn man kann die Nase auch unterwegs duschen, quasi ambulant. Im Internet erfuhr ich, dass es sogar Nasenduscher-Partys gibt. Und eine Nasenduschenherstellungsfirma hat im letzten Jahr einen Schreibwettbewerb ausgerufen zum Thema „Mein schönstes Nasenduschen-Erlebnis“ oder so ähnlich. Leider kann man die Texte nicht einsehen, denn Einsendeschluss war Ende letzten Jahres. Zum tröstlichen Ausgleich fand ich ein Podcast, auf dem ein Mann von seinen erbaulichen Erfahrungen mit Nasenduschen berichtet.

Dem Substantiv „Nichtraucher“ haftet ein schwerer Makel an, da es den Raucher quasi zum Normalfall erklärt. Falls die Mama während der Schwangerschaft nicht geflöppt hat, kommt man bereits als Nichtraucher zur Welt. „Nicht“ ist das gestaltende Prinzip solcher Biografien. Ähnlich verhält es sich beim Wort „Nasenduscher“. Ich muss mit Erschrecken erkennen, dass ich geborener Nichtnasenduscher bin. Das deprimiert.

Guten Abend
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Ich glaub', ich kauf mir ein Tief

Queenie-kauft-ein-Tief

Der Mensch kann nicht stets alles gleich gut. Du wirst morgens wach und merkst, hui, heute bin ich irgendwie … was weiß ich was. Gibt Tage, da fallen mir die passenden Wörter nicht ein, was eigentlich nur problematisch ist, wenn ich mit einem reden muss. Anderntags geht mir das Maul über, und die Sätze fließen ohne eigenes Zutun heraus, so dass ich nebenher Zeit habe zu denken, was ist denn das? Hat man mir letzte Nacht das Sprachzentrum tiefer gelegt und Heckspoiler montiert?

Ähnlich ist’s mit dem Schreiben. Tastentippen geht immer, allein die richtige Reihenfolge will mir manchmal nicht einfallen. Dann bin ich froh, dass ich einen ganzen deutschen Satz hinbekomme, doch habe ich den Punkt gemacht, tut sich gar nichts mehr. Überbelastung des Systems, der Textgenerator wurde vorsichtshalber runtergefahren. Leichte Schläge auf den Hinterkopf helfen übrigens nicht, Kopfstand schon eher.

Es gibt auch Tage, an denen ich nichts fotografiere. Ich will schon, sehe aber nichts. Wohl dem Mehrfachbegabten. Mein Künstlerfreund Rudi hat mir einmal gestanden, wenn er nicht malen könne, dann mache er Collagen, und gehe das nicht, dann würde er Gedichte schreiben. Man schwingt mental im Wind. Es gibt im Kopf Hochs und Tiefs, Flauten und Orkane, was darauf schließen lässt, dass alles vom Wetter bestimmt ist. Zur Zeit ziehen in meinem Kopf die Ausläufer von Tief Melli durch. Mal Regen, mal Sonnenschein, mal schneit es … und wieder von vorn. Tief Melli ist übrigens nach einer gewissen Melanie Irsch benannt. Sie hat von der FU Berlin die Patenschaft bei Ebay ersteigert.

Mir ist heute richtig melli im Kopf und manchmal auch irgendwie irsch. Hoffentlich hat wenigstens Melanie Irsch viel Spass mit ihrem Tief und lässt im Regen nicht die Nase hängen, weil sie quasi von sich selber nass gemacht wurde. Das hätte sie dann davon. Derzeit kann man ein Tief mit dem Buchstaben Q kaufen. Die Gebote standen um 17 Uhr bei 20,00 Euro. Namen mit Q sind selten, vermutlich gewinnt Quasimodo. „Tief Apfelpueree“ wäre irgendwie schöner.
Tief-apfelpueree
Guten Abend
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