Redundante Gurke

Liegende im Vorbeigehen

So ein vorbildhaftes Verhalten zeigen Touristen selten. Die meisten trotten durch die Straßen, stehen im Weg und ziehen einen Flunsch, weil die Ladenketten- und Handyläden in Aachen genauso aussehen wie zu Hause. Doch das hätten sie sich denken können. In deutschen Fußgängerzonen kann es einem ergehen wie dem Bauern, der vor Köln stand und sagte: "Das ist Neuss!" Geringe Unterschiede senken den Informationsgehalt, und das bringt Langeweile. Und wenn ich dauernd gelangweilte Gesichter sehe, langweile ich mich auch.

Leider hat die Saure-Gurken-Zeit begonnen, weshalb ich auch mit einer sauren Gurke über der Tastatur sitze. Was ist eigentlich ein Schock? Ein Beispiel: Als der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann eines morgens die TAZ aufschlug, worin Kollege Gerhard Henschel über Diekmanns missglückten Versuch berichtete, seinen Kai mit Leichenteilen verlängern zu lassen. Das war natürlich erfunden, genauso wie die meisten BILD-Berichte, wenn’s um unten rum geht, damit die Auflage wieder ansteigt. Immerhin die. Also dieses Ereignis war für den Bild-Chefredakteur ein Schock, garantiert. Denn die Satire in der TAZ hatte für Kai Diekmann einen hohen Informationsgehalt. Er hatte nicht erwartet, dass man ihm antut, was er anderen Leuten durch BILD antun lässt. Mit jedem erneuten Lesen sank der Informationsgehalt. Der Beitrag in der TAZ wurde für Kai Diekmann zunehmend redundanter, informationstheoretisch gesagt. So wurde aus einem anfänglichen Schock ein Ärgernis oder eine latente Bedrückung. Wer das nötige Geld hat, lässt Anwälte antanzen, damit sie das Ärgernis oder die latente Bedrückung beklagen.

Heute verkündet BILD auf dem Titel einen GELDSCHOCK.

Wenn keine Kunden im Laden sind, sitzt mein Tabakhändler hinter der Theke und liest die Aachener Zeitung oder die BILD. Der Geldschock hat ihn offenbar nicht vom Hocker gerissen, denn er dreht gelangweilt Däumchen. Um ihn aufzumuntern frage ich: „Was gibt’s Neues?“. „Och, nüüss!“, sagt er und nimmt meine Tabakmarke aus dem Regal.

Mit einem
Andenkenladen in Parterre eines historischen Wohnhauses am Dom muss mein Tabakhändler sich vermutlich keine Gedanken um einen Geldschock machen. Er sieht auch nicht wie ein Börsenspekulant aus. Allerdings gibt es viele Bildleser, in deren Portemonnaie tendenziell Ebbe herrscht. Das Bewusstsein, kein Geld zu haben, hat für sie keinen Neuigkeitswert. Einen Schock haben sie irgendwann in der Vergangenheit bekommen, zum Beispiel als Herren in Nadelstreifen verkünden ließen, dass der Arbeitsplatz vorgestern ans andere Ende des Erdballs verlagert wurde. So ein Schock kann lange in den Knochen sitzen, doch auch eine bedrückende Tatsache wird, informationstheoretisch gesehen, jeden Tag redundanter, - und dann zum endlos bedrückenden Einerlei.

Letztens habe ich einen Bericht über die Kunden der Hilfsorganisation DIE TAFEL gesehen. Man kriegt schon beim Zuschauen et ärme Dier von soviel Elend. Dass es in unserer schwerreichen Gesellschaft unzählige Menschen mit erdrückenden existenziellen Sorgen gibt, und dass sie keine Anwälte haben, ist kein Schock, sondern Alltag, den kaum jemand noch beklagt.

Die Tour de France rollt. Beim Prolog am Samstag sprachen die beiden öffentlich-rechtlichen Reporter in jedem zweiten Satz von Doping. Natürlich hat man bei ARD und ZDF ein schlechtes Gewissen, denn sie müssen sich viele Jahre der Kumpanei mit T-Mobile und anderen Radrennställen zum Vorwurf machen. Die ARD trat sogar zeitweilig als Co-Sponsor von T-Mobile bzw. Telekom auf. Das war ein journalistischer Sündenfall der Sonderklasse. Wenn Informationserzeuger und Informationsverbreiter eins sind, ist jede objektive Berichterstattung unmöglich. Jetzt hatte man die Reporter dazu verdonnert, ständig vom Doping zu faseln. Doch das nutzt leider gar nichts. Wenn man ein Wort zu oft hintereinander benutzt, wird es redundant, und der Hörer beginnt sich zu langweilen. Hier gilt das gleiche Gesetz wie im Leben. Horaz hat es formuliert:
Auf dem Mittelweg gehst du am besten.

Guten Abend
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Sonntagstour über die Grenze

Schaufenster einer Druckerei in Vaals
Der Ansager und ein versehentlich gespiegelter Zuhörer

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Der Mann in der Tankstelle gab mir eben für die Sonntagszeitung auf fünfzig Euro heraus und hat mir das Wechselgeld bis fünfzik vorgezählt. Er ist neu hinter der Kasse, bestimmt ein Aachener. Hochdeutsch ist „fünfzik“ nicht. Das Suffix –ig wird weich gesprochen. Dialektsprecher im Rheinland übertreiben manchmal, wenn sie Hochdeutsch sprechen. Die Sprachwissenschaft nennt solche Erscheinungen hyperkorrekt. In der Vergangenheit wurde dann zum Beispiel aus dem Nachnamen Stüttchen das feiner klingende Stüttgen. Hör mal, wir sind noch gar nicht richtig losgefahren, und schon komme ich vom Thema ab. Das kann ja heiter werden. Übrigens verzeichnet der Duden schon die häufig vorkommende Aussprache „fümfzich“. Diese Aussprache ist nicht hyperkorrekt sondern lippenfaul, denn „fümfzich“ ist einfacher zu sprechen als „fünfzich“. Ach, komm lass mich auch mal über Belanglosigkeiten reden. Heute ist schließlich Sonntag.

Zuerst radeln wir durch den Westpark. Glauben die Leute noch nicht so recht an das sonnige Wetter? Eigentlich müssten sich die Sonnenhungrigen schon auf der Liegewiese ausbreiten. Sie ist bei den Studenten aus dem Hochschulviertel sehr beliebt. Klar, du hast Recht, die liegen noch im Bett, garantiert. Auf der Bankgruppe beim Weiher lagern die Russen. Sie sind Tag und Nacht hier, gucken auf den Weg und lassen den Fusel kreisen. Das waren vielleicht mal in Russland ehrenwerte Männer, die ihr Glück im Westen versuchen wollten, um ihren Familien etwas Gutes zu tun. Und dann gab’s hier keine Arbeit. Wir fahren links am Weiher vorbei. Um die Russen wabert immer ein Hauch von Schwermut. Da möchte ich dich nicht durchfahren lassen. Außerdem ist da zuviel Schatten. Seltsam, die Russen setzen sich nie in die Sonne.

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Weiter gehts nebenan
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