Schriftwelt im Abendrot

The Next - ein literarisches 40-Minuten-Experiment

Blogexperiment

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Heute 20:20 Uhr, Ende 21 Uhr
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Zeitalter der schreibenden Affen

Internetexperten sind Internetexperten, wobei zu bezweifeln ist, dass derzeit jemand das Phänomen Internet mit all seinen Erscheinungen auch nur annähernd überblickt oder sogar begreift. Wenn Internetexperten sich zu ihrem Medium äußern, neigen sie zur spekulativen Pauschalisierung, eben weil das Phänomen Internet kaum überschaubar ist. Das ist eigentlich ungeschickte Wissenschaft, nicht weit entfernt vom Kaffeesatzlesen. Oft sind Internetexperten so genannte Pioniere des Internets. Das bedeutet, ihr Expertentum haben sie aus der Praxis und der Reflektion dieser Praxis gewonnen, was natürlich ein eingeschränktes Blickfeld mit sich bringt.

Ein solcher Internexperte ist der Engländer Andrew Keen. Er hat ein provokantes Buch über das Internet geschrieben, worin er unter anderem sagt, das Internet sei gefährlich, denn es schaffe die Wächterfunktion der Medien ab, womit er wohl Medien wie Wochenschau, Radio und Fernsehen sowie Buch und Zeitung/Zeitschrift meint. Dabei geht er davon aus, dass in den Redaktionen dieser Medien Menschen mit Sachverstand sitzen, die die Informationen sichten und bewerten, bevor sie sie aufbereiten und verbreiten. Blogger vergleicht er mit Affen, die nicht nur unfähig sind, die Informationen aus dem Internet kritisch zu werten. Sie umgehen auch noch diese Wächterfunktion „der Medien“ und verbreiten „eine Kakophonie von Inhalten“, wie Keen in einem Interview mit dem Tagesspiegel sagt. Und weiter: „Natürlich glaube ich nicht wirklich, dass Blogger Affen sind. Ich erkenne an, dass von 70 Millionen Bloggern ein paar Tausend wirklich etwas zu sagen haben, diese Meinung aber aus welchen Gründen auch immer nicht über herkömmliche Medien verbreiten.“ Die anderen sind nach seiner Ansicht „Medienanalphabeten“, vor allem, wenn sie der YouTube-Generation entstammen. Und weiter sagt er: „Die Blogosphäre ist kein besonders effektives Medium, um qualitativ hochwertige Inhalte hervorzubringen oder neue Talente zu fördern.“, … weil die Inhalte nicht bezahlt würden.

Keens kulturpessimistische Ausführungen wirken schlüssig, denn wer sich in der Blogosphäre bewegt, kann seine Aussagen bestätig finden. Doch eigentlich betrachtet hier ein Experte des Internets sein Medium aus der Froschperspektive. Zu den Kinderkrankheiten des Internets finden sich Parallelen bei den Medien in der Vergangenheit. Bezieht man sie in die Betrachtung ein, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Das will ich hier skizzieren.

Jedes neue Medium wird in seiner Entstehungszeit mit Misstrauen beäugt. Das beginnt bereits bei der Schrift selbst: Im Dialog des Sokrates mit Phaidros lässt Platon Sokrates sagen, Gott Theuth habe dem ägyptischen König Thamus die Schrift gezeigt und gesagt: „(…) diese Kenntnis wird die Ägypter weiser machen und ihr Gedächtnis stärken; denn als Gedächtnis- und Weisheits-Elixier ist sie erfunden." Der aber erwiderte: „O meisterhafter Techniker Theuth! Der eine hat die Fähigkeit, technische Kunstfertigkeiten zu erfinden, doch ein andrer, das Urteil zu fällen, welchen Schaden oder Nutzen sie denen bringen, die sie gebrauchen sollen. Auch du, als Vater der Schrift, hast nun aus Zuneigung das Gegenteil dessen angegeben, was sie vermag. Denn sie wird Vergessenheit in den Seelen derer schaffen, die sie lernen, durch Vernachlässigung des Gedächtnisses, - aus Vertrauen auf die Schrift werden sie von außen durch fremde Gebilde, nicht von innen aus Eigenem sich erinnern lassen. Also nicht für das Gedächtnis, sondern für das Wieder-Erinnern hast du ein Elixier erfunden. Von der Weisheit aber verabreichst du den Zöglingen nur den Schein, nicht die Wahrheit; denn vielkundig geworden ohne Belehrung werden sie einsichtsreich zu sein scheinen, während sie großenteils einsichtslos sich und schwierig im Umgang, - zu Schein-Weisen geworden statt zu Weisen."

Und weiter sagt Sokrates:

"Denn diese Schlimme hat doch die Schrift, Phaidros, und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich; denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still. Ebenso auch die Schriften: Du könntest glauben, sie sprächen, als verständen sie etwas, fragst du sie aber lernbegierig über das Gesagte, so bezeichnen sie doch nur stets ein und dasselbe. Ist sie aber einmal geschrieben, so schweift auch überall jede Rede gleichermaßen unter denen umher, die sie verstehen, und unter denen, für die sie nicht gehört, und versteht nicht, zu wem sie reden soll und zu wem nicht. Und wird sie beleidigt oder unverdienterweise beschimpft, so bedarf sie immer ihres Vaters Hilfe; denn selbst ist sie weder sich zu schützen noch helfen imstande. (Phaidros 274c-278b)


Dass die Schrift das
Gedächtnis schwächt und die zu übermittelnden Weisheiten unsinnlich und unabhängig von Sprecher und Hörer verbreitet, so dass die Inhalte sich verselbstständigen, nicht begriffen, falsch verstanden oder fehl interpretiert werden können, ist eine noch heute gültige Kritik. Die Schrift hat viele Schein-Weise im Sinne Platons hervorgebracht und wird dies weiterhin verursachen. Die Kritik ist aber, das muss man einwenden, handschriftlich übermittelt, also vom kritisierten Medium selbst durch die Zeit transportiert worden. Trotz der von Platon aufgezeigten Schwächen löste das neue Medium Schrift die Mündlichkeit ab, veränderte Denken und Handeln der Menschen und prägte Kulturen. Diese Schriftkulturen messen dem Medium hohe Bedeutung zu, was sich besonders bei den Schriftreligionen zeigt. Und gleichzeitig sinkt die Wertschätzung des vorangegangenen Mediums, der Mündlichkeit. Ein Wort gilt weniger als ein handschriftlicher Vertrag. Die schriftliche Vereinbarung ist die Urkunde (im Sinne der ersten Kunde), nicht das Gesagte.

Die Kritik an der Schrift, die ja ursprünglich Handschrift ist, wird abgelöst von einer Kritik des gedruckten Buches. Vespasiano da Bistici berichtet vom Herzog von Urbino (+ 1482), dass er die kostbaren Handschriften in seiner Bibliothek nur mit weißen Handschuhen berührte und kein gedrucktes Buch in seiner Sammlung duldete. Er hätte sich dessen geschämt. So verwundert es nicht, dass die frühen Drucker ihren Büchern den Anschein gaben, sie wären mit der Hand geschrieben. Bereits Gutenberg hatte sich die Schrifttypen für die 42-zeilige Bibel von dem Kalligraphen Peter Schöffer gestalten lassen. Gedruckte Bücher galten noch lange Zeit als Werke, die nicht mit erlaubten Mitteln hervorgebracht waren. Buchdruck hatte den Ruch, Teufelswerk zu sein.

Dieses Misstrauen
entstand aus der für damalige Verhältnisse erstaunlichen Tatsache, dass sich mit Hilfe des Buchdrucks identische Kopien eines Originals herstellen ließen. Denn handschriftliche Abschriften waren Unikate und wurden als solche geachtet. Doch diese Unikate waren voller Fehler, unabsichtlichen und vor allem absichtlichen. Der Historiker Horst Fuhrmann nennt das Mittelalter „Zeit der Fälschungen“. Noch traute man vielerorts auch dem Buchdruck nicht. So schreibt Bischof Heinrich von Ahlsberg im Vorwort des Regensburger Messbuchs von 1485, er habe das Werk nach dem Druck prüfen lassen; dabei habe sich ergeben, dass die Drucke übereinstimmten. In Freising wurden fünf Männern dafür bezahlt, 400 Exemplare eines neu gedruckten Messbuches zu vergleichen, wobei sie entdeckten, dass alle Messbücher denselben Wortlaut enthielten.

Eine interessante Parallele aus der Frühzeit des Buchdrucks zu heutigen Internet-Weblogs ist das Fehlen eines Impressums auf Flugblättern (den Vorläufern der Zeitungen) und in vielen Büchern, denn es gab lange Zeit keine Pressefreiheit im heutigen Sinne, so dass sich die Drucker bei kritischen Inhalten tarnen mussten. Der Verleger und Typograf Johann Gottlob Immanuel Breitkopf (1719-1794) schreibt „In Frankreich that noch 1789 der Minister Calonne dem Könige Ludewig den XVI. den Vorschlag, die Pressfreiheit unter der Bedingung zu erlauben, wenn der Verfasser seinen Namen auf dem Titel angaebe, oder sich wenigstens der Drucker nennte, um einen von beyden noethigen Falls zur Verantwortung bringen zu koennen.“

Aus Selbstschutz tarnen sich viele der heutigen Internetuser. Denn es ist unzweifelhaft peinlich, im Internet eigene Worte oder Bilder zu finden, die man sich besser verkniffen hätte. Das werden jene User noch stärker erleben, die sich derzeit arglos offen auf Plattformen wie Facebook oder studiVZ tummeln. Wenn die Zeit darüber gegangen ist, wenn man sich selbst verändert hat, mag man sich nicht gerne konfrontieren mit einem Selbstbild der Unbedarftheit. Veröffentlichungen im Internet sind noch lange vorhanden und fallen zu beliebigen Zeiten auf ihre Urheber zurück.

Doch es geht nicht nur um Peinlichkeiten. Das zukünftige Web wird viel stärker der sozialen Kontrolle unterworfen sein als das derzeitige Internet. Wer sich zum Beispiel darin gefällt, seine Mitmenschen im Internet zu schmähen und zu beleidigen, wird in Zukunft keinen Arbeitgeber mehr finden, denn wer will sich eine Gift spritzende Persönlichkeit mit asozialen Neigungen ins Haus holen, scheinbar weise und schwierig im Umgang. Hier ergibt sich eine neue Herausforderung für die schulische Mediendidaktik, damit nachfolgende Generationen sich im Internet vorsichtiger, klüger und sozialer verhalten. Und es gilt auch zu vermitteln, medialen Informationen grundsätzlich zu misstrauen, nicht nur denen aus dem Internet.

FleißkärtchenZurück zum Buchdruck. Das gedruckte Wort erfuhr in der Folge eine enorme Aufwertung und verdrängte die Geltung der Handschrift wie die Handschrift das gesprochene Wort verdrängt hat. Handschriften stammten von einer Hand. Bücher und Zeitungen wurden von vielen Händen gemacht, von Menschen, die sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert hatten. Autor, Lektor oder Redakteur, Setzer, Korrektor, Drucker, - sie alle standen hinter einem Werk oder hinter einer Zeitung. Dazu bedienten sie sich aufwendiger Technik, die allen anderen nicht zur Verfügung stand. Daraus bezog das gedruckte Wort seine Macht, die noch heute andauert, jedoch im Schwinden begriffen ist. Denn mit Computer und Internet kehrt alles in eine Hand zurück.

Und in der
Regel ist auch nur ein Kopf am Werk. Doch wer glaubt, dass Rundfunk, Fernsehen, Printmedien deshalb grundsätzlich verlässlicher sind, der irrt. Sie alle sind abhängig von gesellschaftlichen Umständen und politischen Vorgaben. In Diktaturen ist die Presse Verlautbarungsorgan, in Ländern mit Pressefreiheit diktiert die Wirtschaftlichkeit die Ausrichtung. Wirtschaftlichkeit hängt von Anzeigenaufkommen, Auflagenhöhe oder Einschaltquoten ab. Um sie zu steigern, schrecken manche Redaktionen nicht davor zurück, die niedrigsten menschlichen Neigungen zu befriedigen. Es gibt gewissenlose Schmocks in Redaktionen und es gibt Schmockzeitungen sowie Schmocksender. Selbst in seriösen Redaktionen werden Informationen journalistisch gefällig frisiert. Und keine Redaktion erlaubt es sich, einen großen Anzeigenkunden zu verprellen, indem sie allzu kritisch über ihn berichtet.

Durch das Internet
ist eine Gegenöffentlichkeit entstanden, und diese Gegenöffentlichkeit ist nicht durch Redaktionen kontrolliert. Die Gefahren dieser Entwicklung liegen offen auf der Hand. Sie werden von allen Skeptikern herausgestellt. Doch wo liegen die Chancen? Wir haben schlaglichtartig gesehen, dass Medien einander in der Geltung ablösen. Dabei gehen einige der spezifischen Stärken der abgelösten Medien verloren. Es ist das Opfer, das erbracht werden muss, denn die Entwicklung neuer Medien hat eine Eigendynamik und ist auch durch Kritiker nicht aufzuhalten, selbst wenn sie sich weiße Handschuhe anziehen wie der Herzog von Urbino. Doch jedes neue Medium hat auch eigene Qualitäten, die den anderen Medien fehlen. Worin liegen die neuen Qualitäten von Weblogs?

Dass eine Horde von Affen durch bloßes Herumhämmern auf der Tastatur alle Literatur der Welt hervorbringen kann, wenn man sie nur lange genug gewähren lässt, ist ein alter Witz und gleichzeitig eine rechnerische Tatsache. Stehen wir nun am Beginn dieses Experiments? Seit Jahrzehnten bemüht sich die Deutschdidaktik um reale Schreibanlässe. Schüler sollen Tagebuch schreiben, Brieffreundschaften eingehen, eine Klassenzeitung machen und dergleichen. Und wenn die realen Schreibanlässe fehlen, schreiben Schüler Aufsätze. Warum? Wer außer Lehrer und Verwandten will das lesen? Schreiben holt die Gedanken aus ihren natürlichen Kreisen und bringt sie in Sätze und logische Abfolgen. Schreiben zwingt dazu, eine Sache zu Ende zu denken und schult somit das Denken. Schreiben zwingt zum Hinterfragen und trainiert die Beobachtung. Schreiben ist ein kreativ-spielerischer und schöpferischer Prozess. Wer für Leser schreibt, muss sich Wissen aneignen. Und was geschrieben ist, lässt sich nachträglich auf seine Gültigkeit überprüfen. Das Schreiben mit einer technischen Schrift ist zudem eine Form der Objektivierung. Das Geschriebene hat eine überindividuelle äußere Form, ist dem Schreiber dadurch entfremdet und daher auch für ihn leichter zu beurteilen. Das schützt ein wenig vor einem Fehlurteil aus Zuneigung, dem auch Gott Theuth unterlag, als er die Schrift erfand.

Wer Texte im
Internet veröffentlicht, entwickelt seine Fähigkeit zu schreiben und profitiert von den geschilderten Effekten. Daher wird sich sein Schreiben auch verändern. Er wird ein Bewusstsein von Qualität entwickeln, wird sich an verschiedene journalistische Formen heranwagen, kurzum, er wird lernen, sich auszudrücken und zwar so, dass ihn andere verstehen und gerne bei ihm lesen. Jedermann sein eigner Redakteur. Eine andere Zensur findet nicht statt.

Ein weiterer Vorzug dieses
Mediums lindert einige der Mängel, die Platon der Schrift anlastet. In einem Blog schwirrt die Schrift nicht losgelöst von ihrem Erzeuger umher. Schreiben im Internet ist interaktiv. Der Autor ist eine Weile da und kann zu seinen Worten befragt werden, man kann sich ob des Verständnisses bei ihm rückversichern, kann ihn bestätigen, korrigieren, ihn auf Aspekte hinweisen, die er nicht bedacht hatte, man kann mit ihm plaudern. Das alles sind Elemente der Mündlichkeit. Dieses wundersame Medium vereint Herz, Hand und Verstand und trägt daher fast alle Vorzüge der Medien in sich, die es beerbt hat. Man muss den schreibenden Affen nur Zeit lassen, sich in seinem Gebrauch zu üben.
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Zwei Zettel vom Bürgersteig (2)

Referat MMIZettel (2) fand ich unweit von Zettel (1), und zwar am selben Tag auf der Aachener Jakobstraße. Links unten hat der Zettel eine Chiffre, die darauf schließen lässt, dass der Zettel von D stammt und an S weitergegeben werden soll. Der handschriftliche Text ist die Gliederung eines Referats zum Thema: Computer als Werkzeug. Unter dem Thema stehen die dem Referat zugrunde liegende Literatur und die Namen von drei Autoren, Züllinghoven, Reinhard Budde und Carola Lilienthal. Es folgt eine Vierpunkte-Gliederung von a) bis d). Unter a) sollen Werkzeug- und Maschinenbegriff geklärt werden, b) behandelt offenbar die Handhabung des Werkzeugs in Auseinandersetzung mit Material, c) stellt Werkzeug und Maschine vergleichend gegenüber. Die Schlussfrage, d), lautet: „Was hat das alles für Auswirkungen auf die SW-Entwicklung und MMI“ SW meint Software, mit MMI ist die Mensch-Maschine-Interaktion gemeint.

Erhebt sich die Frage, was denn „das alles“ genau ist. Ist es ein wichtiger Unterschied, ob man einen Computer als Werkzeug begreift oder als eine Maschine? Wenn ich meinen Laptop nehme und damit nach einem Kaninchen werfe, um es zu erlegen, benutze ich ihn eindeutig als Werkzeug, nämlich zur effektiven Ausnutzung meiner Körperkräfte durch ein Gerät. Es hängt dann ab von meiner Kraft, meiner Geschicklichkeit, den Flugeigenschaften meines Laptops und vom Verhalten des Kaninchens, ob ich erfolgreich bin und mir am Abend ein Kaninchen braten kann oder nicht. Angenommen, ich hätte das Kaninchen nicht getroffen, dann könnte niemand mit Genauigkeit sagen, woran es gelegen hat. Die Einflussgrößen erschließen sich nicht, denn die Welt ist zu komplex, als dass man eine zuverlässige Beschreibung eines Vorgangs geben könnte. Die Wahrheit lässt sich nur annähernd erschließen, niemals jedoch restlos.

Ein Programmierer schreibt ein Computerprogramm, in dem man mit Laptops nach Kaninchen werfen kann. Die Grundlagen des Programms sind Mathematik und Logik sowie eine Programmiersprache, die auf den Regeln von Mathematik und Logik beruht. Mit Hilfe der Programmiersprache entwirft der Programmierer eine grafische Welt, in der auf bestimmte Weise die Formen von Kaninchen auftauchen. Dem Nutzer dieser Welt verleiht der Programmierer Einflussmöglichkeiten. Er kann über Maus oder Tastatur einen Effekt auslösen, der die bewegte Grafik eines Laptops aufruft. In einem Kollisionsregister wird abgefragt, ob sich Laptop und Kaninchen berührt haben, worauf eine Unterroutine dieses Ereignis grafisch darstellt. Wenn nun der Benutzer mit einem Mausklick einen Laptop Richtung Kaninchen schickt, dann ließe sich mathematisch genau nachvollziehen, warum er getroffen hat oder nicht, denn das Ereignis auf dem Computerbildschirm geschieht innerhalb streng definierter Bedingungen. Ein Computerprogramm ist eine virtuelle Maschine, und eine Maschine arbeitet nach genau festgelegten Regeln. Alles was in diesen Regeln und Routinen nicht berücksichtigt ist, existiert nicht.

Die Maschine legt den Menschen auf ihre Regeln fest und lässt ihm nur einen streng definierten Gestaltungsspielraum. Ist die Maschine so komplex wie ein Computer, kann sie beim Nutzer die Illusion erzeugen, der Gestaltungsspielraum sei unendlich, woraus sich ein trügerisches Vertrauen in die Technik entwickelt, eine Gleichsetzung der Maschinenwelt mit der realen Welt.

Es ist also ein großer Unterschied, ob man den Computer als Werkzeug benutzt oder als Maschine. Der Maschinenwelt fehlen wesentliche Elemente des menschlichen Daseins, das Unwägbare sowie Ethik und Moral. Logik kommt ohne sie aus. Die Mensch-Maschine-Interaktion darf nicht nur darauf angelegt sein, dass der Mensch sich den logischen Bedingungen der Maschine anpasst. Indem der Mensch viele seiner Handlungen und Entscheidungen von Maschinenregeln anhängig macht, ja die gesellschaftlichen Vorgänge überhaupt zunehmend diesen Regeln unterwirft, macht er sein Leben unwirtlich und hart. Eine allein nach logischen Erwägungen organisierte Gesellschaft würde die Wahlmöglichkeiten ihrer Mitglieder immens einschränken, sie völlig abhängig machen und somit ihrer Menschlichkeit berauben. Es lohnt sich, darüber nachzudenken oder gar ein Referat darüber zu schreiben.
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Zwei Zettel vom Bürgersteig (1)

mein Freund und ich
Zettel (1) fand ich gestern auf dem Bürgersteig. Der handschriftliche Text ist in deutscher Sprache verfasst. Es ist eine Kontaktanfrage an einen Unbekannten, der einen ausgebauten Transporter besitzt. Handschrift und Inhalt lassen auf eine junge Frau schließen. Sie hat auf den gedrehten Abriss eines Geschäftsbriefes geschrieben. Dieser Text ist niederländisch und von einem „Voorzitter“ (Vorsitzender) unterschrieben, der den seltsamen Namen Bas Eenhoorn trägt. Der voorzitter schreibt offenbar über eine Marketingstrategie. Der letzte Satz des Briefes lautet: „Om te zorgen dat de consument steeds bewuster gaat kiezen voor dé specialist in beweging!“. Das bedeutet frei übersetzt: Um dafür zu sorgen, dass der Konsument immer bewusster DEN Spezialisten für Bewegung wählt. Was ist ein „specialist in beweging“? Ein bewegter Spezialist? Die Eingabe von „specialist in beweging“ bei Google ergibt als ersten Link:

„Bewegung“ ist also buchstäblich und übertragen zu verstehen. Der Bewegungsspezialist will potentielle Konsumenten zu sich bewegen, damit er ihre Gliedmaßen bewegen kann. Leider enthüllt der Abschnitt nicht, mit welcher Werbestrategie das Unternehmen den Konsumenten für sich gewinnen will, auf dass er „bewusst“ das Angebot des vorzitters wählt. Führt Werbung zu bewussten Wahlentscheidungen? Es kann ein Nebeneffekt von Werbung sein, doch eigentlich zielt sie ja auf das Unbewusste des Konsumenten, soll dort ziehen und zerren, wo er sich nicht wehren kann. Was der Vorsitzende „bewusste Wahl“ nennt, ist ein Euphemismus für „beeinflusste Wahl“.

Es besteht ein ulkiges Bindeglied zwischen dem getippten Brief und dem handgeschriebenen Zettel, nämlich dort, wo der vorzitter unterschrieben hat. Hier treffen zwei Handschriften aufeinander. Die Frau hat geschrieben: „Mein Name ist“ und dahinter steht auf dem Kopf "Bas Eenhorn", denn Dorit, die Verfasserin des Zettels, hat sich nicht getraut, ihn zu streichen oder zu überschreiben. Er hatte schließlich das Erstlingsrecht auf dem Papier.

Der Zettel offenbart zwei unterschiedliche Lebenswelten. Trotzdem haben sie mehr als das Papier gemeinsam. In beiden Botschaften geht es um Spezialwissen zum Thema Bewegung. Wir leben halt in einer bewegten Zeit, und wer mitschwimmen will im großen Strom, muss sich auch bewegen, wird gezogen, gezerrt, geschoben oder geschubst. Deshalb ist es der größte Luxus, sich allein aus eigenem Antrieb bewegen zu dürfen.
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Teestunde (8) - Willfährige Frauen tippen besser

Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags.
Heute: Schreibmaschine und Universaltastatur
Schriftwelt im Abendrot
Wer das 10-Finger-System nicht beherrscht, will gerne glauben, die seltsame Anordnung der Tastatur habe etwas mit der Buchstabenhäufigkeit oder den besonderen Finessen des 10-Finger-Schreibens zu tun. Tatsächlich gibt es aus den Anfängen der Schreibmaschinentechnik verschiedene Anordnungen, die dem Bau der Hand und der Buchstabenhäufigkeit in den jeweiligen Sprachen entsprechen (Ergonomische Tastatur bzw. Idealtastatur).

Durchgesetzt hat sich jedoch ein anderes Prinzip. Die heutige Tastaturanordnung geht auf die Universaltastatur des Waffenherstellers Philo Remington zurück. Dessen erste Schreibmaschinenserie hatte noch eine alphabetische Anordnung besessen. Das Zusammenschlagen und ständige Verhaken der Typenhebel erzwang aber eine Umgruppierung. Auf der internationalen Stenographentagung von 1888 in Toronto gelang es Remington, seine "Universaltastatur" zum Standard zu erheben. Allein dem regen Geschäftssinn Remingtons verdankt also die schreibende Nachwelt eine Tastatur, bei der sich häufig gebrauchte Buchstaben an ungünstigen Außenpositionen befinden, so dass man beim 10-Finger-schreiben das "a" zum Beispiel mit dem schwächsten Finger überhaupt, dem kleinen der linken Hand, anschlagen muss.

So ist die Universaltastatur nicht dem Menschen angepasst, sondern verlangt die Anpassung des Menschen an die Mechanik der Maschine. Ungewollt eröffnete Remington damit den Frauen den Einzug in die Bürowelt. In einem Regierungsbericht von 1908 heißt es, die Arbeitgeber würden weibliche Arbeitskräfte wegen ihrer "größeren Wohlfeilheit und Willigkeit" bevorzugen. Frauen geben sich nicht nur mit geringerer Entlohnung zufrieden, ihre fingerfertigen Hände kommen auch besser mit der schlecht angeordneten Tastatur zurecht als die ihrer männlichen Kollegen.

Mutter muss arbeitenDas Kalenderblatt im Bild oben rechts zeigt den September 1873. Beginnt hier die Emanzipation der Frau? Die Schreiber schauen skeptisch auf die Tippmamsell, nur der kleine Junge scheint zu begreifen, dass Mutter sich unwiderruflich vom häuslichen Bereich der Berufswelt zugewandt hat.

Das laute Klappern von Tastatur und Typenhebeln wurde bald mit Maschinengewehrfeuer assoziiert, was aber nicht nur am Ruch der Waffenfabrik lag. So beklagt der Buchwissenschaftler August Demmin 1890, die Schreibmaschine werde "an den Grenzen Russlands aber, durch die bekannte Unwissenheit der russischen Beamten als 'revolutionäres Werkzeug' in Beschlag genommen." Hier hatten die russischen Beamten anscheinend größeren Weitblick als August Demmin. Die Schreibmaschine sollte die Welt verändern.

Mit zunehmendem Einsatz der Schreibmaschine verdrängen die Tippmamsells die männlichen Schreibkräfte völlig. Die smarten Schreibmaschinenhersteller reagieren schon bald und widmen den Frauen viele ihrer Modellserien: ERIKA, MERCEDES, NORA, GISELA, MONICA, GABRIELE. Heute wirken die Plaketten auf den Schreibmaschinen wie Ehrentafeln für die ersten berufstätigen Frauen. Sie haben sich über die boshafte Universaltastatur mühevoll an das ferne Ziel der beruflichen Emanzipation herangetastet.

aus Süddeutsche ZeitungDas 10-Finger-Schreiben, das Blindschreiben, konnte nur durch stumpfsinnigen Drill eingeübt werden. So hat das Maschinenschreiben etwas geistlos Dummes, wie es einmalig dasteht in der Geschichte des Schreibens. Die Heerscharen von Tippsen in riesigen Schreibsälen, stumm fremde Texte schreibend, taub für die Umwelt dem Diktat aus dem Kopfhörer lauschend und blind in die Tastatur einhämmernd, diesen kafkaesken Alptraum können sich eigentlich nur ausgemachte Frauenfeinde ausgedacht haben.

Die meisten Übungsbücher geben über Sinn und Herkunft der Tastaturanordnung keine Auskunft. Sie folgen der Erkenntnis, dass Reflexion dem Erlernen mechanischer Tätigkeiten abträglich ist. So führt denn auch lange Zeit kein Weg von der Tätigkeit einer Schreibkraft zu der eines Autors. Eine dumme Tastaturanordnung verlangte jahrzehntelang dumme Schreibkräfte. Erst mit dem Schreibcomputer weicht die Trennung von Kopf und Hand. Trotzdem gilt das 10-Finger-System unter Gebildeten noch immer als nichtswürdig; ja die instinktive Ablehnung gegen die Universaltastatur ist groß, und viele rechnen es sich als Vorzug an, nach dem "Adler-Suchsystem" oder nach dem Terroristensystem (Jede Sekunde ist mit einem Anschlag zu rechnen) zu schreiben.

Die Universaltastatur ist ein Beispiel, wie sich einmal eingeführte Systeme selbst erhalten, wenn auch die technische Notwendigkeit längst verschwunden ist. Die Remingtontastatur berücksichtigt mechanische Probleme, die es schon bei der Kugelkopfmaschine nicht mehr gibt, und mit dem Aufkommen der Schreibcomputer erübrigt sich jegliche mechanische Rücksichtnahme. Trotzdem bleibt die alte Anordnung, mit einigen unwesentlichen Änderungen (QWERTZ). Eine Generation nach uns wird sie kaum noch nachvollziehen können, weil Typenhebelmaschinen dann verschwunden sein werden.

Ahnungslos war 2005 auch die Jury von Jugend forscht:
Jugend forscht daneben

Teestunde im Teppichhaus
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Teestunde (7) - Weder sitt noch schmöll

Schriftwelt im Abendrot

Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute: die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS)

Über ihre Aufgaben und Ziele schreibt die GfdS auf ihrer Homepage: "Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist eine politisch unabhängige Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Seit ihrer Gründung im Jahre 1947 sieht sie es als ihre Aufgabe an, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die deutsche Sprache zu vertiefen und ihre Funktion im globalen Rahmen sichtbar zu machen. Die GfdS hat sich zum Ziel gesetzt, die Sprachentwicklung kritisch zu beobachten und auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung Empfehlungen für den allgemeinen Sprachgebrauch zu geben."

Vereinslogo GfdSAnders als der Verein behauptet, wurde er bereits 1885 als Allgemeiner Deutscher Sprachverein gegründet, unter Vorsitz des Braunschweiger Museumsdirektors Hermann Riegel. Ziel war die Reinigung der deutschen Sprache von Fremdwörtern. Der Kölner Germanist Fritz Tschirch schreibt, mit Riegels Vorsitz sei dem Sprachverein der "Fluch des Dilettantismus in die Wiege gelegt", dem sich der Verein nie mehr zu entziehen vermocht habe. Das Organ des Vereins war die "Muttersprache". Freudig begrüßte die "Muttersprache" im April 1933 die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Bis 1939 trieb man exzessive Fremdwortjagd. Neben den skurrilen Eindeutschungsvorschlägen zu Automobil (Zerknalltreibling) oder Elektrizität (Bern); (E-Lok = Bernzieh) gebar der Verein auch ein wunderbar selbstentlarvendes: aus Profil sollte Gebüge werden. Ja, das kann man sich fein vorstellen, wie im 3. Reich die Menschen mit Profil durch die hundsföttisch Gebogenen verdrängt wurden. Dem Verein nutzte alle Kriecherei nichts. Mit der von Hitler per Erlass verfügten Umstellung von Fraktur auf Lateinschrift kam 1940 auch das Aus für die Fremdwortjagd. Das Vereinsblatt "Muttersprache" war schon im Jahr zuvor verboten worden. Der Verein war den Nazis mit seiner provinziellen Deutschtümelei peinlich geworden.

gfds1947 konstituierten sich die alten Herrschaften wieder, unter dem neuen Namen "Gesellschaft für deutsche Sprache". Das Vereinsblatt heißt weiterhin "Muttersprache". Den vom Verein 1987 gestifteten "Medienpreis für Sprachkultur" bekam als erster der WDR-Hörfunk- Journalist Klaus-Jürgen Haller. Haller, Sprachpapst von eigenen Gnaden, polemisiert in seiner Preisrede "Vom Niedergang eines Handwerks" gehorsam gegen Fremdwörter: "Nichts gegen Lehnwörter, aber wer einen Gedanken nicht deutsch formulieren kann, könnte ihn nicht zureichend verstanden haben." Gemeint sind nicht Lehnwörter, sondern Fremdwörter, doch dieser unlogisch verschwurbelte Satz widerlegt Hallers eigene These. Er wird auch nicht besser, wenn man das Fremdwort "formulieren" durch "ausdrücken" ersetzt. Vielleicht war es erneut der "Fluch des Dilettantismus", der den Verein dazu trieb, mit Haller einen Preisträger zu küren, der sich brüstete, die Entwicklung der Sprachwissenschaft der letzten 10 Jahre verschlafen zu haben.

Schon Goethe hatte für Sprachreiniger nur Spott übrig. So schrieb er 1801 an Joachim Heinrich Campe, den Verfasser des "Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke":
Sinnreich bist du, die Sprache
von fremden Wörtern zu säubern.
nun sage doch, Freund, wie man
Pedant uns verdeutscht?
Wie die Kleingärtner alljährlich ihre dicksten Kohlköpfe herzeigen, so präsentiert die GfdS traditionell "Wörter und Unwörter des Jahres" und eine Hitparade der Vornamen. Finanziert wird die Spielerei zu 80 Prozent aus öffentlichen Mitteln. Immer wieder mischte sich die GfdS auch in die Diskussionen um Orthographiereformen, und man gestattet ihr sogar, Vertreter in den Rat für deutsche Rechtschreibung zu entsenden. Ebenso könnte man aber den Kleingärtnern erlauben, den Regenwald zu jäten. Ab und zu murkst die GfdS auch ein bisschen am Wortschatz herum. 1988 suchte man ungebeten einen "angemesseneren und humaneren Ausdruck für das `Retorten-Baby'" und fand nach einem öffentlichen Wettbewerb den erbärmlichen Vorschlag "IVF-Kind" preiswürdig:
"Die Abkürzung für `In-vitro-Fertilisation` (Befruchtung im Reagenzglas) wurde als bester Vorschlag zur Übernahme in den allgemeinen Sprachgebrauch angesehen, wie die GfdS mitteilte."
(dpa vom 12.8.1988).
"Genauso haben wir uns das Humanum immer vorgestellt", höhnte darauf die Süddeutsche Zeitung in ihrem STREIFLICHT. 1989 wollte der Verein die Deutschen aus einer anderen Bezeichnungsnot erlösen. Es fehle in der deutschen Sprache das Gegenstück zu "satt", wenn man genug getrunken habe, also nicht mehr durstig ist. Wieder lobte man einen Preis aus und bekam auch das entsprechende Medienecho. Leider weiß ich nicht mehr, welches Kunstwort man prämierte. Es ist im Sprachgebrauch jedenfalls nicht aufgetaucht.

Uns allen fehlt ein WortNebenbei:
Im Sommer 1999 wandte sich die Dudenredaktion zusammen mit Lipton Ice Tea mit einer Neuauflage der Frage an die Schulen: „Uns allen fehlt ein Wort“, behauptete man. Die vermeintliche Lemmalücke sollte mit Lehrerschweiß, Schülergehirnschmalz und Ice-Tea geschlossen werden. Preiswürdig fand man das Wort sitt. Was in Wahrheit fehlte, war Verstand, denn Wortbildung per Preisausschreiben funktioniert einfach nicht, was zumindest die Dudenredaktion hätte wissen müssen.

Die GfdS und Duden/Lipton Ice Tea hatten zwei Aspekte übersehen: Erstens war die Frage nach einem Antonym zu durstig schon 1975 gestellt worden. Der Satiriker und Dichter Robert Gernhardt veröffentlichte damals in "Welt im Spiegel", einer Satire-Beilage der Pardon, den Brief eines fiktiven Herrn Schmöll. Schmöll wollte seinen Namen als Wort für satt getrunken zur Verfügung stellen. "Magst noch was trinken? Nein, danke, ich bin schmöll ..." Gernhardts Kollege Bernd Eilert griff den Jux 1987 in seinem "Hausbuch der literarischen Hochkomik" auf, um einen Auszug aus Hamsuns "Hunger" anzumoderieren. Hier wird wohl ein Mitglied der GfdS darauf gestoßen sein, die Quelle wurde aber verschwiegen.

Zweitens ist die Frage wirklich rein akademisch. Wir vermissen keine Bezeichnung, weil das Trinken kein echtes Sättigungsgefühl vermittelt. Anderenfalls käme man ja mit flüssiger Nahrung aus, nach dem Motto: Das bisschen, was ich esse, kann ich auch trinken. Der weltkluge Egon Erwin Kisch hatte es lange zuvor schon auf den Punkt gebracht:
Die Liebe gleicht dem Trinken
Man wird davon nicht satt,
Wenn man auch viel geliebet
Und viel getrunken hat.

Die Beschränkung beim
Trinken ist eher vernunftsgesteuert, wie eine alte Dame, die ich kannte, abends höchstens eine Tasse Tee trank, damit sie nachts nicht aufs Klo musste. Nie kriegt man vom Trinken richtig satt, drum kann man, wenn man will, saufen bis zum Umfallen. Die GfdS und andere Sprachreiniger wären schon ein guter Grund.
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Teestunde (6) - Hübsches Kauderwelsch

Teestunde im Teppichhaus02Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, - ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute gehts um Fremdwörter.

Das Duden-Fremdwörterbuch hat fast so viele Einträge wie der Rechtschreibduden. Natürlich sind viele der dort aufgelisteten Fremdwörter kaum bekannt. Was zum Beispiel bedeutet „Isanemone“? Ich fand es gerade, indem ich im Fremdwörterbuch gedäumelt habe. Däumeln ist übrigens eine Praxis des Orakelns. Man tat es früher mit der Bibel. Daumen rein und nachlesen, welche Botschaft sich dort befindet.

Die Isanemone (gr.-nlt.) ist eine Linie, die Orte gleicher Windgeschwindigkeit verbindet. Wann hast du das zum letzten Mal gemacht? Noch gar nicht? Dann bist du vermutlich kein Meteorologe. Viele Fremdwörter sind fachsprachlicher Natur. Sie begegnen uns im Alltag selten oder nie. Andere sind uns so geläufig, dass wir sie nicht mehr als Fremdwort empfinden, das Wort Natur zum Beispiel. Trotzdem wollte der Allgemeine Deutsche Sprachverein in der Zeit des Nationalsozialismus unter anderem auch Natur durch ein deutsches Wort ersetzen: Zeugemutter. Jagd auf Fremdwörter, wie sie besonders heftig zu Beginn des Nationalsozialismus betrieben wurde, ist das Produkt einer eifernden Nationalgesinnung. „Fremdwörter sind die Juden der Sprache“, urteilte Adorno später, womit er die unheilige Brisanz der Fremdwortjagd in ein fassbares Bild überträgt.

fairspieltAnders als manche Eiferer behaupten ist der Gebrauch eines Fremdwortes immer dann legitim und überaus sinnvoll, wenn es einen Bedeutungsbereich bezeichnet, den es in der jeweiligen Sprache nicht gibt. Indem es zwischen den Sprachen unzählige Wörter gibt, deren Bedeutung nicht deckungsgleich ist, gleicht jeder Purismus dem Versuch, das Denken und Ausdrücken zu kanalisieren. Bei genauer Betrachtung wird sich kein einziges Wort finden, das eine völlige Entsprechung in einer anderen Sprache hat, von den Internationalismen wie Hotel oder Taxi einmal abgesehen. Der Deutsche spricht Englisch zum Beispiel als Deutscher, er kann sich beim Erlernen des Englischen als Fremdsprache nur die Bedeutung eines Wortes aneignen, seine Gefühlswerte jedoch allenfalls erahnen. Ein Kid ist eben kein englisches Kind, mit Kid ist in Deutschland ein globalisiertes Kind gemeint.

Der deutsche Sprecher fügt dem englischen Wort immer auch eigene Gefühlswerte und Assoziationen hinzu, die einem Engländer nicht einfallen können. So kann zum Beispiel die Klanggestalt eines Wortes an ein völlig anderes der eigenen Sprache erinnern, so dass dieser Anklang ungewollt immer mitschwingt. Darum ist der Gebrauch eines Fremdwortes immer die deutsche Gebrauchsweise des Wortes. Sie mag sich von der muttersprachlichen Gebrauchsweise erheblich unterscheiden, was sich auch darin zeigen kann, dass ein Fremdwort ein deutsches Suffix bekommt wie etwa die Infinitivendung –en bei downloaden, mailen oder ein Präfix wie ansurfen, anmailen oder spielerisch mit einem deutschen Wort zusammengesetzt wird wie in fairwöhnt.

Die Übernahme eines Fremdwortes ist also eine Adaption zur Erweiterung des eigenen Wortschatzes. Im häufigsten Fall erlöst sich der Sprecher damit aus einer empfundenen Bezeichnungsnot. Darum ist jede Fremdwortjagd auch töricht. Denn wenn einem Sprecher der Zugriff auf Bedeutungsbereiche verwehrt wird, für die er in seiner Sprache keinen treffenden Begriff zu finden glaubt, zwingt man ihn, in einer Welt der weiten Horizonte auf den ausgefahrenen geistigen Furchen seiner Vorfahren durch einen Hohlweg zu fahren. Die Entscheidung für den Gebrauch eines Fremdwortes ist subjektiv, die grundsätzliche Verdammung des Fremdwortes hat ihre Ursachen im kulturellen Minderwertigkeitskomplex.

Eigentlich ist sogar der modische Gebrauch von Fremdwörtern legitim, wenn die Fremdwörter zum Soziolekt gehören, beispielsweise dem einer Berufsgruppe. Nur wer seinen Soziolekt außerhalb der sozialen Gruppe verwendet, wem es also an Sprachkompetenz mangelt, der macht sich dumm und lächerlich.

Wer anschaulich schreiben möchte, sollte allerdings nur wenige Fremdwörter benutzen. Deutsche Wörter haben für Deutschsprachige einfach einen höheren Bedeutungsgehalt. Sie sind konkret, Fremdwörter sind abstrakt. Die deutsche Entsprechung zu konkret ist anschaulich, greifbar. Das wollte ich hier einmal konkret machen. ;)
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Teestunde (5) - Beachte den Strohwisch

Teestunde im Teppichhaus02Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen gegen 17 Uhr unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, - ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute gehts um Territorialzeichen.
Taggen ist wie Bein hebenDas Territorialzeichen entzieht ein Gebiet der willkürlichen Nutzung durch Unbefugte. Ihre ursprüngliche und unmittelbare Erscheinungsform ist der Duft. Höhere Formen wie etwa Grenzsteine wirken nur mittelbar, da sie Erfahrung, Kenntnisse oder ein gewisses Maß an Vereinbarung voraussetzen. Territorialzeichen können bildhaft, gegenständlich oder schriftlich fixiert sein.

Hallo Hund, namens Joe oder so,
Der Gehweg ist kein Hundeklo.
Vielleicht sagst Du das auch
Deinem Herrchen oder Frauchen!

(Zettel am Zaun eines Hauses in Aachen)

Die Mahnung an den Hund spielt mit verschiedenen Zeichenebenen. Wo der Hund seine Duftmarke abgesetzt hat, erwidert der Mensch mit den Mitteln der Poesie. Tatsächlich berühren sich die beiden Kommunikationsebenen jedoch nicht, denn hier ist ein Mittler nötig "Herrchen oder Frauchen" und der wird ja allein auf der Ebene der Buchstabenschrift angesprochen, hier aber nur indirekt und unverbindlich. Zwingend erfolgreich wäre nur, wenn der Besitzer des Vorgartens eine eigene abschreckende Duftmarke gesetzt hätte.

In der Eifel hat sich bis in die heutige Zeit ein schriftloses Territorialzeichen erhalten, der Strohwisch am Weidenpfahl. Mit einem Strohbüschel am Weidenzaun untersagt der Bauer das Durchziehen einer Schafherde. "Früher gab's kaum Strohwische auf meinem Weg. Die alten Bauern hatten alle Verständnis für unsereins", klagt ein Schäfermeister in einer Reportage der Aachener Nachrichten vom 15.3.1995. Die jungen Landwirte würden den Schafen nicht einmal mehr das bisschen Gras gönnen, das sie während ihres Zugs fressen. "Leider nimmt diese Form des Futterneids immer mehr zu."

Den Ethnologen wird der wieder belebte Gebrauch dieses gegenständlichen Territorialzeichens freuen, die Sympathie aber gehört den Eifelschäfern und nicht den futterneidischen Wiesenbesitzern, die einen Strohwisch winden, gegen den es keine Widerrede gibt. Denn der Gebrauch des Strohwischs ist unwirsch und zeigt unverholen an, dass der Eigentümer über das Verbot keine Worte zu wechseln bereit ist. Es scheint, als würde auf diese Weise eine höhere Verbindlichkeit erzielt als mit einem schriftsprachlichen Verbot, weil sie eine archaische Zeit vergegenwärtigt, in der unerbittliche Regeln galten.

Das seltsame Gegenstück einer Territorialmarke fand ich bei einer Wanderung in der Nordeifel an mehreren Bäumen und Strommasten angebracht. Auf Computerausdrucken in Klarsichtfolien stand der Text:
"Vorsicht Gift!
gehen Sie mit ihrem Hund
einen anderen Weg!
Dieses Gift ist tödlich!"
Die Zettel trugen weder Unterschrift noch Herkunftsnachweis. Was hatte es damit auf sich? In der Nähe befand sich auf einer Wiese eine große Schafherde mit vielen neugeborenen Lämmern. In einem Gatter nebenan lagerten Mutterschafe, die gerade erst abgelammt hatten. Dem Schäfer stand zur Bewachung nur ein Hund zur Seite. Vermutlich hatte er diese Zettel aufgehängt, um seine Herde weiträumig gegen freilaufende fremde Hunde abzuschirmen. Interessant ist, dass der Schäfer der Alphabetschrift nur eine geringe Appellkraft zutraute, so dass er eine zuverlässige Wirkung nur durch übertriebene Drohungen zu erreichen glaubte. Dieses mangelnde Vertrauen in die Geltung der Alphabetschrift empfindet vielleicht derjenige besonders stark, der sich im Alltag meist anderer Kommunikationsformen bedient. Der Strohwisch symbolisiert die autoritative Kraft des Eigentümers, ohne dass er sich als Person oder gar namentlich legitimieren müsste. Die gleiche Wirkung ist schriftlich nur mit größerem Aufwand zu erzielen.

Auch die Tags im Straßenbild der Großstädte können Territorialzeichen sein. Sie kennzeichnen dann das Gebiet einer Gang und haben hohe Verbindlichkeit, der gegebenenfalls durch Schusswaffengebrauch Nachdruck verliehen wird.

von amts wegen entfernt Dieser Zettel aus dem Jahr 1989 fand sich unter den Scheibenwischern mehrerer Autos. Er gewinnt seinen Nachdruck nicht durch die falsche Unterschrift "gez. eckmann", sondern gerade aus der Vertuschung des Subjektiven durch Computerschrift und durch den Hinweis "von amts wegen". In einem niederländischen Einfamilienhaus fand ich einmal neben den Ehebetten zwei prachtvolle Bettvorleger, in die die Namen "Jolanda" und "Rob" eingewirkt waren. Das linke Bett gehörte Jolanda, das rechte Rob. Oberflächlich betrachtet handelt es sich hier um Eigentumsmarken. Wenn jedoch einmal eines Morgens ein fremder Mann neben Jolanda aufwacht, die Füße auf den Bettvorleger stellt und wenn ihn dann die plötzliche Einsicht mit erschreckender Wucht befällt, "O Gott, ich bin ja gar nicht Rob!" dann wird klar, dass auch solche Bettvorleger eindeutig Territorialzeichen sind.
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Teestunde (3) - Ich war hier

Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, - ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Heute gehts um Ich-war-hier-Marken.Teestunde im Teppichhaus02
Angeheiterte Japaner waren hierDie Ich-war-hier-Marke ist ein selbstbezügliches Graffito an berühmten oder banalen Orten. Der Ersttäter wählt eine Stelle, hinterlässt seine Marke und stimuliert damit den Nachahmungstrieb.

Dem Nachahmungstrieb erlag auch ein japanischer Tourist, der im September 1991 mit seiner Busreisegruppe das mittelalterliche Rathaus in Rothenburg besuchte und an der Wand des Glockenturms Graffiti in Englisch und Deutsch vorfand. Ermutigt vom Alkohol, den er zum Mittagessen getrunken hatte, schrieb er laut dpa "mit einem dicken Filzstift den Namen der Reisegruppe in englisch und japanisch" dazu. Daheim in Tokio bekam er Gewissensbisse. Der Zeitung Yomiuri Shimbun offenbarte er seine Untat und schwor Wiedergutmachung. Er werde erneut nach Rothenburg reisen, dem Bürgermeister einen Reuebrief überreichen und sein Graffito entfernen.

Die Ich-war-hier-Marke ist keine neuzeitliche Erscheinung. Bekanntlich hinterließ Till Eulenspiegel an den Orten seiner Untaten das dreiste: "Hic fuit!" (Hier ist er gewesen!). Auch die Gaunerzinken, von den Fahrenden an versteckten Plätzen angebracht, haben häufig den Charakter von ICH-war-hier-Marken.

Auf Tennessee Williams geht die bekannteste neuzeitliche Ich-war-hier-Marke zurück. In seinem Stück CAMINO REAL (1953) tritt der junge Boxer Kilroy an eine Tafel und schreibt: "Kilroy was here". Dieser banale Spruch umrundete alsbald den Erdball. Denn "Kilroy was here schrieben die amerikanischen Soldaten an die Abtrittswände in aller Welt", sagt der Theaterkritiker Georg Hensel. In den 60er Jahren war "Kilroy was here" auch in Schüler- und Studentenkreisen populär. Die illustrierte Variante zeigt ein Männchen, das versteckt über eine Mauer peilt und dabei die dicke Knollennase über die Mauerkrone hängen lässt. Die Variante "Kilroy/Schäuble is watching you!" ist eine Anlehnung an „Big Brother is watching you“ aus Georges Orwells Dystopie 1984.
is watching you

Manche Orte werden bewusst zum Absondern von IWH-Marken aufgesucht. Sehr bekannt sind zwei Mauerpfeiler vor den Abbey-Road-Studios der Beatles, die angeblich alle zwei Monate getüncht werden, damit Platz für neue Marken ist.

Ein besonders anrührende und schöne IWH-Marke hinterließ der junge Goethe an der Bretterwand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn im Thüringer Wald. In dramatisierter Form nachzulesen in einem frühen Abendbummel.

Hans Richter, der Chronist der Dadabewegung, berichtet von Kurt Schwitters:
"Wenn er in mein Atelier im fünften Stock (über ganz bürgerlichen Wohnungen) kam, bedeckte er stets die Wände, die Treppenfenster, die Türen über das ganze Gebäude mit Klebezetteln: 'Tretet DADA bei!' oder 'Anna Blume'. Er gebrauchte dafür einen Leim, der Porzellan klebt und sich nicht entfernen ließ."
Im Straßenbild der 90er dominiert eine rudimentäre Ich-war-hier-Marke, das TAG. Tags sind kalligraphisch bemühte Stilisierungen des eigenen Pseudonyms oder eines Lieblingswortes, die mit Filzstift oder Sprühdose in einem Zug geschrieben werden. Ziel ist es, möglichst im ganzen Stadtbereich präsent zu sein. Für Sprayer ist das Tag ein Mittel, einen hohen Bekanntheitsgrad in der Szene zu bekommen. Für alle anderen tendiert der Mitteilungswert dieser neuzeitlichen Großstadtchiffren gegen null. Tags sind Vorboten der tendenziellen Sinnentleerung der Schrift.

Auch Kommentare in Blogs haben gelegentlich den Charakter von Ich-war-hier-Marken. Weil es hier einen eindeutigen Adressaten gibt, haben sie eine kommunikative und sozial integrative Funktion.

Tretet DADA bei!
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Teestunde (2) - Heute mit Gebäck

Früh sinkt am Nachmittag die Dunkelheit herab, Zeit zu lesen. In der Reihe „Teestunde im Teppichhaus“ erscheinen unterschiedlich lange Beiträge zu den Bedingungen von Lesen und Schreiben, - ein Bummel durch die Jahrtausende der Schriftkultur, ausgehend von Phänomenen des Alltags. Der heutige Beitrag ist die erste Folge zum Thema Buchstabenmagie - Essen von Schrift.

Teestunde im Teppichhaus02
"Woher die russischen Buchstaben stammen, die man bis 1914 als schmackhaftes Gebäck zu essen bekam, weiß ich leider nicht", bekennt der Altphilologe Franz Dornseiff (1888-1960) in seinem grundlegenden Werk: "Das Alphabet in Mystik und Magie" (Leipzig, Berlin 1925). Das Essen von Schrift sei jedenfalls uralter magischer Brauch.

Leibniz-ABCZum Zeitpunkt der Veröffentlichung wurde Russisch Brot von zwei Firmen hergestellt, von der Dresdener Waffelfabrik Gebrüder Hörmann (Ende 19. Jahrhundert) und der Hannoverschen Cakes-Fabrik H. Bahlsen (seit 1906), zunächst als „Leibniz-ABC“. Die Dresdener Spezialitätenbäckerei Dr. Quendt produziert Russisch Brot seit 1959. Derzeit vertreibt sie ihr Produkt über die Handelskette EDEKA. Die Packung enthält nur die Buchstaben EDKA, weshalb sich kaum was damit schreiben lässt außer: DA, EDE, DEAD, DEKADE - und EDK.

Auf der Dr.-Quendt-Packung ist folgende Herkunfts-Geschichte abgedruckt:
Quendt Inhalt

Auf der Homepage der Firma findet sich eine zweite Version:
Eine andere Geschichte erzählt von einem Empfang russischer Gesandter am Wiener Hof im 19. Jahrhundert. Dort hat der Hofbäcker anlässlich des hohen Besuches beim Wiener Kongress 1814/1815 ein Gebäck entwickelt, welches die russischen Gepflogenheiten - zur Begrüßung eines Gastes wird ein Stück Brot serviert - und dem feinen Geschmack der Wiener, verbinden sollte. So fand man ein nach Karamell schmeckendes Eiweißgebäck und nannte es Russisch Brot.
Beide Fassungen wirken wie Ätiologische Sagen (Erklärungssagen).

Plausibler erscheint, was mir am 24. Mai 1989 die Gebäckfirma Bahlsen brieflich mitteilte: Der Name Russisch Brot habe gar nichts Geheimnisvolles. Er leite sich von "Rösches Brot" her (rösch = knusprig). Die Bezeichnung "Russisch Brot" beruhe auf einer volksetymologischen Umdeutung. Man bedankte sich für mein Interesse an dem "knackigen und knusprigen Gebäck, das im wesentlichen aus Eiweiß, Zucker und Kakaopulver besteht" mit einer "Tüte ABC". Die Entmystifizierung von Russisch Brot schien gelungen. Allerdings ging am selben Tag mein Auto kaputt.

Data-Becker-Russisch-Brot
Russisch Brot als Schrifttype wird übrigens von Linotype und Data Becker angeboten. Die im Schriftzug verwendete Variante Russianbread von Data Becker hat nur Versalien und Kapitälchen, die Linotype-Version hat Groß- und Kleinbuchstaben ...
Linotype-Russisch-Brot03
... und könnte deshalb in den kleinen Schriftgraden theoretisch als Brotschrift eingesetzt werden, was jedoch unerfreulich für die Augen wäre. Wie erfreulich Russisch Brot von Covo, Hausmarke der Handelskette Penny, für Gaumen und Zunge ist, dazu werden hier Erfahrungsberichte ausgetauscht. Vielleicht haben das aber auch Marketingfachleute im Auftrag von Penny geschrieben.

iss den Text
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